Kiels Trainer Marcel Rapp (l.) freut sich mit seinen Profis Timo Becker, Lewis Holtby und Shuto Machino (v.l.n.r.)

NDR-Sport Holstein Kiel: Top-Team dank Trainer Rapp, aber auch aufstiegsreif?

Stand: 11.12.2023 12:49 Uhr

Nach einem großen Umbruch im Sommer war Holstein Kiel mit vielen Fragezeichen in die Saison gestartet. Jetzt dürfen die "Störche" auf einem Aufstiegsplatz überwintern. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr und hat viel mit Trainer Marcel Rapp zu tun.

Von Johannes Freytag

"Wir haben eine super Energie auf dem Platz, jeder ist bereit, den Extra-Meter zu gehen", sagte der 44-Jährige im NDR Sportclub und fügte hinzu: "Wir sind eine gute Gruppe, können Ausfälle kompensieren - und bringen inhaltlich einen guten Fußball auf den Platz." Das Fazit des KSV-Trainers:

"Wir stehen zu Recht da, wo wir stehen."
— Kiel-Trainer Marcel Rapp

Der jüngste 1:0-Erfolg bei Fortuna Düsseldorf kann dabei als Blaupause für die bisherige Saison der Kieler dienen: In Steven Skrzybski und Benedikt Pichler fehlten die beiden Top-Scorer des Teams, dennoch zeigten die Schleswig-Holsteiner vor allem im ersten Durchgang ein starke Leistung, ließen durch ihr aggressives Pressing die so gefürchtete Düsseldorfer Offensive überhaupt nicht zur Entfaltung kommen. Als die Fortuna dann im zweiten Durchgang besser wurde, hielt Kiel mit Kampfgeist und Leidenschaft dagegen.

Rapp hat sich seit seinem Amtsantritt an der Förde im Oktober 2021 peu à peu seinen Wunschkader zusammengestellt. Im vergangenen Sommer gab es einen riesigen Umbruch, 16 Profis gingen, elf neue kamen. Trotzdem passt es im Team. "Es sind ja auch einige, wichtige Spieler geblieben. Um sie herum können sich die Neuen formieren und weiterentwickeln", so Rapp.

Daten belegen: Rapp macht die Spieler besser

In der Tat haben sich die gebliebenen Profis laut GSN-Daten auf ihren Positionen sogar verbessert. Das gilt für Torhüter Timon Weiner mit einem "Performance-Score" von 59,33 (Vorsaison 46,80) ebenso wie für Finn Porath (56,87/53,90), Jonas Sterner (56,27/52,18), Philipp Sander (63,60/60,47), Lewis Holtby (60,40/57,93), Skrzybski (61,13/59,73) und Pichler (57,20). Rapp ist also tatsächlich ein Trainer, der die Spieler besser macht.

Was ist der "Performance-Score"?

  • Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden beim "Performance-Score" durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • Beim "Performance-Score" sind alle Spieler zunächst einmal auf 0 gesetzt und werden anhand der reinen Leistungsdaten, kombiniert mit Datenmodellen, bewertet.
  • Damit liefert dieser Wert eine Einschätzung, wie gut oder schlecht ein Spieler aktuell spielt.
  • Der "Performance-Score" ist ein Baustein des GSN-Index, der wiederum eine generelle, langfristige Bewertung aller Fähigkeiten, Potenziale und Qualitäten eines Spielers ist.

Zudem zahlt sich Rapps Detailarbeit vor allem mit den jungen Spielern aus: "Ich mag es, wenn er mich damit nervt, wenn er es mir immer wieder sagt", lobt beispielsweise Tom Rothe die kritischen Ansprachen des Coaches. Auch der 19-Jährige, von Borussia Dortmund II ausgeliehen, hat sich zum Leistungsträger (Performance-Score 57,93) entwickelt. Mit Colin Kleine-Bekel (58,07), ebenfalls erst seit Sommer in Kiel, feierte er jüngst sein Debüt in der deutschen U21-Nationalmannschaft.

Auch Arp blüht auf

Ein weiteres Beispiel ist Fiete Arp. Der einst beim HSV als "neuer Uwe Seeler" gehypte Angreifer scheint nach seinem Karriereknick an der Förde endlich wieder ein Umfeld gefunden zu haben, in dem er glänzen kann. Nach holprigem Saisonstart zählt der 23-Jährige nun zum Stammpersonal und hat bereits drei Saisontore erzielt.

Dass er in Düsseldorf Nummer vier fast fahrlässig verpasste, als er allein auf das gegnerische Tor zulief, nahm ihm Trainer Rapp nicht krumm: "Das hat er sich eben fürs nächste Mal aufgehoben." Der Coach weiß "seine Jungs" richtig zu nehmen, egal ob es ein erfahrener Profi ist oder ein jüngerer Spieler: "Inhaltlich bleibt es Fußball. Aber es ist ein Unterschied, ob ich mit einem 18-Jährigen spreche oder mit einem 28 Jahre alten Familienvater."

Es herrsche ein "guter Spirit", das habe er schon im Trainingslager vor der Saison gespürt, sagte der 44-Jährige. Für Routinier Lewis Holtby ist das einer der Erfolgsgründe: "Wenn Du eine Gruppe hast, in der Du Dich wirklich mit allen verstehst und es einfach bockt, zum Training zu kommen, dann wirst Du automatisch mehr Spiele gewinnen als verlieren."

Solide Abwehr, zielstrebige Offensive

Aber es ist nicht die Freude allein, die die KSV-Profis zu Siegen verhilft. Zum Erfolgsgeheimnis zählt auch die Spieltaktik, die vom Trainer verordnet wird. Rapp lässt in einem 3-4-1-2 agieren, das flexibel in ein defensiveres 5-4-1 oder ein offensiveres 3-4-3 verwandelt werden kann.

Die Dreierkette ermöglicht eine solide Abwehr vor allem bei Flanken und langen Bällen. So haben die Kieler Topwerte bei Gegentoren nach Ecken (0,06, Rang 3 in der Liga), Standards (0,38/2.) oder innerhalb des eigenen Strafraums (0,88/3.). 309 von 488 Defensivaktionen waren erfolgreich (2.). Zudem sind die KSV-Profis sehr zweikampffreudig und -stark: Von 222 Zweikämpfen (Platz 2 im Liga-Ranking) gewannen sie 106 (1.), bei den gewonnenen Kopfballduellen ist Kiel mit 50,87 Prozent sogar Liga-Spitze.

Im Vierer-Mittelfeld sind es oft die beiden zentralen Akteure, die für die Balleroberungen (13,13 abgefangene Bälle pro Partie/4.) und das Spiel nach vorne verantwortlich sind. In der Offensive zeigt sich Kiel zudem sehr zielstrebig: 34 Prozent aller Angriffe enden mit einem Torschuss - kein Zweitligist hat eine bessere Quote.

Rapp: "Keiner hat uns auf dem Schirm"

Vier Punkte Vorsprung haben die Kieler schon auf Rang drei - trotzdem drehen sie an der Förde in puncto möglicher Bundesliga-Aufstieg nicht durch: "Wir sind bodenständig genug, um zu wissen, dass es noch ein weiter Weg ist." Rapp genießt es, "in Ruhe" arbeiten zu können: "Keiner hat uns auf dem Schirm."

"Wenn man einen Dritten fragen würde: 'Warum sollte Holstein Kiel aufsteigen?' würde der sagen, es gibt keinen einzigen Grund dafür."
— Marcel Rapp

Zweimal verpassten die "Störche" nur knapp den Bundesliga-Aufstieg - jeweils in der Relegation - 2018 gegen den VfL Wolfsburg, 2021 gegen den 1. FC Köln. Man dürfe dennoch nicht vergessen, wo Holstein Kiel herkomme, mahnte Rapp: "Vor zehn Jahren war man hier noch weit weg vom Profifußball."

Aber: "Der Verein wächst und wächst - aber es geht nicht ganz so schnell, wie die sportliche Entwicklung ist", sagte Rapp. Sein Lob an die Verantwortlichen: "Alle ziehen nach. Infrastrukturell wird es immer besser. Es geht peu à peu voran." Und vielleicht im kommenden Sommer hoch in die Bundesliga.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 10.12.2023 | 22:50 Uhr