Peter Sagan
Tourreporter

Letzte Tour für Peter Sagan Der leise Abschied des Radsport-Punks

Stand: 22.07.2023 08:32 Uhr

Peter Sagan hat die Tour de France im vergangenen Jahrzehnt geprägt. Der Slowake war Vorreiter des modernen Radsports auf und abseits der Straße. Sein Abschied vom wichtigsten Radrennen der Welt vollzieht sich leise.

Von Michael Ostermann, Poligny

Es ist natürlich nicht still rund um Peter Sagan. Am Mannschaftsbus seines Teams steht morgens ein großer Lautsprecher, aus dem Rockmusik schallt. Und wenn Sagan den Bus verlässt, stehen da auch vergleichsweise viele Leute, um ein Foto zu machen. Aber es ist längst nicht mehr der Wirbel, den Sagan früher verursachte. Und im Ziel ist dann auch meist nur noch das slowakische Fernsehen interessiert daran, was er zur Tagesetappe zu sagen hat.

Sagan wirkt geschafft

Platz acht im Sprint auf der 11. Etappe ist die beste Platzierung, die bei dieser Tour de France für Sagan zu Buche steht. Die 19. Etappe am Freitag (21.07.23) beendete er im zweiten Feld als 149. von den 151 sich noch im Rennen befindenden Fahrern mit 16'45 Minuten Rückstand auf den Tagessieger Matej Mohric. An einem Tag, bei dem er früher zu den Favoriten gezählt hätte. Aber diese Zeiten sind Vergangenheit. Und so ist es dann doch ein eher leiser Abschied des Peter Sagan von der Tour.

"Ich bin froh, dass es jetzt fast vorbei ist", sagt Sagan im Gespräch mit der Sportschau. Und man muss das nicht allein auf die Tour de France beziehen, sondern auf seine Karriere als Radprofi generell. Am Ende der Saison wird er aufhören, zumindest auf der Straße. Und man merkt ihm an, dass es an der Zeit ist. Er wirkt geschafft nach fast 14 Jahren in der World Tour, in denen er den Radsport und die Tour maßgeblich geprägt hat.

"Nach all diesen Jahren fühlt man sich wahrscheinlich ein bisschen müde", sagt Daniel Oss, "besonders einer wie er, der immer in dieser Superstar-Position war." Oss begleitet Sagan schon seit vielen Jahren. Der Italiener war schon der Mann an Sagans Seite als der sein Debüt in Frankreich gab. "Ich hab ihn nach oben kommen sehen, gesehen wie er den Radsport verändert hat und zum Star wurde", sagt Oss.

Sieben Mal das Grüne Trikot in Paris

Es war ein rasanter Aufstieg: 2012 fuhr Sagan zum ersten Mal die Tour de France. Und zu sagen, dass der damals 22 Jahre alte Radprofi aus der Slowakei das Rennen direkt rockte, wäre noch eine Untertreibung. Sagan gewann drei Etappen, egal ob im Sprint oder mit Punch auf einer steilen Schlussrampe. Er wurde Zweiter auf einem Teilstück in den Pyrenäen mit zwei Anstiegen der ersten Kategorie. Und natürlich gewann er am Ende in Paris das Grüne Trikot des Punktbesten.

Peter Sagan gewinnt die 2.Etappe der Tour de France 2012

Peter Sagan bei seinem ersten Touretappensieg 2012

Das Maillot Vert wurde in den Jahren darauf zu seinem bevorzugten Kleidungsstück bei der Tour. Sieben Mal trug er es zwischen 2012 und 2019 in Paris - ein einsamer Rekord. Und vielleicht hätte er es sogar ein achtes Mal gewonnen, wenn er 2017 nicht disqualifiziert worden wäre, nachdem er in einem Sprint mit Mark Cavendish kollidiert war. Die Jury machte Sagan für den Crash verantwortlich, der auch für den verletzten Cavendish das Tour-Aus bedeutete. Ein halbes Jahr später revidierte der Weltverband UCI das Urteil und wertete das Geschehen als normalen Rennunfall.

Sagan war - wie andere auch - nicht zimperlich in den Sprintfinals, das passte zu seinem Image als Radsport-Punk. Ein Rüpel mit brillanter Radbeherrschung. Anfangs mit kurzen Haaren und glattrasiert, später mit langen Haaren und Vollbart. Und mit Jubelposen, die mal Forrest Gump imitierten oder bei denen er den Bizeps aufpumpte. Auf schweren Bergetappen im Gruppeto erfreute er die Fans am Streckenrand auch schon mal mit Wheelies am Schlussanstieg, etwa nach Alpe d'Huez. Manchmal griff er allerdings auch mächtig daneben, etwa als er einer Frau auf dem Podium der Flandern-Rundfahrt an den Hintern packte.

Wegbereiter des modernen Radsports

Mit seinen sportlichen Erfolgen und seinem Auftreten in den Sozialen Netzwerken aber war Sagan stilbildend für den modernen Radsport. Fahrertypen wie Tom Pidcock, Wout Van Aert oder sogar Tadej Pogacar hat Sagan vorwegenommen oder vielmehr den Weg geebnet. Er fuhr offensiv, orientierte sich nicht an herkömmliche taktische Vorgaben und konnte auf verschiedenen Terrains gewinnen. Denn Sagan holte ja nicht nur zwölf Etappensiege bei der Tour, sondern war auch dreimal Weltmeister und gewann mit der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix zwei der fünf "Monumente" des Radsports.

Nebenbei sorgte er mit besonderen Auftritten und Videos für Aufmerksamkeit abseits des Rades. So imitierte er mit seiner damaligen Frau Katarina John Travoltas und Olivia Newton Johns Tanzeinlagen im Film "Grease". So etwas hatte der Radsport bis dahin noch nicht gesehen. Und wenn Tadej Pogacar heutzutage am Ruhetag ein Instagram-Video postet mit einem Baguette in der Trikottasche, dann war Sagan auch da der Vorreiter. Als Superstar hob er auch das deutsche Team Bora-hansgrohe, für das er von 2017 bis Ende 2021 fuhr, auf eine neue Stufe.

Die Schattenseiten des Radsport-Rockstar-Daseins

Das alles ist nicht spurlos an ihm vorrübergegangen. Denn auch, wenn es immer so leicht aussah, für Sagan war der Radsport genau so harte Arbeit wie für alle anderen. Eine Strapaze, auch und gerade bei der Tour de France. "Ich weiß aus Erfahrung und mit meiner Vergangenheit, dass es viel Spaß macht zu gewinnen und etwas zu erreichen. Aber frag egal wen, der mehr als zehnmal die Tour gefahren ist, ob sie es immer noch mögen, wird die Antwort nein sein", hat Sagan vor der Tour der belgischen Zeitung Het Laatse Nieuws gesagt. "Es ist das größte Radrennen der Welt, es gibt viel Druck. Es geht mehr darum, alles richtig zu machen, als um Spaß. Die Tour ist kein Spaß."

Das aufreibende Leben des ersten Rockstars des Radsports hatte auch seine Schattenseiten. Von seiner Frau hat er sich nur ein Jahr nach dem Grease-Video und der Geburt des gemeinsamen Sohnes getrennt. Vor der Tour in diesem Jahr wurde Sagan wegen Trunkenheit am Steuer in seiner Wahlheimat Monaco der Führerschein entzogen. Nach einer durchzechten Nacht im Mai und wenig Schlaf hatte er noch 1,46 Promille im Blut.

Nun steht er kurz vor dem Ende seiner letzten Runde durch Frankeich. Zeit darüber nachzudenken, wie er die Tour de France, wie er den Straßenradsport geprägt hat, bleibt da nicht. "Es ist wichtig im Hier und Jetzt zu sein und nicht in der Vergangenheit", sagt Sagan. "Trotzdem versuche ich, meine letzte Tour de France zu genießen." Nach Paris will er 2024 aber noch einmal zurückkehren - auf dem Mountainbike bei den Olympischen Spielen. Danach dürfte dann endgültig Schluss sein für den müden Radsport-Punk.