Amadeus Gräber beim Speerwurf. (Foto: IMAGO / Beautiful Sports)

U20-Europameister im Zehnkampf Amadeus Gräber wird durch "Insellösung" zur deutschen Leichtathletik-Hoffnung

Stand: 09.09.2023 17:01 Uhr

Die deutsche Leichtathletik befindet sich nach der medaillenlosen WM in einer Krise. Doch es gibt Hoffnung im Nachwuchs. Zehnkämpfer Amadeus Gräber trainiert in Nauen. Dort ist man davon überzeugt, dass er für Großes bestimmt ist.

Amadeus Gräber steht in seinem Kinderzimmer, hinter ihm eine Kommode, auf der all seine Pokale und Medaillen aufgereiht sind. Die Auszeichnungen quetschen sich regelrecht, eigentlich ist kein Platz mehr auf der Abstellfläche. Der 18-jährige Gräber ist einer der erfolgreichen Nachwuchs-Leichtathleten des Landes. 2022 wurde er U18-Europameister, vor wenigen Wochen wiederholte er den Erfolg im U20-Jahrgang. Dazu kommen etliche Erfolge auf nationaler Ebene.
 
Vor einem halben Jahr ist Gräber zum Sportler des Jahres im Landkreis Havelland 2022 gekürt worden. "2019, als ich meine erste Medaille geholt habe, wurde mir noch gesagt, ich hätte eigentlich gar nicht die richtige Statue für einen Mehrkämpfer. Es ist ein sehr schönes Gefühl, gerade dann erfolgreich sein zu können", zeigt er sich sichtlich stolz. Dass der Nachwuchssportler solch eine Erfolgsbilanz aufweisen kann, liegt maßgeblich an einem speziellen Förderungssystems im brandenburgischen Nauen.

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"Sowas ist in Deutschland normalerweise nicht möglich"

"Es gibt eigentlich nur noch zwei Trägerschaften, die gut funktionieren: das ist das Campus-System in Amerika und das Campus-System, das wir hier haben", erklärt Trainer Manfred Hofmann. Das Modell, in dem Hofmann und Schützling Gräber zusammenarbeiten, bezeichnet der Trainer als "Insellösung". Seit drei Jahren betreibt der Leonardo Da Vinci Campus das Mehrkampfzentrum in Nauen, dort laufen Training und Förderung zusammen über Gräbers Schulsportverein. Durch die Kooperation mit der Privatschule ist der Sportverein finanziell unabhängiger vom Brandenburger Leichtathletikverband.
 
"Wir in Deutschland haben leider Strukturen, die monetär auf wenige Standorte beschränkt sind und nicht dort ansetzen, wo die Talente sind", erklärt Trainer Hofmann. "Bis heute haben wir keine Förderung vom Leichtathletikverband Brandenburg bekommen, da ist noch nie Geld geflossen – einfach weil sie ihre eigenen Standorte in Potsdam oder Cottbus haben und nicht dort hinschauen, wo die Talente wirklich sind." Eine klare Systemkritik.
 
Für die besondere Förderung von Nachwuchstalenten bräuchte es jedoch nicht zuletzt auch das nötige Geld. Hofmann gibt ein Beispiel: "Wir brauchten in Vorbereitung auf Jerusalem noch einmal vier Wurfstäbe, die es in ganz Deutschland nicht gab, sondern nur bei einem einzigen Importeur in der Schweiz. Dann wurden vom Campus kurzerhand 5.000 Euro in die Hand genommen und ich konnte diese Stäbe besorgen. Sowas ist in Deutschland normalerweise nicht möglich."

"Das macht ihn zu einem Champion"

Laut Trainer Hofmann besteht die Gleichung für gute Ergebnisse im Profi-Sport aus vier Variablen: den richtigen Strukturen, dem nötigen Talent der Sportler, den richtigen Trainern und dem nötigen Geld. Derzeit scheint in Nauen jene Gleichung aufzugehen – die vielen Erfolge von Gräber sind das Ergebnis. "Ich bin wirklich dankbar dafür, dass mir dieses Umfeld geschaffen wurde. Es hat mir viel ermöglicht, was sonst nicht möglich gewesen wäre", so Gräber. "Ich finde, daran sollte man sich anderweitig ein wenig ein Beispiel nehmen und umsetzen, wenn man denn will, dass Deutschland in Zukunft noch international Medaillen holt."
 
Vor der Förderung steht jedoch grundlegend das individuelle Talent. Gräber, so Hofmann, habe eine "gigantische Sportintelligenz", die er in der Form noch nicht erlebt hätte. Diese Eigenschaft würde dem 18-Jährigen erlauben, Dinge drei- bis fünfmal so schnell wie andere lernen zu lassen. "Das macht ihn zu einem Champion. Er ist in der Lage, im Wettkampf nochmal etwas draufzulegen und mental fit zu sein. Dazu hat er in keinerlei Schwächen, in keiner Disziplin."

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Die nächsten Ziele: Weltmeisterschaft und Weltrekord

Gräber würde, so Hofmann, Punktzahlen erreichen, die es seit Niklas Kaul nicht mehr gegeben hat. Der 25-jährige Zehnkämpfer aus Mainz ist bereits Welt- und Europameister im Herrenbereich geworden und das große Vorbild von Gräber. "Nächstes Jahr haben wir zwei Ziele: Zum einen die Weltmeisterschaft in Peru, die Amadeus natürlich gewinnen will, und zum anderen wollen wir den U20-Weltrekord von Niklas Kaul angreifen", zeigt sich Trainer Hofmann ambitioniert. 2017 überbot Kaul den Uralt-Weltrekord von DDR-Zehnkämpfer Torsten Voss, der 1982 8.387 Punkte erzielte, mit 8.435 Punkten.
 
Nun soll Gräber neue Höhen erreichen – alles mit dem einen großen Ziel: Die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles. Die deutsche Nachwuchshoffnung ordnet dem alles unter, um die deutsche Leichtathletik wieder zu Medaillen zu führen. Dabei wird das Medizinstudium, dass Gräber bald beginnt, zum Balanceakt. Gelingt ihm jener, wird es womöglich eine zweite Kommode für die noch kommenden Trophäen brauchen.

Sendung: rbb UM6, 09.09.2023, 18.15 Uhr