Das Hayward Field in Eugene

Hintergrund Premiere in der Provinz - Die Leichtathletik-WM in Eugene

Stand: 15.07.2022 12:24 Uhr

Am Freitag (15.07.2022) beginnen die ersten Leichtathletik-Weltmeisterschaften in den USA. Austragungsort ist das kleine Eugene. Die Hintergründe der Vergabe sind bis heute fragwürdig.

Die USA zählen seit jeher zur absoluten Weltspitze in der Leichtathletik. Große Namen hat das Land hervorgebracht. Jesse Owens, Carl Lewis, Wilma Rudolph oder Florence Griffith-Joyner - die Liste kann beliebig fortgesetzt werden. Umso erstaunlicher ist es, dass bislang noch nie eine Leichtathletik-WM auf amerikanischem Boden stattgefunden hat.

Das ändert sich ab Freitag. Eugene wird bis zum 24. Juli zum Mekka der Leichtathleten. Die Corona-bedingt um ein Jahr verschobene Heim-Premiere weckt vor allem bei den US-Stars große Erwartungen: "Endlich sind wir zu Hause. Ich bin so dermaßen aufgeregt", sagt etwa Kugelstoß-Weltrekordler Ryan Crouser. "Gerade für mich, der in Oregon aufgewachsen ist, wird das ein absoluter Höhepunkt."

Nicht Los Angeles, Chicago oder Miami

Die USA entsenden rund 150 Athletinnen und Athleten zur Heim-WM nach Eugene, einer Universitätsstadt in der Provinz mit 175.000 Einwohnern. Die Auswahl der Gastgeberstadt wirkt zumindest auf den ersten Blick merkwürdig. Sechs Jahre vor den Olympischen Spielen in Los Angeles wäre denkbar gewesen, dass die Millionenmetropole an der Westküste die Welt-Titelkämpfe quasi als Generalprobe nutzt. Oder dass sich die Weltstadt New York mit dem Event schmücken möchte. Oder dass die Olympiastadt Atlanta ein sportliches Großereigniss hätte haben wollen. Doch so ist es nicht.

Man habe nicht unbedingt die Qual der Wahl gehabt, sagte Weltverbandspräsident Sebastian Coe dazu dem "Wall Street Journal". Demnach hat es kein Interesse der großen Städte an einer Austragung der Leichtathletik-WM gegeben. Super Bowl? Gerne! Ein All Star Game der besten NBA-Basketballer? Unbedingt! Aber Leichtathletik? Nein, danke. Um das Interesse im Land an der Leichtathletik im Vorfeld von Olympia 2028 auf das erhoffte Niveau zu hieven, brauche es für zukünftige Meetings andere Orte, so Coe: "Wenn ich ganz unverblümt bin, müssen wir in die L.A.s, die Chicagos, die Miamis."

Eugene - Hauptstadt der US-Leichtathletik

Nun also Eugene. Nirgendwo anders ist die Begeisterung für Leichtathletik in den USA so groß. "Man könnte sicherlich Orte auf einer Karte finden, die mehr Hotels haben. Aber findet man die notwendigen Leute, die notwendigen Einrichtungen, die notwendige Finanzierung und die notwendige Erfahrung für Leichtathletik-Wettkämpfe? Wir haben das hier", sagte Sprecherin Jessica Gabriel. Mit anderen Worten: Eugene ist die Hauptstadt der US-Leichtathletik.

Das für die WM grundrenovierte Stadion Hayward Field mit 30.000 Zuschauerplätzen auf dem Campus der University of Oregon ist regelmäßig Schauplatz nationaler Meisterschaften sowie der Diamond League. Zudem war Eugene 2014 Gastgeber der U20-WM. So fällt auch das Urteil der internationalen Sportlerinnen und Sportler durchaus positiv aus. "Eugene ist ein Ort mit einer langen und schönen Leichtathletik-Geschichte", sagt Weitsprung-Olympiasiegerin Malaika Mihambo.

Ominöse Vergabe der Titelkämpfe im Jahr 2015

Und dennoch hatte die Vergabe im Jahr 2015 Proteste hervorgerufen. Hintergrund: Eugene ist Gründungsort des Sportartikel-Herstellers Nike. Der Mega-Konzern soll mitverantwortlich dafür gewesen sein, dass die Wahl am Ende auf Oregon fiel. Besonders kritisiert wurde, dass die Titelkämpfe vom Weltverband, der seinerzeit noch IAAF hieß, noch nicht einmal ausgeschrieben worden waren. Dass sich der damalige und mittlerweile verstorbene IAAF-Präsident Lamine Diack als grundkorrupt entpuppte, passte ins Bild.

Ich bin sehr glücklich hier zu sein. Wir sind auf einer Mission hier.
Sebastian Coe

Aus einem von der BBC veröffentlichten Mailverkehr zwischen der Nike-Zentrale und Eugenes Bewerbungschef geht hervor, dass der heutige Weltverbands-Präsident Sebastian Coe dem WM-Aspiranten seine Unterstützung zugesichert hatte. Der Brite war seinerzeit IAAF-Vizepräsident und bis November 2015 auch Nike-Markenbotschafter. Unlautere Lobby-Arbeit bestritt Sir Sebastian, der im August 2015 auf Diack folgte, aber vehement: "Ich habe sie nur nach ihrer knappen Niederlage für die WM 2019 zu einer neuen Bewerbung ermutigt."

Sportartikelhersteller Nike hofft auf Werbeeffekt

Für Nike dürften die Weltmeisterschaften nun einen erheblichen Werbeeffekt haben, auch weil ein Großteil der US-Spitzenathleten dort unter Vertrag steht. Zudem soll der Ruf der US-Kaderschmiede in Oregon wieder aufpoliert werden, der durch das Scheitern des weltweit bekannten Nike Oregon Projekt massiv beschädigt worden war.

Das einstige Vorzeigeprojekt, eine von Nike gesponsorte Eliten-Lauftrainingsgruppe, geriet nachhaltig in Verruf, nachdem die Arbeitsmethoden des Cheftrainers Alberto Salazar aufgedeckt wurden. Er soll seinen Schützlingen über Jahre hinweg leistungssteigernde Mittel verabreicht haben. Für systematisches Doping wurde er für vier Jahre gesperrt. Nike stampfte das Projekt 2019 ein.

Kritik an der Infrastruktur

Die kommenden eineinhalb Wochen dürften nun trotz allem zu Festtagen der US-Leichtathletik werden. Crouser, die Sprinter Noah Lyles und Christian Coleman, die Hürden-Stars Sydney McLoughlin und Devon Allen - das US-Team wird für Spektakel sorgen. Dass Eugene dabei der mit Abstand kleinste Austragungsort in der WM-Geschichte ist, wird von den Verantwortlichen billigend in Kauf genommen.

Doch kritische Stimmen zur Infrastruktur gibt es auch. "Es wird interessant sein zu sehen, wie das klappt. Vor allem, wenn es sehr heiß ist. Viele der Unterkünfte haben keine Klimaanlage. Wenn eine Hitzewelle kommt, wird das ein echtes Problem", sagt Dennis Shaver. Als Direktor an der Louisiana State University verantwortet er eines der besten Leichtathletik-Programme des Landes und hat zahlreiche Olympioniken auf ihrem Weg begleitet. Auch, dass es keine 400-m-Bahn unmittelbar neben dem Stadion zum Aufwärmen gibt, moniert er. Die vorhandene Bahn ist eher ein Quadrat.

"Leichtathletik-Landschaft in den USA verändern"

Das Organisationskomitee der WM dagegen ist naturgemäß überzeugt davon, tolle Wettkämpfe für alle Beteiligten auf die Beine zu stellen. Der nationale Verbandschef Max Siegel betonte, die WM sei "eine einzigartige, einmalige Gelegenheit, die Leichtathletik-Landschaft in den USA zu verändern". Damit das Land nicht nur auf dem Papier Leichtathletik-Nation Nummer eins ist - sondern die Begeisterung für den Sport auch in der Mitte der US-Bevölkerung ankommt.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr