Para Ski Alpin Para-Biathletin Anja Wicker - "Eine Medaille? Das muss das Ziel sein"

Stand: 10.01.2022 11:38 Uhr

Biathletin und Langläuferin Anja Wicker fiebert den Para Snow Weltmeisterschaften vom 8. bis 23. Januar 2022 in Lillehammer / Hafjell (Norwegen) entgegen. Die 30-jährige Stuttgarterin spricht im Sportschau-Interview über kalte Hände, ein Gold-Trio in ihrer Startklasse und unnachhaltige Wettkampfstätten.

Von Maria Köhler-Thiel

Sportschau: Anja Wicker, wie geht es Ihnen?

Anja Wicker: "Ganz okay. Ich bin frisch aus dem Trainingslager in Freiburg zurück. Der Schnee wurde langsam weniger, doch dann wurde es über Nacht wieder Winter. Am Montag fliegen wir nach Norwegen."

Bei welcher Weihnachtsleckerei fiel es Ihnen im Dezember schwer, "nein" zu sagen?

Wicker: "Das Problem habe ich gar nicht. Ich muss nie nein sagen, denn ich bewege mich so viel. Wenn ich keinen Hunger mehr habe, höre ich außerdem automatisch auf."

Ist schon etwas Anspannung zu spüren?

Wicker: "Jetzt mit dem Lehrgang beginnt das eigentlich. Vorher war es surreal, dass wir nun bald Wettkämpfe haben. (Wicker gehörte nicht zu den Weltcupstartern in Canmore, Anm. d. Red.) Das ist nun positive Anspannung und Vorfreude. Ich freue mich, dass es endlich losgeht."

Ihr Coronatest ist diese Woche wohl der aufregendste Termin, oder? Denn damit steht und fällt alles.

Wicker: "Das ist kein gutes Gefühl. Man zittert immer und betet, dass da „negativ“ steht - eine zusätzliche Anspannung vor der Abreise."

Wie mögen Sie den Schnee am liebsten und wie oft schauen Sie in den nächsten Tagen auf den Wetterbericht?

Wicker (lacht): "Oh, täglich. Ich will wissen, wie kalt es ist, auf wieviel Frieren ich mich einstellen muss. Wie ich mitbekomme, ist noch nicht perfekt gespurt dort. Aber wenn wir da sind, hoffe ich, dass es nicht schneit und der Schnee gut präpariert werden konnte."

Sind Sie eine "Frostbeule"?

Wicker: "Meine Hände sind brutal anfällig für Kälte. Wenn die kalt werden, wird es eklig. Wenn man die Waffe nicht richtig in der Hand halten kann, ist das nicht optimal."

Im März 2021 glänzten Sie beim Weltcup in Planica mit 50 Treffern aus 50 Schüssen. Sie waren am Schießstand extrem ruhig. Wie sieht es aktuell mit Ihrer Schießleistung aus?

Wicker: "Ja, Gott sei Dank läuft es immer noch gut – in der Vorbereitung, im Training. Ein Fehler darf auch sein, solange das im Training ist und nicht im Wettkampf. Ich hoffe, ich kann das im Wettkampf gut umsetzen."

Läuferisch war Ihr Vorankommen auf der Ebene Ihre Schwachstelle. Sie haben in den vergangenen Jahren stark an der Frequenz gearbeitet. Fühlen Sie sich da nun gut aufgestellt?

Wicker: "Eigentlich schon. Das wird immer meine Schwachstelle bleiben. Aber die Technik werde ich beibehalten. Ohne Wettkampfpraxis gleich in die WM zu starten, wird spannend. Mal gucken, ob ich das gleich umsetzen kann. Ich merke selbst, ob die Bewegungsgeschwindigkeit passt. Ich merke nach jedem Schub, ob ich in Fahrt bleibe und den Schlitten in Bewegung halte. Das will ich möglichst auch am Berg hinkriegen."

Die US-Amerikanerinnen Oksana Masters (Handbike) und Kendall Gretsch (Triathlon) sowie die norwegische Langläuferin Birgit Skarstein (Rudern) räumten bei den Sommer-Paralmpics Gold ab. Bekommt man da etwas Ehrfurcht vor dieser starken Konkurrenz?

Wicker: "Nein, Ehrfurcht nicht. Aber ich habe Respekt davor, dass man in zwei Sportarten so brutal gut sein und abräumen kann. Wenn alles gut läuft, kann ich ihnen – wenn alles gut läuft – das Leben schwer machen. Ich freue mich darauf, mir zu beweisen, dass ich das kann."

Auch die 17-jährige Merle Menje, aktuelle Para-Nachwuchssportlerin des Jahres, startet auch im Sitzschlitten. Sie sitzt Ihnen oft im Nacken.

Wicker: "Ja, auf jeden Fall. Ich freue mich, dass sie nachkommt und wir uns messen können. Sie hat sich super toll entwickelt. Im Langlauf wird sie vermutlich irgendwann schneller sein als ich."

Haben Sie ein Ritual oder einen Glücksbringer, auf den Sie an diesen entscheidenden Tagen setzen?

Wicker: "Ein Ritual, aber komischerweise habe ich nie das gleiche. Wenn ich merke, dass ein Ablauf funktioniert – zum Beispiel, dass die Skiunterwäsche gut war – ziehe ich sie wieder an. Aber es ist jedes Mal etwas anderes."

Was verbinden Sie mit dem WM-Austragungsort? Gab es in Norwegen zufällig besondere Momente oder Kuriositäten?

Wicker: "Es ist auf jeden Fall ein Langlauf-Paradies. 2019 hatten wir da einen Weltcup. Das waren die ersten Rennen, bei denen ich nach meiner gesundheitlichen Talfahrt wieder positivere Ergebnisse hatte und mich wieder richtig wohl und belastbar gefühlt habe. Deswegen gehe ich da gern zurück. Ich habe gute Erinnerungen daran."

2017 wurden Sie im Biathlon über 12,5 km Weltmeisterin. Ist dieses Mal eine Medaille drin?

Wicker: "Ich hoffe es. Das muss das Ziel sein. Wie realistisch das ist, kann ich erst nach den ersten Wettkämpfen sagen."

Bei wie vielen Langlauf-Wettbewerben werden Sie starten? Und sind Sie für eine der Staffeln vorgesehen?

Wicker: "Ich starte bei zwei Langläufen – auf der Mittelstrecke und im Sprint – und bei allen drei Biathlon-Rennen. In der Staffel werde ich nicht starten. Da werde ich anfeuern (lacht)."

Im März stehen dann Ihre dritten Paralympics an, wobei es vorab keine Testevents gab.

Wicker: "Ja, Routine kommt auf jeden Fall nicht auf, selbst bei den dritten Paralympics. Wir haben die Strecke noch nie gesehen. Es ist sehr aufregend. Gott sei Dank geht es allen so. Es sieht von den Bildern aus wie ein Mix aus Pyeongchang und Sotschi (lacht). Wenn wir letztes Jahr da gewesen wären und ich wüsste, dass mir die Strecken nicht so entgegenkommen, hätte ich mir da vielleicht ein Jahr lang Gedanken gemacht. Nun bin ich nicht so voreingenommen. Das ist vielleicht auch ganz positiv."

Die Olympischen Spiele und Paralympics in Peking sind Wissenschaftlern zufolge die unnachhaltigsten Spiele aller Zeiten. Was macht das mit Ihnen?

Wicker: "Ich bin prinzipiell dafür, dass man Spiele in Länder vergibt, in denen der Wintersport eine große Rolle spielt und man nicht alles neu bauen muss – in Länder, in denen die Begeisterung größer ist, auch wenn die Zuschauer nun wegen Corona wegfallen. Da gibt es Länder, die eher geeignet wären, Winterspiele auszutragen. Wir gehen dahin, wo die Spiele sind, das ist leider so."

Das deutsche Paraski-Team bei den Weltmeisterschaften:

Frauen sitzend: Merle Menje, Anja Wicker, Frauen mit Sehbeeinträchtigung: Vivian Hösch (Guide: Florian Grimm), Linn Kazmaier (Guide: Florian Baumann), Johanna Recktenwald (Guide: Valentin Haag), Leonie Walter (Guide: Pirmin Strecker), Männer sitzend: Martin Fleig, Patrik Fogarasi, Männer stehend: Alexander Ehler, Marco Maier, Männer mit Sehbeeinträchtigung: Nico Messinger (Guide: Robin Wunderle)