Radkontrolle bei der Tour de France

Verschärfte Technikkontrollen Die Tour de France rückt näher an die Formel 1

Stand: 28.06.2023 11:51 Uhr

Die UCI führt zur Tour de France verschärfte Technikregularien ein. Jeder Rennstall muss jedes Einzelteil von Rädern und Bekleidung vorher anmelden.

Von Tom Mustroph

Das soll für Transparenz sorgen wie schon beim großen Techniksport Formel 1, und letztlich auch für mehr Sicherheit. Die Technikspezialisten in den Teams haben deshalb mehr Arbeit, begrüßen aber die Regelungen.

Verschärfte Materialkontrolle vor dem Start in Bilbao

Hektisches Treiben ist vor dem Start der Tour de France in Bilbao programmiert. Die Kontrolleure des Weltverbands UCI werden nicht nur mit ihren sattsam bekannten Scannern die Rahmen der Rennmaschinen auf – trotz E-Bike-Boom – weiterhin verbotene Elektromotoren untersuchen. Sie werden vielmehr mit langen Excel-Tabellen versehen jedes einzelne Teil des Equipments untersuchen. Und wenn das, was sie sehen, mit dem übereinstimmt, was in den Tabellen steht, werden sie einen Prüfaufkleber auf den Rahmen der Rennmaschinen setzen – ähnlich wie der TÜV bei Kraftfahrzeugen.

Der Unterschied ist nur: Die TÜV-Plakette hält Wind und Wetter stand. Der UCI-Aufkleber indes ist schnell abgewaschen. "Das wurde ja bei der Tour de Romandie schon ausprobiert. Da hielt der Aufkleber genau zwei Tage, er ist beim Waschen mit dem Kärcher abgegangen", erzählt Rolf Aldag, Head of Performance beim deutschen Rennstall Bora-hansgrohe, der Sportschau.

Mehr Sicherheit

Die Klebefähigkeit des Kontrollstickers scheint derzeit allerdings das einzige größere Problem mit den neuen Regelungen zu sein. Ansonsten begrüßen Manager, Technikvorstände und Technikentwickler der Rennställe ausnahmslos die Neuerung. "Die Regeln sollen unseren Sport besser und vor allem sicherer machen", sagt Brent Copeland, Manager des australisch-saudischen Rennstalls Jayco AlUla, der Sportschau. "Wir investieren viel Geld in unsere Athleten. Wir haben auch eine große Verantwortung, ihnen das beste Material zu geben für die bestmögliche Karriere. Wenn sie stürzen, fallen sie oft für Monate aus. Und deshalb sollten wir vermeidbare Situationen wie Materialfehler ausschließen", ergänzt der Ex-Profi aus Südafrika.

Ähnlich sieht es Rolf Aldag, bei Bora-hansgrohe zuständig für die Entwicklung von Technik und Material. "Es ist einfach nur konsequent für einen Sport, in dem Technik eine so große Rolle spielt. Da will man nicht irgendeinen Prototypen haben, der vielleicht in tausend Teile zerfliegt und damit sehr gefährlich ist", sagt Aldag. Den zusätzlichen Aufkleber an den Rahmen sieht er – obgleich das Ganze nicht im Windkanal getestet wurde wie sonst jedes Detail an Rad, Kleidung und Sitzposition – nicht als problematisch an.

Mehr Arbeit

Den Aufwand für die Teams halten die, die ihn leisten müssen – Techniker und Technikchefs -  für überschaubar. "Das ist nicht eine so große Veränderung. Es ist jetzt nur anders strukturiert und man muss es auf eine Plattform hochladen. Die Information ist einfach zentralisiert", meint Piet Rooijakkers, Technikverantwortlicher beim Rennstall DSM, zur Sportschau.

"Wir haben ja schon die Listen, auf denen alles steht. Man muss das nur etwas anpassen und dann auf die Plattform bringen", meint auch Koen de Kort vom Rennstall Trek Segafredo, der bei der Tour de France erstmals als Lidl-Trek auftreten wird – und natürlich keinesfalls mit Discounterware unterm Hintern ins Rennen geht.

Mehr Transparenz

Der frühere Profi, ein langjähriger Klassikerpartner von John Degenkolb übrigens, sieht in den neuen Regelungen vor allem eine verbesserte Kontrollmöglichkeit für die UCI. "Die wurden früher von den technischen Entwicklungen oft überrumpelt. Viele Hersteller kamen mit neuen Entwicklungen zur Tour. Durch die frühe Anmeldung des Materials hat die UCI jetzt mehr Zeit, das zu prüfen, ob es auch den vorgegebenen technischen Standards entspricht", meint er zur Sportschau.

In den technischen Standards des Weltverbands ist vieles vorgeschrieben, vom Mindestgewicht der Rennmaschinen bis zur Länge der Socken, die wegen des teils sogar für Weltraumfahrer der NASA entwickelten Materials aerodynamische Vorteile im einstelligen Wattbereich bringen können. Auch die Länge der Helme ist festgelegt. Sie dürfen die Länge von 45 cm nicht überschreiten. Das stellt auch einen vorläufigen Stop im Wettbewerb der am meisten nach Alien aussehenden Zeitfahrhelme dar.

Die Angaben, die die Teilnehmerteams der Tour de France bis zum 2. Juni abliefern mussten, und die Rennställe der Tour de France Femmes bis 17. Juni, sind ausgesprochen detailliert. Für Rahmen, Räder, Kleidung und Helme müssen sowohl Marke, Modell und Größe als auch Informationen zum Hersteller und Händler sowie Kaufpreis übermittelt werden. Bei der Kleidung geht es bis hin zu Socken und Überziehern.

Mehr Aufklärung

Bora-hansgrohes Technik-Chef Aldag sieht in all dem Papierkram vor allem einen wichtigen Schritt bei der Aufklärung von Pannen und Unfällen. "Ich fände gut, wenn es das Recht gäbe, das Material auch sicherzustellen für eine Untersuchung. Auf Videobildern hat man manchmal ja gesehen, dass ein Rad schnell mal zur Seite geschafft wurde. Wenn irgendetwas passiert oder ein berechtigter Verdacht besteht, muss man das Material konfiszieren und unabhängig untersuchen können", fordert Aldag. Die neue Meldepflicht kann also ein wichtiger Schritt in Richtung verbesserte Sicherheit sein.

Nur eine Ungewissheit bleibt: Ob alle Teams die Angaben rechtzeitig und vollständig übermittelt haben, wollte die UCI auf Nachfrage der Sportschau nicht mitteilen. Da kann man nur hoffen, dass die Prüfer vor Ort in Bilbao besser durch die ganze Fülle der Informationen durchblicken.