Wolfsburgs Trainer Felix Magath präsentiert die Meisterschale.

Vor 15 Jahren Als Alleinherrscher Magath Wolfsburg zum Meister machte

Stand: 23.05.2024 21:34 Uhr

Am 23. Mai 2009 feierte der VfL Wolfsburg die deutsche Meisterschaft. Felix Magath war damals Coach, Manager und Vorstand in Personalunion. Aus seiner Sicht der entscheidende Faktor. Dass es dazu kam, lag an einer "Urlaubslaune" des Trainerfuchses, wie er sich im NDR Interview erinnert.

Von Florian Neuhauss und Patrick Halatsch

Im Frühjahr 2007 unterbrach Magath seinen Urlaub in Puerto Rico. Die Führung des VfL Wolfsburg suchte einen neuen Manager und hatte um ein Gespräch gebeten. Magath flog also über New York nach London, von dort ging es schließlich mit einer VW-Maschine nach Braunschweig, wo das Treffen am Terminal stattfinden sollte. Der gebürtige Aschaffenburger war nach seinem Aus bei den Bayern kurz zuvor bereits wieder gut erholt und nach eigener Aussage "in Urlaubsstimmung", als er zum Gespräch erschien.

Und wie das Leben manchmal so spiele, war diese Laune folgenreich. "Der Aufsichtsrat fragte: 'Wenn sie jetzt Sportdirektor wären: Wen würden Sie als Trainer holen?'", berichtet Magath. "Und ich habe geantwortet: 'Wenn Sie mich so fragen: Außer mir wüsste ich keinen.' Das war von mir nur so hingeworfen. Nicht mit der Absicht, das tatsächlich machen zu wollen."

So ergab aber eins das andere. Ach, wenn er auch Trainer werden wolle, müsste er aber auch Geschäftsführer werden. Also die volle Verantwortung übernehmen. "Ich habe dann gesagt: 'Leute, mir ist das völlig egal. Mir geht es nur darum: Ich möchte sportlich entscheiden können, wie es weitergeht'", blickt Magath heute amüsiert zurück und fügt hinzu: "Dann hatte ich auf einmal drei Positionen. Und der Erfolg war nur aufgrund dieser Konstellation möglich - die es vorher und auch hinterher nicht noch mal so gab."

Magath verpflichtet Dzeko und Grafite "blind"

Zweimal waren die "Wölfe" unter Coach Klaus Augenthaler zuvor nur 15. der Abschlusstabelle geworden. Viel zu wenig für die hohen Ansprüche (von VW). Magath musste erst mal einen neuen Kader zusammenstellen - und gerade die Verpflichtungen der späteren Stürmerstars Edin Dzeko und Grafite sollten sich als absolute Glücksgriffe erweisen.

Dabei hatte der neue starke Mann des VfL, der zunächst seinen Urlaub fortsetzte, das beste Torjäger-Duo der Bundesliga vor der Verpflichtung selbst gar nicht spielen sehen. Zu Dzeko nach Tschechien schickte Magath seinen Assistenz-Trainer Bernd Hollerbach, um das bosnische Talent genauer unter die Lupe zu nehmen. Grafite war ein Angebot eines Beraters gewesen.

Magath muss niemanden um Erlaubnis fragen

Die Investitionen - der hierzulande praktisch unbekannte Brasilianer sollte stolze acht Millionen Euro kosten - musste Magath nur mit einem ausmachen. Mit sich selbst. "Durch die Konstellation konnte ich die größtmögliche Konsequenz in meinem Tun haben. Ich musste mich nicht immer mit verschiedenen Gremien absprechen: Ob, was, wann und wie ich etwas mache", sagt Magath. "Ich hatte die größtmögliche Freiheit und dadurch auch den größtmöglichen Einfluss, den ich je irgendwo gehabt habe."

"Ich musste mich nicht immer mit verschiedenen Gremien absprechen: Ob, was, wann und wie ich etwas mache."
— Felix Magath

Der alleinige Entscheider legt Wert darauf zu betonen, dass der VfL mit dem Verwaltungsapparat des Großkonzerns im Hintergrund nicht mit anderen Bundesliga-Clubs vergleichbar ist. Der Aufwand sei trotz der drei Positionen, die er innehatte, überschaubar gewesen. Gleiches galt für die sportliche Belastung. "Wolfsburg war zwei Jahre lang Abstiegskandidat - es gab also keine Europapokalspiele, sondern nur die Meisterschaft und den Pokal, wo der VfL auch meist früh ausschied. Deshalb dachte ich, als Ausnahme könnte ich das ja mal machen."

Magath setzt auf den Wohlfühl-Faktor

Auch Makoto Hasebe, Christian Gentner, Sascha Riether, Marcel Schäfer, Josué und Diego Benaglio lotste Magath in seinem ersten Jahr, das der VfL dank einer sehr starken Rückrunde auf Rang fünf beendete, nach Wolfsburg. Vor der Meistersaison folgten dann noch Spielmacher Zvjezdan Misimovic sowie Cristian Zaccardo und Andrea Barzagli. Und wieder zahlten sich die praktischen und kurzen Entscheidungswege aus.

"Das ist mir völlig egal: Wenn Sie Italiener wollen, dann hole ich auch italienische Spieler her."
— Felix Magath

Magath selbst spricht von "Kollege Zufall", der die Transfers der beiden Italiener auf den Weg brachte. "Mich hatte der damalige Gewerkschaftsboss Osterloh angesprochen: 'Wir haben hier so viele Italiener. Können wir denn nicht mal italienische Spieler holen?'", habe dieser ihn gefragt. Magaths Replik: "Das ist mir völlig egal: Wenn Sie Italiener wollen, dann hole ich auch italienische Spieler her."

In der Offensive war sein Team gut aufgestellt. "Aber Defensive, das können die Italiener." Mit 2006-Weltmeister Barzagli aus Palermo hatte Magath schnell den geeigneten Kandidaten gefunden. "Den haben wir gebraucht auf der Position. Er war vom Defensivverhalten her und auch taktisch super ausgebildet." Wie bei den Bosniern (Dzeko und Misimovic) und den Brasilianern (Grafite und Josué) setzte Magath auch hier auf die Wohlfühl-Komponente und holte mit Zaccardo gleich noch einen Landsmann mit dazu.

Hartes Training als Charaktertest für die Spieler

Von Wohlfühlen kann bei Magaths Trainingsarbeit keine Rede sein - die gilt als hart und ist deshalb legendär. Der Fußball-Lehrer selbst kann den Diskussionen, die er mit seinen Medizinbällen immer wieder auslöste, aber bis heute abgewinnen. "Ich kann mich immer nur wundern", erklärt Magath - und meint sowohl die Berichterstattung als auch die murrenden Profis: "Die Spieler verdienen siebenstellige Beträge, sind jung und gesund. Da darf man sich ruhig mal anstrengen."

Die Trainingseinheiten hatten allerdings nicht nur den Zweck, etwas für die Fitness des kickenden Personals zu tun - auch wenn sich diese in der Saison als Faustpfand erwies. "Ich wollte sehen: Wer kann beißen, wer kann nicht beißen", betont der Trainer, der die Charakterfrage stellte: "Wie weit geht der Spieler, wie viel ist er bereit, für die Mannschaft zu tun. Es geht um Willenskraft und Willensstärke. Gibt er auf, oder versucht er, sich durchzusetzen."

Überragende Rückrunde führt zum Meistertitel

Wie in Magaths erster Saison, die mit der Qualifikation für den UEFA-Pokal endete, drehten die "Wölfe" auch in der Meistersaison 2008/2009 im zweiten Saisonteil mächtig auf. Nach den ersten 17 Spielen waren die Niedersachsen lediglich Neunter, blieben zwar in der Hinrunde zu Hause ungeschlagen, gleichzeitig aber auch auswärts ohne Sieg.

Rückblickend hat Magath dafür keine Erklärung. Wohl aber dafür, warum es jeweils nach der Winterpause so viel besser lief. Sein Team habe sich erst finden müssen. Auch in der zweiten Saison - weil besonders mit Barzagli und Misimovic zuvor zwei ganz wichtige Spieler auf entscheidenden Positionen hinzugekommen waren.

Mit 43 Zählern legte Wolfsburg dann eine überragende Rückrunde hin, durch die nicht nur Überraschungs-Herbstmeister Hoffenheim, sondern die damals ebenfalls noch zu den Topteams zählenden HSV und Hertha BSC abgefangen werden konnten. Und natürlich die Bayern.

Bayern durch Keeper-Wechsel gedemütigt?

Trotz neun Punkten Rückstand auf Hoffenheim im Winter hatte Magath im Trainingslager bereits gesagt: "Wir wollen Meister werden." Spätestens nach dem beeindruckenden Sieg gegen die Münchner wussten alle, dass das keine leeren Worte gewesen waren. Der 5:1-Erfolg gegen den Doublegewinner der Vorsaison am 4. April 2009 ist in die Geschichtsbücher eingegangen.

Das Spiel hatte viele Facetten - besonders Grafites Hackentor ist hängengeblieben. Aber auch, dass Magath - gegen seinen alten Arbeitgeber - in der 89. Minute Ersatzkeeper Andre Lenz eingewechselt hat. Viele vermuten bis heute, dass der Coach den Bayern damit eins auswischen und die Demütigung an diesem Nachmittag perfekt machen wollte.

Für Magath alles Quatsch, schließlich sei er nicht im Schlechten von den Bayern weg gegangen. Der FCB sei einfach nicht seine Welt gewesen. "Man unterstellt mir natürlich, ich hätte es als Rache gemacht. Aber es gibt keinen objektiven Grund, warum ich den Torwart nicht auswechseln soll." Hintergrund sei viel mehr gewesen, dass er - als Manager - dem Keeper und dessen Berater versprochen hatte, ihn in Partien, in denen der VfL hoch führt, durch Jokereinsätze zu belohnen. "Und hoch geführt haben wir dummerweise nur gegen die Bayern."

Meisterschaft mit Wolfsburg "etwas ganz Außergewöhnliches"

Nach dem Spiel war Wolfsburg Tabellenführer (punktgleich mit dem HSV) - und ließ sich nicht mehr aufhalten. Nicht von den beiden Niederlagen in Cottbus (0:2) und in Stuttgart (1:4). Und auch nicht davon, dass jemand Magaths bevorstehenden Wechsel nach Schalke im Saisonendspurt an die Medien durchstach. "Da stand natürlich die Absicht dahinter, Unruhe reinzubringen und unseren guten Lauf zu stören und zu zerstören", ist Magath überzeugt. Bis heute weiß er nicht, wo die undichte Stelle war. Er selbst habe nur mit seiner Frau darüber gesprochen.

Wolfsburgs Trainer Felix Magath präsentiert die Meisterschale.

Sichtlich geschafft - und zufrieden: Felix Magath.

Bei seiner Mannschaft fand er dann jedoch den richtigen Ton. Sie ballerte sich mit 13 Toren an den letzten drei Spieltagen schlussendlich eindrucksvoll zur Meisterschaft.

Anders als im Pokal oder bei EM und WM stehe in der Liga am Ende immer die beste Mannschaft vorn, unterstreicht Magath: "Die Meisterschaft ist der ehrlichste Titel. Und mit Wolfsburg Meister zu werden, ist etwas ganz Außergewöhnliches." Und wahrscheinlich hätte es diesen Titel für den VfL niemals gegeben, wenn Magath im Frühjahr 2007 nicht in dieser besonderen Urlaubsstimmung gewesen wäre.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 05.04.2024 | 23:35 Uhr