Analyse des 2:2 gegen Ungarn DFB-Team zittert sich ins Achtelfinale - ein Spiel nahe am Papierkorb 

Stand: 24.06.2021 07:15 Uhr

Wenn der Einzug ins Achtelfinale der EURO 2020 ein Lohn sein soll, ist die Frage: Ein Lohn wofür? Deutschland macht gegen Ungarn kaum etwas richtig, erhält aber als Geschenk ein Spiel in Wembley gegen England. Die Analyse.

Der Deutsche Fußball-Bund verschickte ein paar Minuten nach dem Abpfiff eine Mail mit der Betreffzeile "Medieninformation Achtelfinale". Der Weg vom Entwürfe-Ordner in den Papierkorb war lange näher als der an den Verteiler.

Heimspiel, Favorit, Selbstbewusstsein nach dem 4:2 gegen Portugal, individuelle Klasse - all das führte so gerade zu einem 2:2 gegen Ungarn.

"Die Erleichterung ist natürlich groß, es war ein zäher Kampf", sagte Joachim Löw, dessen Zeit als Bundestrainer beinahe am 23. Juni 2021 vorbei gewesen wäre. Nun hat er mindestens sechs weitere Tage und ein Spiel im Achtelfinale gegen England. "Es gibt nichts Schöneres", sagte Löw, der versprach: "Dann werden wir auch wieder besser spielen."

Gegen England sollte es mehr Raum geben

Damit dürfte er Recht behalten, denn das Ausgangsniveau ist bescheiden, und das Spiel dürfte ein ganz anderes werden. England wird - zumal vor den eigenen Fans - deutlich aktiver sein als die Ungarn, dadurch müsste es allein schon ein bisschen Raum geben. Raum, den es in München nicht gab.

Weil die deutsche Mannschaft auch viel zu selten etwas dafür tat, den Raum zu schaffen.

Gündogan gibt Rätsel auf

Robin Gosens wurde durch eine Manndeckung aus dem Spiel genommen, musste zudem häufiger als gedacht in die Verteidigungsposition. Von der Rolle als linker Flügelstürmer, die er gegen Portugal so beeindruckend gespielt hatte, war nichts mehr zu sehen, von seinem Durchsetzungsvermögen, seinen scharfen Flanken auch nicht.

Es kam aber auch zu wenig Hilfe aus dem zentralen Mittelfeld. Toni Kroos und Ilkay Gündogan fehlte jegliche Dynamik. Gerade Gündogan gab erneut Rätsel auf. Seit dem Finale in der Champions League, vor dem er das Abschlusstraining abbrechen musste, findet er seine Form nicht wieder, der Manchester City zu einem wesentlichen Teil die Meisterschaft und auch eben jenes Finale in der europäischen Eliteliga verdankte.

Löws eigener Weg

Das Vertrauen, das Löw ihm gab und Leon Goretzka eben nicht, schien schon bei Bekanntwerden der Aufstellung fragwürdig. Der Bundestrainer hatte mal wieder einen anderen Weg gewählt als einen, den die meisten erwartet hatten. Leroy Sané ersetzte den angeschlagenen Thomas Müller, rückte in den Angriff des 3-4-3-Systems, das sich kaum von dem im Spiel gegen Portugal unterschied.

Aber es fehlte halt ein Müller, der lenkte, führte, rochierte, den Steilpass spielte und den Steilpass forderte. Wie Löw richtig sagte: "Es war ein zäher Kampf."

Zu wenig Tempo, zu wenig Bewegung, zu wenig Positionswechsel

Die Ungarn waren - wie erwartet - in einem 5-3-2-System angetreten. Sie zogen sich weit zurück. Auch das war zu erwarten gewesen. Um die massive Defensive, gerade bei der Manndeckung von Gosens und auch Joshua Kimmich in Bedrängnis zu bringen, hätte es viel mehr Tempo, mehr Bewegung, mehr Positionswechseln bedurft.

Aber das deutsche Spiel lief schleppend. Meistens wurde der Quer- oder Rückpass gesucht. Eine Quote von 92 Prozent angekommener Pässe klingt gut, aber gegen eine so dichte Abwehr ist sie eher ein Zeichen der falschen Mittel.

Erschwerte Bedingungen durch den Regen

Ging es bei der deutschen Mannschaft nach vorne, fehlte es an Präzision und erstaunlicherweise auch häufig an der Technik.

Der Starkregen, der während der ersten Halbzeit in die Arena niederging, tat sein Übriges.

Systemumstellung ändert wenig

In der Pause änderte Löw nur etwas am System. Er stellte auf ein 4-3-3 um, Kimmich rückte auf die "Sechs" neben Kroos, Gündogan auf die "Zehn". Aber auch dort gelang ihm kaum etwas, die Auswechslung gegen Goretzka war folgerichtig.

Nach dem glücklichen Ausgleich durch einen Torwartfehler von Peter Gulacsi wechselte Löw den Torschützen Kai Havertz aus, der im Gegensatz zu Sané, dem noch viel weniger gelang, zumindest ein Erfolgserlebnis hatte. Es wurde wild bis konfus.

Musiala-Einwechslung die beste Idee

"Das ist unfassbar auf dem Niveau", sagte Joshua Kimmich und musste sogar ein wenig lächeln über das 1:2, das 16 Sekunden nach dem Anstoß nach dem Ausgleich folgte.

Mats Hummels spielte plötzlich Mittelstürmer, ob auf Anweisung oder nicht, war nicht zu erkennen. Die Angst, nach 2018 erneut in der Vorrunde eines großen Turniers zu scheitern, war zu sehen.

Dann kam Löws beste Idee: Jamal Musiala wurde eingewechselt. Exakt für solche Situationen war er in den Kader berufen worden. Seine Finte, sein Pass auf Goretzka, der über Umwege nochmal zum Schuss kam, rettete Deutschland das Weiterkommen. Der DFB durfte mit zittriger Hand auf "Senden" drücken.