Joshua Kimmich

Länderspiel in Österreich Kimmich und Gündoğan - zu viel Pirlo, zu wenig Gattuso

Stand: 21.11.2023 10:05 Uhr

Bei der Frage, ob Joshua Kimmich und lkay Gündoğan als Doppel-Sechs zusammenpassen, geht es auch darum, wer bereit ist, eher auf den Ball zu verzichten und die Defensive im Blick zu haben. Bei den italienischen Prototypen Pirlo und Gattuso war die Aufteilung klar.

Joshua Kimmich wird am Dienstagabend (21.11.2023, 20.45 Uhr/ZDF und im Audio-Livestream und Liveticker bei sportschau.de) in Wien gegen Österreich sein 82. Länderspiel bestreiten.

Kimmich-Auswechslungen haben Seltenheitswert

Abgesehen von Gegner, Uhrzeit und übertragendem Sender wäre dies jahrelang eine Behauptung mit der nur theoretischen Chance gewesen, daneben zu liegen. Inzwischen sollte die Möglichkeit zumindest in Betracht gezogen werden, dass Kimmich nicht aufläuft, denn schon am Samstag in Berlin passierte Ungeheuerliches. Kimmich wurde bei der 2:3-Niederlage gegen die Türkei ausgewechselt. Das war ihm in seinem ersten Länderspiel 2016 und danach nur noch vier Mal passiert, etwa bei einem 6:0 gegen Armenien. Da durfte er nach einer Stunde vom Platz, um mal ein bisschen auszuruhen. Bei 79 seiner 81 Länderspiele erlebte Kimmich den Anstoß auf dem Feld.

Solche Statistiken verführen dazu, einfach mal zu behaupten, dass Kimmich spielen wird, ohne dass der jeweilige Bundestrainer das explizit angekündigt hatte. Julian Nagelsmann wich am Tag vor dem Spiel in Wien der Frage aus, ob Kimmich spielen werde. Das hatte schon Nachrichtenwert an Tagen, an denen darüber diskutiert wird, wie, wo und mit wem Kimmich spielen wollte.

Defensive Absicherung bei Kontern problematisch

Angefacht wurde die Diskussion von dem Menschen mit den meisten Spielen für die Eliteauswahl des Deutschen Fußball-Bundes, Lothar Matthäus. Es passe nicht, Kimmich und İlkay Gündoğan seien sich in der Spielanlage zu ähnlich, sagte Matthäus bei "RTL". Neun Spiele hintereinander kassierte die deutsche Mannschaft inzwischen jeweils mindestens ein Tor, dazu kamen Großchancen des Gegners nach Kontern.

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Über die Komposition des Mittelfeldes wurde in den vergangenen Jahren häufig diskutiert, weil es zu viele Spieler gab, die sich vom Niveau her für eine Besetzung anboten. Anders als bei Außenverteidigern und Mittelstürmern galt die Vermutung, es sei im Mittelfeld alles bestens.

Je mehr Kontertore die deutsche Mannschaft jedoch kassierte, je häufiger sie sich früh aus einem Turnier verabschiedete, desto mehr Stimmen kamen auf, die sagten: Huch, wir haben ja gar keinen Gattuso mehr.

Wer ist die "holding six"?

Gennaro Gattuso war auch nie deutscher Nationalspieler. Er sah aber bei der Arbeit furchterregender aus als etwa ein Bastian Schweinsteiger oder Sami Khedira. Er wurde 2006 Weltmeister mit Italien, als Teil einer "Doppel-Sechs" zusammen mit Andrea Pirlo. Wer behauptete, Pirlo und Gattuso seien sich von der Spielanlage her zu ähnlich, würde bei einem Fußballquiz ausgeschlossen. Pirlo war der Künstler, für den Gattuso den Ball gefälligst zu erobern hatte.

Es gibt Beispiele für Kompositionen, die weniger gegensätzlich waren und sind, aber trotzdem erfolgreich. Es gibt aber auch, in Deutschland befeuert durch Bayern Münchens Trainer Thomas Tuchel, den Wunsch nach der "holding six". So heißen die modernen Gattusos, sie sind zweikampfstark, haben in erster Linie den Blick für die Defensive und dabei speziell auf die Absicherung gegen Konter. Eine wichtige Komponente, die im Fall des Duos Gündoğan und Kimmich zum Tragen kommt:

Jeder weiß und akzeptiert, wer eher Pirlo ist und wer Gattuso.

Gündogan als Kapitän gesetzt?

Kimmich wie auch Gündoğan wollen gerne den Ball haben, das Spiel aufbauen, die Steilpässe spielen, wie es Kimmich in der ersten Halbzeit am Samstag so hervorragend gelang. Leroy Sané vergab die entstandene Großchance jedoch.

Statt einer 2:0-Führung für Deutschland drehte die Türkei das Spiel und gewann. Kimmich wurde ausgewechselt, Gündoğan, seit einigen Monaten Kapitän, blieb auf dem Platz. So scheint die Hierarchie zementiert, zumal bei Kimmich immer die Frage mitschwingt, ob er nicht ohnehin als rechter Verteidiger viel mehr helfen würde.

Wenig Argumente für Kimmichs Lieblingsplatz

Argumente dafür, den Lieblingsplatz im defensiven Mittelfeld zu behalten (auf dem ihn Nagelsmann grundsätzlich sieht), sammelte Kimmich zuletzt wenige. Fünf seiner vergangenen sechs Länderspiele gingen verloren, hinzu kam ein 3:3 gegen die Ukraine. Beim Sieg gegen Frankreich unter Interimstrainer Rudi Völler fehlte er genau wie beim Sieg gegen die USA und dem Unentschieden gegen Mexiko. Die Behauptung, Pascal Groß spiele in Wien an der Seite von Gündoğan, ist gar nicht so gewagt