Juri Knorr (r.) im Spiel gegen Frankreich bei der Handball-WM 2023
analyse

Handball-WM 2023 Spieler am Limit – worum es für Deutschland jetzt noch geht

Stand: 26.01.2023 18:25 Uhr

Nach dem Viertelfinal-Aus gegen Frankreich muss das DHB-Team bei der sichtbar kräftezehrenden Handball-WM trotzdem noch die Platzierungsspiele spielen. Los geht es am Freitag (27.01.) gegen Ägypten (ab 15.30 Uhr live im Ersten und auf sportschau.de).

Von Robin Tillenburg, Danzig

Vor allem die 16 teilweise völlig freien Fehlwürfe und die 16 technischen Fehler waren es, die Deutschlands Handball-Männer im Viertelfinale gegen Frankreich um einen durchaus möglichen Sieg brachten.

Auf der Suche nach Erklärungsansätzen waren sich Spieler und Trainer in einem jedenfalls einig: Müdigkeit. Julian Köster habe beispielsweise im Angriff nicht mehr richtig spielen können, weil er in der Defensive so sehr habe "ackern" müssen, erklärte Bundestrainer Alfred Gislason im ZDF. Man habe nicht die nötige Breite im Kader gehabt, um den wichtigen Akteuren ausreichend Pausen zu geben – im Gegensatz zu Frankreich.

Golla und Knorr – Schwerstarbeit bis zur Belastungsgrenze

Tatsächlich war die deutsche Mannschaft im Angriff auch gegen Norwegen im letzten Hauptrundenspiel schon in Hälfte zwei eingebrochen und wer beobachtete, wie herausragend Juri Knorr gegen Norwegen und Frankreich in den ersten Halbzeiten spielte, dann aber sichtbar auf dem Zahnfleisch ging, der konnte dem Bundestrainer was die Belastungsfrage angeht kaum widersprechen.

Juri Knorr (r.) im Spiel gegen Frankreich bei der Handball-WM 2023

254 Minuten hat Knorr, der im Angriff die Hauptbelastung bei den Deutschen trägt, in den bisherigen sieben Turnierspielen absolviert, 420 wären möglich gewesen – und gegen Argentinien und Algerien lag das DHB-Team bereits früh so deutlich vorn, dass es durchwechseln konnte. Knorr ist dabei sogar nur die Nummer drei bei den deutschen Feldspielern. Johannes Golla hat beispielsweise fast 350 Spielminuten hinter sich.

Das sind sowohl bei Knorr als auch bei Golla mehr Minuten als beispielsweise alle schwedischen Spieler auf dem Buckel haben und bei Knorr etwa genau so viele wie Norwegens Superstar Sander Sagosen, der mit seinem Team aber auch im Viertelfinale gegen Spanien in zwei Verlängerungen zum Einsatz kam.

Zum weiteren Vergleich: Dänemarks Mikkel Hansen hat keine 200 Minuten gespielt, Spaniens Alex Dujshebaev die 200er-Marke so gerade geknackt. Die Belastung ist für alle hoch, aber für Deutschlands Leistungsträger nochmal besonders.

Zudem wird alle zwei Tage gespielt. Knorr war schon vor dem Frankreich-Spiel am Sportschau-Mikrofon deutlich geworden: "Da muss man vielleicht mal drüber nachdenken, ob es notwendig ist, sechs sehr intensive Spiele zu machen, um dann erst in die absolute K.o.-Phase zu kommen, in der es dann wirklich um alles geht."

Angesprochen auf die zwei ausstehenden Platzierungsspiele sagte er: "Ich verstehe diesen Modus nicht. Es ist wie es ist. [...] Das ist auch gefährlich für uns und unseren Körper."

"Es ist gefährlich für uns und unsere Körper"

Sportschau, 25.01.2023 17:54 Uhr

Reisestrapazen für Deutschland, Norwegen und Co.

Tatsächlich sind auch die Reisestrapazen bei diesem aufgeblähten Turnier in zwei Ländern enorm. Die Vor- und Hauptrunde absolvierte Deutschland in Kattowitz, reiste für das Viertelfinale nach Danzig und musste nun am frühen Morgen nach dem Viertelfinale nach Stockholm fliegen – bis zum Abpfiff des Spiels zwischen Schweden und Ägypten war zudem noch offen gewesen, ob der DHB nicht doch in Danzig bleiben würde. Planungssicherheit – Fehlanzeige.

Für die Norweger ging es sogar noch von Krakau nach Kattowitz, dann nach Danzig und dann eben jetzt auch nach Stockholm. Und auch Sagosen, der auch erst kurz vor dem Turnier nach langer Verletzung wieder fit geworden war, war im Viertelfinale anzusehen, dass die große Spritzigkeit nicht (mehr) da war.

Platzierungsspiele sind (nicht nur) für die Olympia-Qualifikation wichtig

Dass die Platzierungsspiele neben der Chance, das Turnier mit Erfolgserlebnissen abzuschließen und weitere Erfahrung auf Topniveau zu sammeln, noch einen weiteren Sinn haben, ist allerdings unbestritten. Denn je nachdem auf welchem Platz man landet, hat das Einfluss auf die Olympia-Qualifikation.

Der Weltmeister qualifiziert sich direkt für die Olympischen Spiele, Frankreich ist als Gastgeber 2024 ebenfalls bereits gesetzt, sollten die Franzosen Weltmeister werden, würde sich der Zweite auch direkt qualifizieren. Die besten sechs Teams (abgesehen von Frankreich), die nicht Weltmeister, oder, eben im Fall des französischen Titels, Vizeweltmeister sind, spielen nächstes Jahr bei einem der Olympia-Qualifikationsturniere mit.

Je nachdem wie Kontinentalmeisterschaften ausgehen, könnten sogar noch bis zu zwei weitere Mannschaften über eine gute Platzierung bei dieser WM nachrücken. Je besser die Nationen bei der WM abschneiden, desto vermeintlich leichter wird dann auch die Qualifikationsgruppe.

Nicht mit vier Niederlagen aus dem Turnier gehen

Ob dieser Fakt allerdings bei den bereits für die Turniere qualifizierten vier Viertelfinal-Verlierern Deutschland, Ägypten, Norwegen und Ungarn für besonders große Zusatzmotivation sorgen kann, darf zumindest bezweifelt werden.

Tendenziell dürfte die Aussicht auf Erfolgserlebnisse wahrscheinlich die größere Motivation sein – schließlich will niemand das Turnier mit drei oder vier Niederlagen nacheinander abschließen. Gerade für das deutsche Team wäre das nach vielen starken Auftritten auch nicht der Abschluss, den es verdient hätte.