Andi Goldberger beim Ötztaler Radmarathon

Ötztaler Radmarathon "Brutal schwer" - Faszination und Leiden beim "Ötzi"-Radrennen

Stand: 04.07.2023 14:19 Uhr

Während die Profis bei der Tour de France um Sekunden kämpfen, geht es für die Hobbyradler am Wochenende beim Ötztaler Radmarathon eher ums Ankommen. Das extrem herausfordernde Rennen ist in der Szene legendär.

Andi Goldberger hat sich einiges vorgenommen für den kommenden Sonntag (09.07.2023): "Ich möchte endlich mal die schöne Landschaft genießen", sagt der ehemalige Skisprung-Star vor seinem Start beim Ötztaler Radmarathon. Der heute 50-Jährige - in den 90ern zweimaliger Weltmeister - startet in diesem Jahr schon zum fünften Mal beim "Ötzi", wie der Radklassiker in der Szene ebenso liebe- wie respektvoll genannt wird. "Ich konnte in diesem Winter nicht so viel trainieren. Daher hab ich mir diesmal keine Zeit als Ziel gesetzt, sondern eher das Ankommen. Und eben: Endlich auch mal auf die schöne Landschaft schauen", so Goldberger.

Extrem schwer, extrem lang

Der Ötztaler Radmarathon findet in diesem Jahr zum 42. Mal statt, in der Szene der Hobbyradler ist er legendär. Seine enorme Länge (228 Kilometer), vor allem aber sein äußerst herausforderndes Profil mit nicht weniger als 5.550 zu erklimmenden Höhenmetern machen ihn zu einem der schwersten Eintagesrennen für Breitensportler überhaupt. Und mit Sicherheit zu dem Bekanntesten.

Um die 30.000 Anmeldungen registrieren die Veranstalter jedes Jahr ab November, fahren dürfen bei dem Rennen, das morgens um 6.30 Uhr im Skiort Sölden mit einem mächtigen Böllerschuss gestartet wird, allerdings immer nur gut 4.000 Sportler. Seit Jahren hat das ein Hoffen und Bangen in der Radsport-Hobbyszene zur Folge - die Startplätze werden im April per Losverfahren vergeben.

"Gänsehaut-Moment" für Andi Goldberger

Ex-Skispringer Goldberger erhält wegen seines Prominenten-Status eine Wildcard und kann sich noch gut an seinen ersten Start beim "Ötzi" erinnern. "Bei meinem ersten Start war ich so verblüfft, dass auch der Letzte so bejubelt wird. Er kam mit einer Polizei-Eskorte nach Sölden, direkt zur Siegerehrung, wo Tausende Fans auf ihn warteten. Das war für mich ein richtiger Gänsehaut-Moment: Jeder ist ein Sieger, der den Ötztaler überhaupt schafft."

Start des Ötztaler Radmarathons in Sölden

Start des Ötztaler Radmarathons in Sölden

Insgesamt hat es Goldberger vor allem die enorme sportliche Herausforderung angetan: "Das mit dem Genießen ist schon so eine Sache, normal kämpft jeder mit sich selbst. Was mir beim Ötzi so imponiert, ist der Zusammenhalt unter den Fahrerinnen und Fahren. Bei einer Panne oder wenn man etwas zu trinken braucht, da hilft jeder dem anderen, das ist schon sehr beeindruckend."

Landertinger: "Beeindruckt von der Härte"

Neben Goldberger starten eine Handvoll weiterer Prominenter bei dem Radklassiker, der diesmal erstmals schon im Juli gefahren wird, nachdem er jahrelang Ende August als Saisonabschluss gesetzt war. Mit dabei ist auch Ex-Biathlet Dominik Landertinger. Der Weltmeister von 2009 beendete 2021 seine Leistungssport-Karriere - im selben Jahr war er erstmals beim Ötztaler mit am Start. "Ich bin während meiner Karriere im Sommer immer schon aufs Rad umgestiegen - zum Grundlagentraining. Daher war der Ötztaler für mich immer ein Traum. Bei meinem ersten Start 2021 war ich dann beeindruckt von der enormen Härte dieses Rennens."

Pässe des Ötztaler Radmarathons
Pass Länge Höhenmeter
Kühtai 18 km 1.200
Brenner 37,5 km 780
Jaufen 15,5 km 1.130
Timmelsjoch 29 km 1.967

Landertinger absolvierte die Strecke bei seinem ersten Versuch in gut neun Stunden - lag damit im Mittelfeld des Starterfeldes. Die schnellsten schaffen die Distanz in gut sieben Stunden, die meisten Teilnehmer kommen nach zehn bis zwölf Stunden Fahrzeit wieder in Sölden an. "Die Belastung beim Ötztaler ist mit einem Weltcuprennen im Langlauf nicht zu vergleichen", findet Landertinger. "Während man im Skiwettbewerb kurzzeitig über die Leistungsgrenze geht und Blut schmeckt, kommt die Erschöpfung beim Ötztaler eher schleichend. Die enorme Länge zieht einem irgendwann sämtliche Energie raus", so der 35-Jährige.

Glücksmomente im Ziel

Wie die meisten der "Rookies" wurde Landertinger bei seinem Ötzi-Debüt irgendwann doch "kalt erwischt": "Der schönste Moment vor zwei Jahren war für mich die Zieldurchfahrt, nachdem ich am Timmelsjoch, dem letzten Berg, körperlich über meine Grenzen gehen musste. Ich hoffe, dass ich heuer in Sölden wieder solche Glücksmomente erleben werde."

Ötztaler Radmarathon am Timmelsjoch

Das Timmelsjoch - hier wird's richtig hart

Ausgetragen wird das heute in der Szene vermutlich bekannteste Hobbyrennen seit 1982. Damals gingen gut 100 Hobbyradler um Erfinder Heli Meier an den Start, um das scheinbar Unmögliche zu schaffen: die vier großen Alpenpässe rund um Innsbruck an einem Tag abzuradeln. Rund die Hälfte der damals als "wilde Hunde" betitelten Starter kam ins Ziel - das Rennen war geboren.

Seit 2003: Start und Ziel in Sölden

Mit der Zeit veränderte sich die Streckenführung nur geringfügig, seit 2003 heißt der Ablauf: Sölden - Kühtai - Innsbruck - Brenner - Jaufen - Timmelsjoch - Sölden. Vor allem der letzte Anstieg auf das fast 2.500 Meter hoch gelegene Timmelsjoch entpuppt sich für die meisten als regelrechte Qual. Die kräftezehrende Strecke von 29 Kilometern wartet mit einer Steigung von 14 Prozent und 1.967 Höhenmetern auf.

Die Herausforderung besteht dabei nicht nur im alleinigen Bezwingen dieses Monstrums - man muss das Ganze auch noch in einem extrem herausfordernden Zeitlimit schaffen. Wer nicht spätestens um 18 Uhr den Kontrollpunkt "Schöne Aussicht" auf etwa der Hälfte des Timmelsjoch-Anstiegs passiert hat, muss seinen Renntag beenden und in den Besenwagen steigen. Das Risiko bei einbrechender Dunkelheit wäre zu groß.