Manuel Neuer (l.) und Jamal Musiala nach dem WM-Spiel gegen Costa Rica
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FIFA WM 2022 Zeit, dass sich beim DFB etwas dreht

Stand: 03.12.2022 11:29 Uhr

Deutschland scheitert wieder in der Vorrunde einer WM. Dabei wollte es den Titel. Mit dieser Selbstüberschätzung sollte Schluss sein, und es gibt auch in anderen Punkten Änderungsbedarf.

Von Marcus Bark, Doha

Die Zeit bis zur Europameisterschaft 2024 ist zu knapp, um jeden Stein beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) umzudrehen, wie es Jürgen Klinsmann mal erfolgreich für den sportlichen Bereich gemacht hat. Das Gerüst der Mannschaft wird weitestgehend gleich bleiben. Wer in etwa 20 Monaten eine prägende Rolle spielen könnte, der ist im Herbst 2022 schon identifiziert.

Ansprüche der Realität anpassen

Insofern muss sich auf anderen Ebenen etwas ändern. Zunächst müssen die Ansprüche zurückgeschraubt werden. Das hätte auch schon nach dem Aus im Achtelfinale der EM 2021 passieren müssen, denn drei Jahre zuvor war die Nationalmannschaft bei der WM in der Vorrunde gescheitert.

Auf dem Papier gab es die damals in Russland schon geforderte Demut auch. "Zurück in die Weltspitze" wurde als Motto propagiert. Trotzig jedoch wurde daran festgehalten, sich zur Weltspitze zu zählen. Deutschland erklärte bei der EM den Titel als Ziel, und bei der WM jetzt auch.

Es fing im Oman an

An dieser Selbstüberschätzung festzuhalten und den Titel bei der EM 2024 zu fordern, nur weil das Turnier zu Hause ausgetragen wird, wäre falsch. Es würde aber zur Nationalmannschaft passen, die in ihrer eigenen Welt lebt. Vieles wird bei ihr anders gemacht, in dem Glauben, es so besser zu machen.

Es fing im Oman an. In der ohnehin ganz knappen Vorbereitungszeit stellte Bundestrainer Hansi Flick eine Mannschaft auf, bei der jedem klar war, dass dies nicht seine erste Elf fürs Turnier sein wird. Es geht bei der Quartierswahl in Katar weiter. Der DFB hatte mit Abstand die weiteste Anfahrt nach Doha, quasi dem Austragungsort der WM. Die Entfernung war immer noch überschaubar, aber dem Trainer zu weit, um einen Spieler mit zur Pressekonferenz zu bringen, wie es der Weltverband FIFA vorschrieb. Die Extrawurst ist die Lieblingsspeise der Nationalmannschaft.

Debatte um "One Love"-Binde kein Argument

Wir stellen einen Antrag, und den werden sie schon genehmigen, weil wir ja die Deutschen sind: Das klappt nicht mehr, erst recht nicht im offenen Zwist mit der FIFA, der durch die "One Love"-Kapitänsbinde ausgebrochen ist.

Die Diskussion um die Binde war der Leistung gewiss nicht zuträglich. Ihr jedoch einen maßgeblichen Anteil am Scheitern zuzurechnen, ist absurd. Dafür spricht allein der Spielverlauf gegen Japan. Kein Spieler wird nach 70 Minuten die Kontrolle, die Disziplin und den Eifer verloren haben, weil er an die Binde dachte.

Schwächephasen und Hochmut

Das Spiel gegen Japan war bezeichnend für die vergangenen Jahre. Häufig gab es diese Spiele mit Schwächephasen, in denen der Gegner nicht nur zu Chancen, sondern auch zu Toren kam. Die Bilanzen in bedeutenden Spielen sind daher seit 2018 durchwachsen bis niederschmetternd. Sie wurden kaschiert mit souveränen Siegen in Qualifikationen gegen zweit- bis drittklassige Gegner. Wenn es in der Nations League hakte, war es nur die Nations League. Auch diese Geringschätzung eines Wettbewerbs, der keinen großen sportlichen Wert haben mag, aber wichtig ist, um eine wettbewerbsfähige Mannschaft für ein Turnier zu finden, gehört zum hochnäsigen Auftreten der Nationalmannschaft.

Ein frisches Gesicht

Oliver Bierhoff steht seit nun fast zwei Jahrzehnten für die Mannschaft, die nicht mehr "Die Mannschaft" heißt. Das war ein erster Schritt auf dem Weg der Besserung, aber für einen Stimmungsumschwung war er viel zu wenig.

Es wird jetzt Diskussionen geben um Bierhoff, der inzwischen Geschäftsführer der DFB GmbH ist. Er sollte das auch bleiben, aber die Nationalmannschaft könnte ein frisches Gesicht außerhalb von Trainerteam und Spielerkader gebrauchen. Ein Gesicht, das ein Gespür entwickelt, wie in der Schule, in Büros, in den Kabinen von Bezirksligaklubs über die Nationalmannschaft gedacht und gesprochen wird. Diese beiden Welten wieder einander näherzubringen, ist eine schwierige Aufgabe. Aber sie muss angegangen werden, sonst ist der Heimvorteil bei der EM 2024 verspielt.