hessenschau vom 17.04.2023

"Passt nicht zu unseren Werten" "Passt nicht zu unseren Werten": Kasseler Skateboard-Verein will nicht mehr Olympia-Stützpunkt sein

Stand: 19.04.2023 10:36 Uhr

Der Kasseler Skateboard-Verein Mister Wilson gibt seinen Titel als einer von fünf deutschlandweiten Stützpunkten für Olympia ab. Grund dafür ist die Vergabe der WM an die Vereinigten Arabischen Emirate.

"NOlympia - Wir sind raus!" - Diesen Satz postete der Skateboard-Verein Mister Wilson vor einigen Tagen bei Instagram, dazu ein Video, wie die Metallplakette mit dem Schriftzug "Regionalstützpunkt Westdeutschland" neben der Tür der Skatehalle in Kassel abmontiert wird.  

Auf der Website des Vereins liest man über die Gründe für den Rückzug. Man habe sich 2018 in der Hoffnung, einen Einfluss auf die entsprechenden sportlichen und olympischen Gremien zu haben, für den Regionalstützpunkt entschieden. Schon damals hatte es viele Stimmen im Verein gegeben, die Skateboarding nicht als profitorientierten, olympischen Leistungssport sehen wollten.  

Dieser Meinung hätten sich immer mehr Mitglieder angeschlossen, erinnert sich Sozialarbeiter und 1. Vorsitzender Justus Hrosny. Beim Skateboarden gehe es um Werte wie Vielfalt und Freiheit, konkretisiert er. Olympia sei hingegen vor allem gekennzeichnet durch ein strenges Regelwerk und sehr viel Struktur.

Die kurzfristige Vergabe der Skateboard-Weltmeisterschaft in die Vereinigten Arabischen Emirate habe, so Hrosny, "das Fass zum Überlaufen gebracht". Dass jetzt Fördergelder flöten gehen, nehmen die Verantwortlichen in Kauf.

Unvereinbar: Olympia und die Werte der Skateboardszene

Kritik am WM-Ausrichter liefert der Verein in einem zweiten Statement. Die gesetzlichen und kulturellen Bedingungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten stünden im direkten Widerspruch zur Skateboardszene. Diese sei von einer großen Vielfalt an Menschen geprägt, die miteinander Skateboard fahren, heißt es dort.

Dagegen müssten Menschen, deren Verhalten als LGBTQ+ gedeutet werden könnten, in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit empfindlichen Strafen bis zum Tod rechnen.

Die Kritik an der WM-Vergabe sei im Prinzip dasselbe, wie die Kritik an der Fußball-WM - nur mit dem Unterschied, dass Mister Wilson Konsequenzen gezogen habe. "Das sind Werte, die nichts mit dem zu tun haben, was wir als Skateboard-Verein in Kassel darstellen wollen", erläutert Hrosny und kritisiert auch die Kurzfristigkeit der Entscheidung. Ursprünglich sollte die WM in Brasilien stattfinden, dann gab es die Kehrtwende.

Skateboardverband verliert wichtigen Trainingsstandort

Seit 2018 war der Verein in der Kesselschmiede, einem Sport- und Kulturzentrum im Stadtteil Rothenditmold, Regionalstützpunkt für Skateboarding und mit einer Fläche von jeweils 1.000 Quadratmetern Innen- und Außenfläche eine der größten Skateboard-Hallen Deutschlands.

Für den deutschen Skateboardverband geht mit der Entscheidung in Kassel ein Trainingsstandort verloren. Hans-Jürgen Kuhn, langjähriger Vorsitzender der deutschen Skateboardkommission im Deutschen Rollsport und Inline-Verband (DRIV), glaubt nicht, dass die Entscheidung des Vereins negative Auswirkungen haben wird.

Für den Kasseler Verein bedeute der Wegfall des Titels keinen wirklichen Verlust, außer dass man jetzt nicht mehr in einem Atemzug mit der olympischen Leistungssportförderung genannt werde, so Kuhn. Die Entscheidung habe vor allem Auswirkungen auf die Nachwuchstalente, diese könnten jetzt weder durch regionale Trainer betreut werden, noch wohnortnah trainieren.

Kritik: Mit Geld öffentliche Reputation kaufen

Kuhn, selbst Skateboarder der ersten Stunden, sieht die WM-Vergabe ebenfalls kritisch. World Skate, der internationale Dachverband verschiedener Rollsportarten, habe aus undurchschaubaren Gründen die WM-Lizenzen kurzfristig in die Vereinigten Arabischen Emirate gegeben.

Das sei überraschend, zumal der Wettbewerb somit "in Länder, von denen man noch nie gehört hat, dass Skateboarding dort eine Rolle spielt und dass es dort aktive Skateboarder gibt", vergeben wurde. Es sei bekannt, dass diese Länder sich mit viel Geld Weltmeisterschaften als Teil der öffentlichen Reputation kauften, meint Kuhn.

Das ist das allseits bekannte Sports-Washing, was da betrieben wird. Und es ist schade, dass Skateboarding dafür missbraucht wird. Justus Hrosny, 1. Vorsitzender Skateboard-Verein Mister Wilson

Auch Hrosny glaubt, bei World Skate, der die Weltmeisterschaft und die Olympiavorbereitungen organisiert, geht es nicht mit rechten Dingen zu. Es sei relativ klar, dass die Entscheidung korrupte Strukturen aufweise. Man habe weder mit dem Deutschen Verband darüber gesprochen, noch habe man selbst als Olympia-Stützpunkt ein Mitspracherecht gehabt, so Hrosny. Er vermutet das "allseits bekannte Sports-Washing".

Das sagen Kasseler Skateboarder zu der Entscheidung

Bei Skaterinnen und Skatern in der Kasseler Halle scheint die Entscheidung gut anzukommen. Eine WM sei eine gute Sache, wenn es darum gehe, zusammenzukommen und Skateboardfahren zu fördern, meint etwa Julian Göttlich. Es komme allerdings darauf an, wie das umgesetzt werde.

Bei einer WM in den Vereinigten Arabischen Emiraten könne man nicht dafür garantieren, dass Menschenrechte beachtet werden, vor allem für queere oder weiblich gelesene Menschen. Es sei schade, dass das sportliche Event davon überschattet werde, aber das sei viel wichtiger als der Sport an sich.

Auch Skaterin Eve Greta Kiwitt unterstützt den Beschluss, sich nach der WM-Entscheidung aus dem Olympiageschäft zurückzuziehen. Der Wettbewerbsgedanke passe nicht zu ihrem Lieblingshobby, sagt sie, es gehe darum, miteinander zu skaten, nicht gegeneinander.

Nicht nur Skateboard-Verein, sondern auch Jugendzentrum

Und so wird im Verein dem Titel des Olympia-Regionalstützpunktes nicht lange hinterhergetrauert. Man begreife sich mehr als Jugendzentrum und wolle sich jetzt wieder voll auf die Sozialarbeit vor Ort konzentrieren, so Hrosny.

Er hofft, dass die Szene lauter wird und geschlossen dahinter steht, dass Skateboarding und Olympia nicht zusammenpassen. Sein größter Wunsch: "Dass die ganze Szene sagt: Bis hierhin und nicht weiter! Adios Olympia!"