Lionel Messi

Superstar sorgt für MLS-Rekorde Echter Soccer-Boom oder nur "Messi-Mania"?

Stand: 28.04.2024 10:54 Uhr

Lionel Messi soll den "Soccer" in den USA nach vorne bringen - zwei Jahre vor der WM. Beim 4:1-Sieg von Inter Miami in New England begeistert der Argentinier die Massen, sorgt für eine Rekordkulisse. Doch reicht ein Mann für einen Boom? Ein Ortsbesuch. 

Von Heiko Oldörp, Foxborough

In der 85. Minute standen die Fans im Stadion von Foxborough auf. Das Spiel zwischen der New England Revolution und Inter Miami war wegen eines verletzten Spielers unterbrochen. Und wer nur seinen Ohren traute, hätte meinen können, dass Lionel Messi angeschlagen am Boden liege. “Messi, Messi” skandierten die Fans am Samstagabend (27.04.2024, Ortszeit) von den Rängen. Doch der argentinische Ausnahmefußballer stand an der Mittellinie und winkte artig ins Publikum. 

Er hatte den Fans das geboten, was sie sehen wollten. Er hatte sie unterhalten, begeistert, gezaubert und getroffen. Beim 4:1-Auswärtssieg war Messi der überragende Akteur und an allen Treffern beteiligt. Das 1:1 und 2:1 erzielte er selbst, das dritte und vierte Tor legte er auf. “Ein typischer Messi-Abend”, meinte ein lächelnder Julian Gressel nach dem Match gegenüber der Sportschau.

Messi winkt, das Stadion schreit

Gressel ist in Miami der Mann hinter Messi. Der Franke spielt im Mittelfeld - und hat somit einen perfekten Blick auf die magischen Momente, die der Superstar liefert. Es sei “Wahnsinn”, betont Gressel, wie viele Emotionen Messi in Leuten über seinen Fußball wecke, wie viele Menschen er begeistere. Er winke einfach ein bisschen und schon schreie das ganze Stadion.

65.612 Fans - so viele wie noch nie bei einem Heimauftritt der seit 1996 in der MLS spielenden Gastgeber - pilgerten an diesem herrlichen Frühlingsabend nach Foxborough. Sie kamen aus Massachusetts, Connecticut, New Hampshire, Vermont und Maine. Eine solche Magnet-Wirkung haben im Nordosten der USA sonst nur die ebenfalls in Foxborough heimischen New England Patriots aus der National Football League (NFL).

Parkplatz-Tickets und Sonderzug

Normalerweise können die Fans bei MLS-Partien in Foxborough bis vor das Stadion fahren und dort kostenlos parken. Diesmal wurden Parkplätze für 30 Dollar angeboten - zwei Kilometer vom Stadion entfernt. Um die Massen einigermaßen bewältigen zu können, wurde sogar ein Zug von Boston aus eingesetzt. Das gibt es zwar bei jedem Patriots-Heimspiel - aber nie wenn die New England Revolution kickt. Warum auch? Im Schnitt kamen vergangene Saison 23.940 Fans zu den Heimspielen - die Arena war somit nur zu circa 37 Prozent gefüllt.

Doch dieser 27. April ist anders, es ist ein Fußball-Feiertag - für Verein und Fans. Das ist schon am Vormittag zu spüren - beim Fußballspiel unseres zwölfjährigen Sohnes. Dort unterhalten sich viele Eltern am Spielfeldrand diesmal nicht über die Leistungen ihrer Kinder, sondern freuen sich vor allem, am Abend erstmals diesen Lionel Andres Messi live erleben zu können. 

Vier-Gänge-Menü Miami

Auf die Frage meiner Frau, ob Messi denn überhaupt spielen werde, reagieren sie geschockt und mit verständnislosen Blicken. Dass das Stadion Kunstrasen hat und Fußballer diesen Untergrund in etwa so lieben wie einen Kreuzbandriss, kommt ihnen scheinbar nicht in den Sinn. Natürlich werde Messi spielen, entgegnen sie. Er müsse spielen. Sie hätten doch schließlich Karten gekauft. Teure Karten. Der durchschnittliche Ticketpreis beträgt 285 Dollar. Nur seinetwegen.

Miami hat neben Messi mit dem Uruguayer Luis Suarez, Spaniens 2010-Weltmeister Sergio Busquets und dessen Landsmann Jordi Alba noch weitere Alt-Stars in seinen Reihen. Alle sind gekommen, weil Messi, ihr Kumpel aus gemeinsamen Zeiten beim FC Barcelona, jetzt in Südflorida spielt. Doch sie sind alle nur Beilage. Wie bei einem Vier-Gänge-Menü. 

Wenig Bewegung, viel Magie

Suarez ist die Vorsuppe, Busquets der Salat und Alba das Dessert. Aber Messi - und nur Messi - ist der Hauptgang. Der, auf den sich alle freuen. Auf den niemand verzichten will. Denn wer geht schon in ein feines Restaurant, der Vorsuppe oder des Nachtisches wegen? Genau. Niemand. Alle wollen den Hauptgang. Und bei Inter Miami ist das Messi. 

Eine halbe Stunde vor Spielbeginn die Gewissheit: Messi spielt. Der Rastelli aus Rosario betritt unter dem Jubel der Fans den Rasen. Während des Spiels geht er viel, läuft wenig, sprintet nie. Aber Messi, das ist in diesem Land und in dieser Liga trotzdem ein großer Hauch von Magie. Sobald er am Ball ist, geht ein Raunen durch die Arena. Messi umdribbelt einen Gegenspieler ("uuuh"), er tunnelt anschließend einen anderen ("ohhhh"). In der 29. Minute der erste Torschuss des 36-Jährigen - "ahhh". 

"'Ne Stufe über" Schweinsteiger und Co

Julian Gressel spielt seit 2017 in der MLS. Er hat auch die Zeiten eines Bastian Schweinsteiger, Zlatan Ibrahimovic oder Wayne Rooney miterlebt. “Die waren auch Stars, haben die Leute begeistert und ihretwegen sind die Menschen zu den Spielen gegangen”, erinnert sich Gressel. Aber Messi, ergänzt der 30-Jährige, sei ein ganz anderes Level, "noch mal 'ne Stufe über den anderen." 

Das wird nicht nur an diesem Abend in Foxborough deutlich, sondern war schon vor zwei Wochen in Kansas City zu sehen. Sporting Kansas City war für Miamis Gastspiel aus der eigenen, fußballspezifischen Arena mit einer Kapazität von 18.467 Plätzen ins Arrowhead Stadium ausgewichen, die riesige Heimspielstätte von NFL-Champion Kansas City Chiefs. Ergebnis: 72.610 Fans - so viele waren im US-Bundesstaat Missouri noch nie zu einem Soccer-Spiel gekommen. 

Zwei April-Auswärtsspiele, zwei Zuschauerrekorde

Zwei MLS-Auswärtsspiele von Miami im April - zwei Zuschauerrekorde. Messi macht’s möglich. Er sorgt nicht nur für Begeisterung und Bestmarken, sondern profitiert auch finanziell davon. Denn Messi ist an den durch ihn generierten Extra-Einnahmen im Ticket- und Trikotverkauf sowie bei den Abos von MLS-TV-Partner Apple beteiligt. So kommt er auf ein Jahreseinkommen zwischen etwa 50 und 60 Millionen Dollar. 

Doch erleben die USA durch ihn nun tatsächlichen einen Soccer-Boom? Knapp zwei Jahre vor der WM im eigenen Land? Oder ist es eben nur eine "Messi-Mania"? Ein personalisierter Hype um einen der besten und prägendsten Spieler der Fußball-Geschichte? Das, so Gressel, werde sich zeigen, wenn der Argentinier nicht mehr in der MLS spiele. Bislang jedenfalls, ergänzt er, wirke es "ein bisschen schon so, dass es eine Messi-Show" sei.