Tour de France Femmes Internationaler Radsport-Boom droht Bundesliga abzuhängen

Stand: 26.07.2022 08:51 Uhr

Der internationale Frauen-Radsport boomt. Doch für die Radsport-Bundesliga ist das nicht nur positiv. Die Schere geht immer weiter auseinander.

Hannah Fandel und Victoria Stelling haben eine gute Zeit. Denn der Frauen-Radsport - in Deutschland lange verpönt, teilweise sogar verboten - ist spätestens mit dem Start der Tour de France Femmes am Sonntag auf dem besten Weg, sich aus der Nerd-Ecke zu verabschieden. "Früher war es immer so, dass man komisch angeschaut wurde. Auch, weil viele immer auf den Doping-Skandal zurückgeschaut haben. Mittlerweile hat man den Eindruck, dass es mehr und mehr Leute echt cool finden und man nicht wie so ein Außerirdischer wirkt, der einen absurden Sport macht", sagt Hannah Fandel.

Vorbei die Zeit, in der so wenige Frauen mitfahren wollten, dass reine Frauen-Rennen für Veranstalter unattraktiv waren und sie stattdessen gemeinsam mit Männern oder Junioren fahren mussten: "Vor allem in den letzten beiden Jahren und auch in diesem Jahr gibt es immer mehr Rennen, wo dann auch nochmal extra Frauen-Felder gestartet werden", sagt Fandel.

Endlich nicht mehr alleine am Berg

Vor allem auf internationaler Ebene gibt es im Frauen-Radrennen mehr Rennen, mehr Zuschauer und höhere Prämien als je zuvor. Die 2016er Reform der UCI-World-Tour für Frauen machte all das möglich. "Das finde ich ziemlich schön", sagt Fandel. Auch im Breitensport bekommt Radrennen für Frauen viel mehr Zulauf: "Es gibt mehr Klubs und Vereine, die eigene Frauen-Teams haben", meint Stelling.

Als Fandel und Stelling mit dem Radsport begonnen haben, waren sie häufig die einzigen Frauen und mussten sich erst einmal den Respekt der Jungs erkämpfen. "Das fängt schon im Training an, dass man sich da durchboxen muss." Und spätestens am Berg machte sich bemerkbar, dass die Jungs mit noch mehr Power in die Pedale treten konnten. "Blöde Sprüche gab's da keine. Aber wenn sie halt am Berg davonfahren, hätte man schon gerne jemanden dabei, der mit einem langsamer da hochfährt", sagt Stelling. "Aber Frauen können sich auch quälen", schiebt Fandel hinterher.

Internationale Fortschritte, Stagnation in der Bundesliga?

Trotz des allgemeinen Fortschritts im Frauenradsport ist den beiden Bundesliga-Fahrerinnen nicht nur zum Feiern zumute. Denn die Lücke zwischen den internationalen Teams und der Bundesliga wird immer größer. Der internationale Radsport ist in unterschiedliche Klassen eingeteilt. Ganz oben fahren die "World Teams", deren Fahrerinnen bei den World-Tour-Klassikern in ganz Europa und zweimal in China starten. Die "Continental Teams" fahren ihre Meisterschaften jeweils in Afrika, Amerika, Asien, Europa und Ozeanien aus. Außerdem werden sie zu WorldTour-Rennen eingeladen, die beiden Besten sind automatisch dafür qualifiziert.

Seit der Reform der World-Tour haben sich dort Gehälter, Prämien und Ausstattung der Frauen-Teams immer mehr dem Niveau der Männer angepasst. Unterhalb der World-Tour sind die Unterschiede jedoch immens: "Vor allem wenn man in Conti Teams schaut, da verdienen die Männer schon ganz gut - genug, um wenigstens zu überleben", sagt Fandel. "Frauen bekommen eigentlich fast gar kein Geld. Die müssen dann Materialkosten und Reisekosten selber tragen."

Trainieren wie die Profis, Reisen wie die Amateure

Auch Hannah Fandel und Victoria Stelling sind keine Profis. Zwar sitzen die beiden jede Woche mehrere Stunden auf dem Rad, fahren teilweise 100 Kilometer am Tag und bekommen Rennräder und Material von renommierten Firmen gestellt. Auch Reisekosten werden zu großen Teilen vom Radsport-Team Stuttgart und dessen Sponsoren bezahlt. "Doch im Großen und Ganzen ist es eher so, dass wir noch Geld mitbringen", sagt Victoria Stelling. Die 20-Jährige studiert Fitness-Ökonomie an der Uni Zürich und komplettiert das duale Studium in einem Fitnessstudio in Gottmadingen. Hannah Fandel (24) studiert Medizin in Tübingen.

Und so sehr die beiden die Entwicklung der World-Tour feiern, so sehr befürchten sie, dass die Frauen-Bundesliga sportlich im internationalen Vergleich abgehängt wird. Das Problem: Die Bundesliga-Fahrerinnen fahren gemeinsame Rennen mit dem Nachwuchs. Dafür wurde die Renndistanz auf 85 Kilometer verkürzt. Der Vorteil für die Veranstalter: Sie haben ein größeres Starterinnenfeld und müssen die Strecke nicht so lange sperren. Frauen-Rennen werden dadurch günstiger und sind leichter zu bewältigen. Der Vorteil für die Juniorinnen: Sie profitieren von dem stärkeren Feld.

Der internationale Erfolg birgt Probleme für die Bundesliga

Internationale Rennen sind jedoch auf circa 120 Kilometer angesetzt. "Der Unterschied zu einem internationalen Rennen ist so natürlich immens", erklärt Victoria Stelling, "Da fällt dann auch die Umstellung nicht immer leicht." Hinzu kommt, dass die Startplätze bei internationalen Rennen immer begehrter sind, "daher fällt es uns immer schwerer, Startplätze für unsere ambitionierten Fahrerinnen zu bekommen", sagt Olaf Janson, Teammanager des Radsport-Teams Stuttgart.

Hannah Fandel befürchtet daher über kurz oder lang eine Art Fachkräfte-Mangel: "Die Bundesliga hat keinen hohen Anspruch. Und es bringt einer Fahrerin mehr, UCI-Rennen zu fahren, weil man dann Punkte sammelt und dann im nächsten Jahr Chancen auf ein besseres Team hat." Fandel wünscht sich daher auch in Deutschland "mehr Rennen, längere Rennen und schwierigere Rennen". Dennoch wollen die beiden nicht alles schlecht reden, was da gerade im internationalen Radsport passiert: "Natürlich ist die Entwicklung, wie sie gerade im Rennrad-Sport läuft, vielleicht auch Vorbild für andere Sportarten, wo man auch ein bisschen mehr machen könnte."

2. Etappe - die Zusammenfassung

Sportschau, 25.07.2022 15:31 Uhr