Trainer Steffen Baumgart

NDR-Sport HSV-Trainer Steffen Baumgart: Eine Karriere zwischen Himmel und Hölle

Stand: 20.02.2024 12:34 Uhr

Steffen Baumgart soll den HSV zum Bundesliga-Aufstieg führen. Der gebürtige Rostocker hat bereits eine bewegte Karriere als Spieler und Coach hinter sich, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist: ein vom Ehrgeiz besessener Trainer, der keine Nachlässigkeiten duldet.

Von Hanno Bode

Am 21. Januar des vergangenen Jahres liegen sich nach dem Halbzeitpfiff des Bundesliga-Duells zwischen dem 1. FC Köln und Werder Bremen sehr viele Menschen im Müngersdorfer Stadion in den Armen. Liebkosungen - auch zwischen Fremden - sind in der Karnevalsstadt gerade zur "fünften Jahreszeit" zwar nicht unüblich. An diesem Samstagabend aber hat ihr "Effzeh" die Zuschauer überglücklich gemacht. Mit sage und schreibe 5:1 führen die Rheinländer nach 45 Minuten. Jubel, Trubel, Heiterkeit auf den Rängen - und richtig dicke Luft in der Kabine, wie ein Video des Bundesligisten zeigt.

"Ein Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter pfeift und ich nicht mehr brülle."
— Steffen Baumgarts "Fußballspruch des Jahres" 2021

"Lauft ihr noch ganz rund? Habt ihr irgendwie eine Macke, dass wir auf einmal was verändern, nur noch nach hinten spielen und uns selbst in die Sch... reiten? Ist alles klar bei euch, oder was?", fragt Baumgart seine Kicker, die den erbosten Coach entgeistert mit großen Augen anschauen. Das passive Verhalten der Kölner kurz vor der Pause sowie der Bremer Anschlusstreffer haben den Übungsleiter erzürnt. Der frühere Vollblutstürmer fordert von seiner Mannschaft Konzentration von der ersten bis zur letzten Sekunde.

Baumgart gewinnt lieber 1:0 als 5:4

Und auf Gegentore hat der neue HSV-Trainer ohnehin schon immer allergisch reagiert. Ein 1:0 sei ihm lieber als ein 5:4, "weil es ein richtiges Fußball-Ergebnis ist", hat er einmal gesagt. Ein Defensiv-Fanatiker ist der dreifache Familienvater deswegen aber keinesfalls. Sowohl den SC Paderborn, mit dem Baumgart von der Dritten Liga in die Bundesliga aufstieg, als auch Köln ließ er attraktiven Offensiv-Fußball spielen. Seine vorherigen beiden Teams schafften das, was seine neue Mannschaft so häufig vermissen ließ: Sie fanden eine gute Balance zwischen Angriff und Verteidigung.

Nun also nimmt Baumgart, der für seinen Satz: "Ein Spiel ist erst zu Ende, wenn der Schiedsrichter pfeift und ich nicht mehr brülle", 2021 von der Deutschen Akademie für Fußball-Kultur mit dem "Fußballspruch des Jahres" ausgezeichnet wurde, die "Mission Aufstieg" mit dem HSV in Angriff.

"Von Kind an immer ein bisschen HSV-Fan gewesen"

So abgedroschen die Phrase von der "Herzensangelegenheit" im Profifußball auch ist, auf Baumgart und den früheren Europapokalsieger und Meister trifft sie wohl zu. "Ich bin von Kind auf immer ein bisschen HSV-Fan gewesen. Das bin ich geworden, als der Club noch eine Größe war", sagte er im vergangenen Jahr vor dem Achtelfinal-Pokalspiel Kölns gegen die Hamburger.

Seitdem wurde immer wieder über ein Engagement des Mannes mit der Schiebermütze ("Ich habe es nicht so mit Gel und Haarspray, daher ist die Mütze das einfachste, um eine gute Kopfbedeckung zu haben") im Volkspark spekuliert. Nach seiner offiziell einvernehmlichen Trennung kurz vor Weihnachten vom 1. FC Köln sowie der Entlassung von Coach Tim Walter vor rund zwei Wochen beim HSV ist Baumgart jetzt tatsächlich Coach des Hamburger Traditionsclubs geworden.

Baumgart zwischenzeitlich mit Existenzängsten

Der 52-Jährige ist nun der große Hoffnungsträger bei einem Club, der seit dem Bundesliga-Abstieg 2018 inklusive der Interimslösungen Horst Hrubesch und Merlin Polzin sieben Trainer verschliss. Als Zweitliga-Coach Nummer acht der Hanseaten könnte er mit einem Aufstieg - dem ersten in der Vereinshistorie - Geschichte schreiben. Es wäre ein weiteres bemerkenswertes Kapitel in seiner eigenen sehr ungewöhnlichen und auch teilweise sehr traurigen Geschichte. Denn der heute so selbstbewusst auftretende sowie etablierte und angesehene Coach stand ganz zu Beginn seiner Trainerkarriere vor dem Nichts.

"Ich war damals ganz unten, nicht mehr kreditwürdig"

Baumgart plagten nach seinem Aus beim Regionalligisten 1. FC Magdeburg 2010 Existenzängste, wie er in einem Interview mit der "Sport Bild" offen zugab: "Ich war damals ganz unten. Zum damaligen Zeitpunkt war ich nicht mehr kreditwürdig. Meine Frau hat für unsere Familie das Geld verdient." Nur weil ihm ein Freund die Gebühr für den Fußballlehrer-Kurs lieh, war ihm der spätere Sprung in den Profifußball überhaupt möglich. "Wenn ich ihn nicht gehabt hätte, dann würden jetzt hier nicht zum Interview sitzen. Dann wäre ich am Ende vielleicht Busfahrer geworden oder Lkw-Fahrer."

Neuer HSV-Coach stürmte für Hansa und Wolfsburg

Pleite trotz 225 Bundesliga-Einsätzen sowie 142 Zweitliga-Partien - das war die bittere Wahrheit für Baumgart nach seiner aktiven Karriere, in der unter anderem für den FC Hansa Rostock, VfL Wolfsburg, Union Berlin und Energie Cottbus aufgelaufen war. Der frühere Torjäger hatte sein Geld wie so viele andere Ex-Profis falsch angelegt. Aber aufgeben kam für einen wie ihn, der sein Herz stets auf dem Platz gelassen hat, nicht infrage.

Steffen Baumgart (r.) im Trikot des FC Hansa Rostock (Foto aus dem Jahr 1999)

Baumgart (r.), hier im Trikot von Hansa Rostock, bestritt über 200 Bundesliga-Partien.

Fußball war sein Leben - und sollte es auch bleiben, obwohl er auch als Instandhaltungsmechaniker oder KFZ-Mechaniker hätte arbeiten können. Diese Berufe hatte er schließlich erlernt und in der damaligen DDR zudem ein Jahr als Bereitschaftspolizist seinen Lebensunterhalt verdient.

Durchbruch als Trainer beim Berliner AK

Baumgart wollte weiter den Rasen riechen - und war sich dafür auch nicht zu schade, einen Bezirksligisten zu übernehmen. Nach einem Intermezzo als Co-Trainer beim FC Hansa wurde er 2014 Chefcoach des SSV Köpenick-Oberspree. Doch nach eineinhalb durchwachsenen Jahren inklusive eines Abstiegs war auch dieses Abenteuer wieder beendet.

Die Fußball-Welt stand Baumgart anschließend nicht offen, aber es öffnete sich immerhin eine interessante Tür: Regionalligist Berliner AK glaubte an die Fähigkeiten des Ex-Profis und verpflichtete ihn zur Saison 2015/2016.

Und ausgerechnet bei dem Club, der vom damaligen Präsidenten und Geldgeber Mehmet Ali Han patriarchalisch geführt wurde, begann die Erfolgsgeschichte des Trainers Steffen Baumgart. Bis zum letzten Spieltag kämpfte er mit den Moabitern sensationell um den Drittliga-Aufstieg. Am Ende fehlte dem Außenseiter ein einziges Tor zum Sprung in den Profifußball, den stattdessen der punktgleiche FSV Zwickau schaffte.

Zwei Aufstiege mit dem SC Paderborn

Es folgten ein großer personeller Aderlass, durchwachsener Start in die neue Saison sowie die Entlassung von Baumgart nach wenigen Wochen. Trotz des bitteren Ende seines Engagements im Poststadion hatte der Coach viel an Renommee gewonnen. Davon zeugte dann auch die Offerte des SC Paderborn Mitte April 2017. Als die von der Bundesliga in die Dritte Liga durchgereichten Ostwestfalen vor dem nächsten Abstieg standen, baten sie Baumgart, den Trainerjob zu übernehmen. Er sagte trotz der ziemlich aussichtslosen Lage des Clubs zu und holte in den verbleibenden sechs Partien 14 Punkte mit dem SCP.

Trainer Steffen Baumgart vom SC Paderborn

Baumgart gelang mit dem SC Paderborn der Durchmarsch von der Dritten Liga in die Bundesliga.

Sportlich stieg Paderborn dennoch ab. Weil 1860 München aber keine Lizenz erhielt, blieb der Club drittklassig. Allerdings nur ein Jahr. Denn dann führte Baumgart die Ostwestfalen in die Zweite Liga. Nur zwölf Monate später war sogar der Durchmarsch in die Bundesliga perfekt. Ein Traum für den SC Paderborn. Und ein Traum für Steffen Baumgart, der sich wenige Jahre zuvor noch das Geld für die Trainer-Lizenz hatte borgen müssen.

Mit Köln in Premieren-Saison in den Europapokal

Die Beletage erwies sich dann für die Ostwestfalen mit ihren vergleichsweise geringen finanziellen Mitteln zwar als eine Nummer zu groß, sodass der sofortige Wiederabstieg zu Buche schlug. Baumgart jedoch blieb der Bundesliga erhalten. Er übernahm den 1. FC Köln, der zuvor mit Ach und Krach in der Relegation gegen Holstein Kiel den Ligaverbleib geschafft hatte. Auch im Rheinland schrieb der Trainer an seiner Erfolgsgeschichte weiter. Er führte den "Efffzeh" gleich in der ersten Saison in den internationalen Wettbewerb. In der Spielzeit darauf gelang souverän der Klassenerhalt, bevor der Traditionsclub in Serie Nummer drei unter dem gebürtigen Rostocker in den Tabellenkeller abstürzte.

Am Ende seiner Amtszeit hatte Baumgart dann selbst den Glauben daran verloren, der Mannschaft noch neue Impulse geben zu können. Er stellte sich sogar öffentlich selbst infrage. Die Trennung war die logische Konsequenz einer lange innigen Liebesbeziehung zwischen Verein und Coach. Baumgart die Alleinschuld für die Kölner Talfahrt zu geben, wäre allerdings falsch. Er musste nach einigen Abgängen, die aus finanziellen Gründen nicht adäquat ersetzt werden konnten, unter erschwerten Bedingungen arbeiten.

Emotionaler Abschied von den "Geißböcken"

Eim Umstand, der auch den Verantwortlichen am Geißbockheim bewusst war. Dementsprechend emotional fiel der Abschied aus. "Danke für die vielen schönen Momente mit dir und nur das Beste für die Zukunft, lieber Steffen", schrieb der 1. FC Köln auf Instagram. Der Coach bedankte sich bald darauf auf demselben Kanal mit ähnlich warmen Worten: "Die letzten zweieinhalb Jahre sind viel zu schnell vergangen und es war mir eine Ehre, ein Teil von euch Kölnern und vom FC gewesen sein zu dürfen." In unzähligen Kommentaren dankten die "Effzeh"-Fans Baumgart hernach für sein Wirken.

Ein warmer Empfang dürfte ihm bei seinem nächsten Besuch im Müngersdorfer Stadion sicher sein. Denn wie sang bereits die frühere Kölner Schauspielerin und Sängerin Trude Herr in ihrem größten Hit: "Niemals geht man so ganz."

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Hamburg Journal | 20.02.2024 | 19:30 Uhr