Fenerbahce-Spieler verlassen das Feld

Supercup-Skandal Türkei-Experte Özdamar: "Bei Fenerbahce geht es nur noch um Chaos"

Stand: 08.04.2024 18:21 Uhr

Nach dem Boykott im türkischen Supercup kritisiert Experte Tuncay Özdamar das Verhalten von Fenerbahce Istanbul. Der Klub habe "dieses Finale für die eigenen Interessen instrumentalisiert".

Das türkische Internetportal "Spor Arena" sprach von einem "Kapitel der Schande" im türkischen Fußball. Am Sonntag (07.04.2024) hatte Fenerbahce Istanbul den Supercup gegen Galatasaray nach wenigen Minuten beim Stand von 0:1 beendet, alle Spieler gingen vom Feld - der Streik machte den großen Konkurrenten zum Sieger. Aber den türkischen Fußball zum Verlierer.

"Unverantwortlich" - Fenerbahces U19 ist das Opfer

Schon im Vorfeld hatte der Klub angekündigt, nur seine U19 zu schicken und das Spiel nicht normal beenden zu wollen. Am Montag rechtfertigte sich der Klub erneut: "Wir betonen, dass wir nicht auf das Spielfeld gegangen sind, um zu gewinnen, sondern um die Wahrheit zu verteidigen, und an diesem historischen Tag für den türkischen Fußball möchten wir unsere Haltung hervorheben", teilte Fenerbahce mit.

Ein weiterer Skandal in der Türkei nach mehreren körperlichen Attacken auf Schiedsrichter und Angriffen von Fans von Trabzonspor nach einem direkten Duell auf Spieler von Fenerbahce. Doch laut Experte Tuncay Özdamar, Leiter der türkischen Redaktion von WDR Cosmo und intensiver Beobachter des Fußballs in seiner Heimat, sei es vor allem eine von Fenerbahce inszenierte Farce.

"Der Verein wird von den eigenen Fans sehr unterstützt, aber von allen anderen gehasst. Weil vor allem Klub-Präsident Ali Koc mit allen Mitteln versucht, dass Fenerbahce erfolgreich ist", ärgert sich Özdamar im Sportschau-Gespräch. "Jetzt haben sie dieses Finale für die eigenen Interessen instrumentalisiert und die U19, die am Anfang ihrer Karriere steht, da mit reingezogen. Auf Befehl mussten die nach zwei Minuten vom Platz - was macht das mit einem so jungen Spieler? Das ist unverantwortlich."

Forderungen ohne Erfolgsaussichten vor Supercup

Aber nach der Meinung des Türkei-Experten auch reines Kalkül. "Da wird versucht, Chaos zu stiften und den Klub als Sieger aussehen zu lassen. Das hat man ja schon kommen sehen, weil Fenerbahce vorher versucht hat, den Verband zu erpressen", so Özdamar. Der Klub aus Istanbul hatte wegen des anstehenden Viertelfinales in der Conference League am kommenden Donnerstag bei Olympiakos Piräus um eine Verlegung gebeten, außerdem gefordert, dass ein ausländischer Schiedsrichter im Supercup eingesetzt wird.

"Das gab es noch nie, seitdem ich den türkischen Fußball verfolge, und man kann ja auch nicht ernsthaft einen Schiedsrichter aus Deutschland, Portugal, Spanien oder einem anderen Land einfliegen lassen. Wie sieht das denn aus? Es war klar, dass der Verband das nicht macht", sagt Özdamar und bezeichnete das Fenerbahce-Verhalten als "scheinheilig" und "Kinderkram". "Ich bin Fan von Galatasaray, und wenn mein Verein sowas machen würde, wäre ich sofort weg."

Angedrohter Süper-Lig-Austritt laut Özdamar "ein Bluff"

Doch die Situation rund um Fenerbahce spitzt sich zu. Der Verein hatte nach dem Vorfall gegen Trabzonspor angekündigt, Überlegungen anzustellen, ob er aus der Süper Lig austrete. Die Entscheidung darüber wurde zuletzt auf den Sommer vertagt. Özdamar glaubt nicht, dass ein Austritt realistisch ist. "Das ist ein Bluff. Die große Fangemeinde könnte das nicht verstehen und es gibt auch keinen Grund. Es gab diesen Skandal, als das Spiel vorher hätte abgebrochen werden müssen, aber Trabzonspor wurde dafür ja auch bestraft."

Das Problem nach Meinung des gebürtigen Türken, der die ersten 23 Jahre seines Lebens in seinem Geburtsland verbracht hat: zu viel Macht der (großen) Vereine und ein zu schwacher Verband. "Da kann der Präsident von Fenerbahce - aber auch von Galatasaray oder Besiktas - kritisieren, wie er will, es würde nichts passieren. Die Vereine machen ihr eigenes Ding, und das ist für ein Fußballland wie die Türkei beschämend."

Gespaltene Gesellschaft, gespaltener Fußball

Ein eindrucksvolles Beispiel sei, dass sich Fenerbahce trotz des Verbots des Verbandes fünf statt drei Sterne auf das Trikot drucken ließ. Weil der Verein neun Meistertitel vor der Gründung der Süper Lig anerkannt haben möchte und dann die für fünf Sterne geforderte Anzahl an Meisterschaften vorzuweisen hätte. Laut Regelung des Verbandes dürfte allerdings nur Galatasaray (23-mal Meister) derart viele Sterne auf dem Trikot haben.

Die Situation im Fußball spiegele die der gespaltenen Gesellschaft wider, so Özdamar. "Es gibt keine Kompromisse, niemand ist dazu bereit. Dabei hätte die Türkei ein riesiges Potenzial, wir könnten im Fußball die fünfte oder sechste Macht in Europa sein - aber wir bekämpfen uns lieber gegenseitig. Vor allem aber Fenerbahce. Die dortige Kultur schadet dem türkischen Fußball, da geht es nur noch um Chaos."