HSV-Trainer Tim Walter (v.), im Hintergrund die Sportliche Leitung mit Jonas Boldt (r.) und Claus Costa

2. Fußball-Bundesliga Der HSV und die Wintertransfers - viel Qualität, aber wenig Erfolg

Stand: 30.12.2023 11:50 Uhr

Es ist mal wieder soweit: Am Montag öffnet das Wintertransferfenster - und der HSV braucht mal wieder Verstärkungen. Die Datenanalyse zeigt: In den Zweitliga-Jahren ist im Januar oft viel Qualität nach Hamburg gekommen. Doch der Erfolg hielt sich in engen Grenzen.

Von Florian Neuhauss

Die wichtigste Personalentscheidung ist bereits vor Weihnachten gefallen: Tim Walter bleibt trotz einer durchwachsenen Hinrunde Cheftrainer des HSV. Aber: Beim Dritten der Zweitliga-Hinrunde soll sich vieles ändern. Die defensive Anfälligkeit ist allen Beteiligten ein Dorn im Auge.

Laut Clubangaben dauerte die Hinrundenanalyse zwei Tage lang. Dabei seien "Spielverläufe, Statistiken und Daten, Prozesse rund ums Team und persönliche Eindrücke besprochen" worden. Profifußball-Direktor Claus Costa ließ sich hinterher mit den Worten zitieren: "Wir sind überzeugt, dass wir so die nächsten Schritte machen werden, um als Team noch stabiler, resilienter und erfolgreicher aufzutreten."

Ein neuer Verteidiger und ein Stürmer könnten helfen

Wintertransfers wurden nicht explizit erwähnt. Nach übereinstimmenden Medienberichten schaut sich der HSV aber schon länger auf dem Transfermarkt um. Unsere Datenanalyse von GSN zeigt dabei zwei Baustellen: In der Abwehr fehlt jemand, der zweikampf- und kopfballstark ist und wenig Fehler in seinem Spiel hat. Außerdem täte dem Kader ein Angreifer gut, der in vorderster Linie das (bisher) im HSV-Spiel so wichtige Pressing auch umsetzen kann.

Ein Blick zurück zeigt, dass es dem HSV und zuvorderst Manager Jonas Boldt im Winter regelmäßig gelungen ist, Spieler mit großer Qualität an die Elbe zu lotsen. Mit weniger haben sich die Hamburger nicht zufrieden gegeben: In den bisher fünf Zweitliga-Jahren sind im Winter insgesamt acht Spieler verpflichtet worden. Das zeigt Aktivität, aber auch, dass nicht auf Gedeih und Verderb Transfers getätigt worden sind.

Was ist der GSN-Index?

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

Berkay Özkan (2018/2019), Louis Schaub, Jordan Beyer und Joel Pohjanpalo (2019/2020), Giorgi Chakvetadze (2021/2022), Noah Katterbach, Javi Montero und Andras Nemeth (2022/2023) brachten zum Zeitpunkt ihrer Verpflichtung laut GSN-Index alle locker Zweitliga-Niveau mit - und können heute mindestens eine Liga höher spielen. Angefangen mit Montero (63,20), der mittlerweile beim FC Arouca in Portugal spielt, bis hin zu Beyer (73,17/internationale Klasse), der im Sommer von Borussia Mönchengladbach für rund 15 Millionen Euro in die Premier League zum FC Burnley gewechselt ist.

Nur Pohjanpalo hat wirklich überzeugt

Aber bleibenden - zumindest positiven - Eindruck hat in Hamburg nur Pohjanpalo hinterlassen. Dem Finnen gelangen in 14 Rückrunden-Spielen beim HSV satte neun Tore. Die Leihgabe aus Leverkusen war nach dem verpassten Aufstieg allerdings nicht zu halten. Der Angreifer war auch in Sachen Performance-Score (58,10) der beste Winterneuzugang der Zweitliga-Jahre, der eigentlich hoch veranlagte Özkan (51,38) hingegen mit Abstand der schlechteste.

Was ist der "Performance-Score"?

  • Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden beim "Performance-Score" durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • Beim "Performance-Score" sind alle Spieler zunächst einmal auf 0 gesetzt und werden anhand der reinen Leistungsdaten, kombiniert mit Datenmodellen, bewertet.
  • Damit liefert dieser Wert eine Einschätzung, wie gut oder schlecht ein Spieler aktuell spielt.
  • Der "Performance-Score" ist ein Baustein des GSN-Index, der wiederum eine generelle, langfristige Bewertung aller Fähigkeiten, Potenziale und Qualitäten eines Spielers ist.

Bei Katterbach (Kreuzbandriss) und Nemeth (Knöchelbruch) hatte der HSV großes Verletzungspech. Innenverteidiger Montero - bei nur vier Liga-Einsätzen zwei Gelb-Rote Karten - als übermotiviert zu beschreiben, wäre wohlwollend. Özcan, Schaub, Beyer und auch Chakvetadze wurden allerdings meist nicht nach ihren Stärken beziehungsweise auf ihren Lieblingspositionen eingesetzt. Das führte sicher auch zu ihrer bescheidenen Performance.

HSV-Defensive selten gefordert - und zu oft überfordert

Dass der HSV in dieser Saison bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel musste Torhüter Daniel Heuer Fernandes nach Freistößen und Ecken schon sechsmal hinter sich greifen. Zum Vergleich: St. Pauli hat überhaupt nur ein Standardgegentor kassiert.

Überhaupt agiert der HSV bei seinen Abwehrversuchen oftmals ungeschickt. Der Ballbesitz-Fußball von Trainer Walter führt dazu, dass sein Team vergleichsweise wenig Defensivaktionen hat (427 pro Partie/Rang 17). Und weil die Hamburger davon auch nur 62,76 Prozent gewinnen (Rang 11), sieht der HSV einfach häufig schlecht aus.

"Wunschspieler" Pfeiffer eigentlich zu gut für Liga zwei

Nicht von ungefähr gab es verschiedene Meldungen, Boldt würde an einer Rückholaktion von Patric Pfeiffer (von 2013 bis 2019 beim HSV) arbeiten. Der Innenverteidiger hat nach seinem Wechsel aus Darmstadt nach Bayern bisher beim FC Augsburg keine große Rolle gespielt.

Mit seinen Stärken im Kopfball, beim Tackling, in Sachen Tempo und beim defensiven Eins gegen Eins könnte er eine Soforthilfe sein. Und das nicht nur, weil HSV-Kapitän Sebastian Schonlau erneut verletzt ausfällt. Pfeiffer ist mit einem aktuellen GSN-Index von 72,23 (internationale Klasse) eigentlich viel zu gut für die Zweite Liga. Und zuletzt hieß es aus Augsburg auch wieder, Pfeiffer solle beim FCA bleiben, um sich doch noch durchzusetzen. Das würde dazu führen, dass der HSV von seinem "Wunschspieler" Abstand nehmen und sich umorientieren müsste.

Bekommt Poreba künftig mehr Spielzeit?

Ein weiteres Problem ist das hohe Pressing in Walters Spielidee. Denn das funktioniert nicht wie gewünscht. Gerade mal auf Rang elf liegt der HSV bei den Pressingaktionen im letzten Drittel. Und dabei kann der Gegner im Schnitt zehn Pässe spielen, bevor die Hamburger dazwischenkommen (Rang 17).

Das führt zu einem hohen Druck auf die Viererkette und auch auf Jonas Meffert, der meist als einziger Sechser vor der Abwehr agiert. Er gewinnt in dieser Saison lediglich 55,81 Prozent seiner Defensivaktionen - womit in der Liga gleich zwölf Spieler auf seiner Position besser sind als er. Sommerzugang Lukasz Poreba, der bisher nur auf sechs Saisoneinsätze kommt, könnte die Defensive deutlich stabilisieren (mit 69,79 Prozent gewonnener Aktionen auf Rang sieben).

Holt der HSV auch noch einen neuen Stürmer?

Mittelstürmer Robert Glatzel, auf den das HSV-Spiel eigentlich mehr ausgerichtet werden müsste, genügt in dieser Saison in Sachen Pressing genauso wenig den hohen Ansprüchen wie Bakery Jatta, Jean-Luc Dompé, Ransford-Yeboah Königsdörffer oder Levin Öztunali. Bleibt Walter bei seiner Pressing-Idee müsste wohl auch hier ein neuer Spieler her. Typ: Pressingstürmer.

Wintertransfers waren meist schon im Sommer wieder weg

Transfergerüchte dazu gibt es bisher nicht. Dafür soll der HSV mit dem überaus talentierten Caspar Jander vom MSV Duisburg einen zentralen Mittelfeldspieler auf dem Zettel haben. Der 20-Jährige ist ein Allrounder, der noch am Anfang seiner Karriere steht. Eine Soforthilfe wäre er sicher nicht - doch ein Transfer mit Weitblick, läuft der Vertrag des U20-Nationalspielers in der Dritten Liga doch im Sommer aus.

Weitblick haben die HSV-Transfers in den Zweitliga-Wintern bisher kaum gezeigt. Mit Nemeth spielt nur noch einer der Winter-Zugänge beim HSV. Alle anderen kamen lediglich als Leihgaben ins Volksparkstadion. Und bis auf Özkan - den die Hamburger vom VfB Stuttgart fest verpflichteten, nur um ihn zwei Monate später selbst zu verleihen und dann abzugeben - blieben auch alle nur für die paar Monate bis zum Saisonende.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 04.02.2024 | 22:50 Uhr