Eine Langhantel bei einem Gewichtheber-Wettbewerb
Sport inside

Gewichtheben und Olympia Das große Zittern

Stand: 11.09.2023 11:43 Uhr

Es steht nicht gut um das Gewichtheben, der olympische Status ist in Gefahr. Die Entscheidung trifft das IOC. Über eine Sportart und ihre Reformbemühungen - und die Frage, ob die ausreichen werden.

An einem Dienstag Ende August, wenige Tage vor dem Start der Gewichtheber-WM in Saudi-Arabien (03.-17. September), beschäftigt sich Florian Sperl für einen Moment mit der Möglichkeit eines Scheiterns. "Wenn wir rausfliegen", sagt er im Gespräch mit Sport inside, "ist das Gewichtheben tot."

Seit Ende 2020 ist Sperl, 35, Präsident des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber (BVDG), seit Juni 2022 sitzt er auch im Vorstand der Internationalen Weightlifting Federation. Die IWF ist der Weltverband im Gewichtheben, einer Sportart, die sich an Reformen versucht und doch um ihr Fortbestehen zittert.

Sperl war früher selbst Gewichtheber, noch immer tritt er an gegen Widerstände, nur sind das keine Gewichte mehr und auch nicht der eigene Körper. Sperl sagt, er trete an gegen Dopingmissbrauch und Korruption, und er kämpfe um den Sport, den er liebe. Er sagt: "Das Gewichtheben muss zeigen, dass es aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat."

Florian Sperl, Präsident des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber

Florian Sperl, Präsident des Bundesverbands Deutscher Gewichtheber

Korruption, Dopingvertuschung, Wahlbetrug

Gewichtheben war 1896 bei den ersten Olympischen Spielen der Neuzeit dabei. Der Sport hat schöne Geschichten geschrieben, sie handelten von Kraft, Technik, Präzision. Nur ist das lange her. Zuletzt waren die Geschichten weniger schön, es ging um Korruption, Dopingvertuschung, Wahlbetrug.

Im Januar 2020 deckte die ARD-Dokumentation "Der Herr der Heber" all das auf, im Zentrum stand Tamás Aján, zu diesem Zeitpunkt seit 20 Jahren Präsident der IWF. Er trat zurück. Im Sommer 2022 sperrte der Internationale Sportgerichtshof (CAS) Aján, 84, lebenslang.

Geheimsache Doping - der Herr der Heber

Sportschau

Das IOC stellt Forderungen

Das Internationale Olympische Kommitee (IOC) hat das Gewichtheben für die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles vorerst aus dem Programm genommen. Seitdem beobachten sie dort genau, was sich tut im Gewichtheben. Ob sich etwas tut.

Auf Anfrage von Sport inside teilt das IOC mit, das Gewichtheben müsse Reformen nachweisen. Das IOC fordert Transparenz und die Vermeidung von Machtmissbrauch, einen Kulturwandel also. Auch der Kampf gegen Dopingmissbrauch müsse dringend verbessert werden. Zeit genug, schreibt das IOC, habe die IWF gehabt.

Vom 15. bis 17. Oktober tagt das IOC im indischen Mumbai, dann fällt die Entscheidung, ob das Gewichtheben olympisch bleibt oder nicht. Mit einer Empfehlung ist vorher zu rechnen, womöglich schon während der Weltmeisterschaft der Heber in Saudi-Arabien.

Olympia ohne Gewichtheben? "Eine Katastrophe"

Wenn einer in Deutschland weiß, was Olympia für das Gewichtheben bedeutet, dann ist es Jürgen Spieß. Dreimal war Spieß, 39, als Aktiver bei Olympischen Spielen, er war in der Athletenkommission der IWF und beim deutschen Verband war er später Vizepräsident unter Florian Sperl.

Die Teilnahme an Olympia sei natürlich das Ziel überhaupt für viele Athletinnen und Athleten, sagt Spieß Sport inside. Sollte dem Gewichtheben der olympische Status entzogen werden, fiele aber nicht nur dieses Ziel weg, sondern in den nationalen Verbänden auch Fördergelder, Strukturen, Arbeitsplätze. "Das wäre eine Katastrophe."

"Haben Forderungen umgesetzt"

Der IWF-Funktionär Sperl sieht das ähnlich. Nur glaubt er fest daran, dass es so weit nicht kommen wird. Er sagt: "Wir haben die Forderungen des IOC umgesetzt." Als Beispiel nennt er die Auslagerung aller Anti-Doping-Maßnahmen an die unabhängige International Testing Agency (ITA).

Er erzählt auch von einem Alterslimit für Funktionäre und einer Begrenzung der Amtszeiten, das soll Machtmissbrauch wie in der Ära Aján verhindern. Von einer Frauenquote im Vorstand des Weltverbands und von Athleten, von denen drei im Vorstand sitzen. Von Arbeitsgruppen, die sich mit Menschenrechten beschäftigen und mit der Frage, wie das Gewichtheben nachhaltiger werden kann. Von einer Mannschaft für Geflüchtete, die bei der WM antritt.

Sie haben bei der IWF einige Reformen auf den Weg gebracht. Die Frage ist nur, ob die ausreichen werden, um das IOC zu überzeugen.

Ein Strategiepapier als Reform-Nachweis

Noch während der WM in Saudi-Arabien wird die Führungsspitze des Weltverbands zu einem Kongress (12. September) zusammenkommen. Die IWF hat ein Strategiepapier entwickelt, beteiligt waren Vorstand, Mitgliedsverbände, auch die Athletenkommission. Anfragen zu den Inhalten beantwortet der Verband nicht. Nach Informationen von Sport inside geht es um eine Entwicklung des Sports, etwa durch neue Wettkampfformate. Es ist aber natürlich auch ein Zeichen an das IOC, das Motto: Seht her, wir tun ja was.

Und doch sind sie vorsichtig beim Gewichtheber-Weltverband. Anfragen von Sport inside zur Rolle von Attila Adamfi etwa bleiben unbeantwortet. Er ist der Schwiegersohn von Tamás Aján. Als Aján Präsident war, war Adamfi einer der Mächtigen in der IWF. Auch heute noch hat er Macht, er sitzt als einer von fünf Vizepräsidenten im Vorstand.

Im Bericht des Sonderermittlers Richard McLaren, der nach dem Erscheinen der Doku "Der Herr der Heber" und dem Rücktritt von Aján mit der Aufarbeitung beauftragt worden ist, wird Adamfi mit Wahlbetrug in Verbindung gebracht. Auf seinem Computer fand sich demnach eine Art Anleitung, welche Kandidaten anzukreuzen seien. Die Wahl 2017 gewann, man ahnt es schon: Aján. Auch der Name von Mohammed Jalood findet sich auf dieser Liste, heute ist er Präsident des Weltverbands.

Adamfi weist alle Schuld von sich

Adamfi hat die Vorwürfe stets bestritten. Ende 2020 sagte er der Website "insidethegames", er sei unschuldig. Schuldig sei dafür der Sonderermittler McLaren. Der habe falsche Beweise vorgelegt und Dokumente gefälscht. Belege für seine Version legte Adamfi nicht vor.

Auf Anfrage von Sport inside teilt Adamfi mit, er habe dem Bericht von "insidethegames" nichts hinzuzufügen. Von sieben Fragen beantwortet er eine. Er schreibt: "Ich habe mich nie irgendeines Fehlverhaltens schuldig gemacht." Überhaupt sei das alles doch lange her. Ob man nicht lieber über die Reformen bei der IWF sprechen wolle?

Wenn man Florian Sperl nach der Rolle von Adamfi fragt, überlegt er erst einmal. Dann sagt er: "Im Vorfeld der Wahl 2022 sind alle, die für den Vorstand kandidieren wollten, von einer Ethikkommission untersucht worden. Alle, die heute im Vorstand sitzen, wurden von der Ethikkommission zugelassen. Das haben wir zu akzeptieren."

Wann ist ein Neuanfang ein Neuanfang? Fragen wie diese werden sie sich beim IOC auch stellen, wenn es um das Gewichtheben geht. Eine Antwort wird die Organisation in einigen Wochen geben. Bis dahin geht es weiter, das Zittern der Gewichtheber.