Arbeiter am Lusail Stadium, Austragungsort des WM-Finales 2022 in Katar

Gastarbeiter in Katar Report listet Ausbeutung auf allen WM-Stadionbaustellen auf

Stand: 10.11.2022 16:46 Uhr

"Wenn wir uns beschweren, werden wir gefeuert" - ein brisanter Bericht der Menschenrechts-Organisation Equidem listet zahlreiche Vorfälle von Diskriminierung und Ausbeutung auf WM-Stadionbaustellen in Katar auf.

"Diese Weltmeisterschaft ist erbaut auf moderner Sklaverei." So lautet das Fazit von Mustafa Qadri, dem Gründer und Geschäftsführer von Equidem, einer international arbeitenden Menschen- und Arbeiterrechtsorganisation. Equidem hat am Donnerstag (10.11.2022) einen detailreichen Bericht veröffentlicht unter dem Titel "If we complain, we are fired” ("Wenn wir uns beschweren, werden wir gefeuert").

"Große Baufirmen, die Stadien für die FIFA WM 2022 in Katar gebaut haben, haben sich aktiv Arbeitsinspektionen entzogen und Gastarbeiter aus Afrika und Asien schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt", heißt es in dem Bericht. "Dies fand statt trotz Arbeitsmarktreformen von Katars Regierung und Maßnahmen der FIFA und ihrer Partner, die speziell darauf zielten, Gastarbeiter vor Missbrauch zu schützen."

Todesfälle, Missbrauch, verspätete oder verweigerte Bezahlungen

In dem 106 Seiten starken Bericht listet Equidem Vorwürfe für alle acht WM-Stadionbaustellen auf - mit der längsten Liste beim 80.000 Zuschauer fassenden Lusail Iconic Stadium, in dem am 18. Dezember das WM-Endspiel stattfinden wird.

Ein Auszug aus den Vorwürfen: Todesfälle, physischer und verbaler Missbrauch, verspätete oder verweigerte Bezahlungen. Die Arbeiter hätten oft bei extremer Hitze arbeiten müssen und seien weiteren Risiken für ihre Gesundheit und Sicherheit ausgesetzt gewesen.

"Klassische Situtation von Zwangsarbeit"

"Einige dieser Praktiken wurden von den WM-Baufirmen genutzt, um eine gefangene und kontrollierbare Belegschaft zu schaffen", schreibt Equidem. Gründer Quadri präzisiert: "Diesen Arbeitern wurde gedroht: Wenn sie sich auch nur beschweren über ihre Situation, wenn sie ihr Gehalt einfordern, dann werden wir euch bei den Behörden melden, dass ihr Ausreißer seid oder etwas von uns gestohlen habt. Das ist eine klassische Situation von Zwangsarbeit."

Episode 2 - Die Toten

Benjamin Best, Robert Kempe, Jochen Leufgens, Katar - WM der Schande (Staffel 1), 07.10.2022 11:15 Uhr

Feueralarm vor FIFA-Besuchen

Auch Anish Adhikari aus Nepal arbeitete am Lusail Stadium. In einem Interview, das Equidem bereitgestellt und übersetzt hat, berichtet der 23-Jährige von Versuchen der Arbeiter, ihre Beschwerden persönlich an FIFA-Delegierte zu richten.

Um dies zu verhindern, habe seine arbeitgebende Firma Feueralarm ausgelöst, bevor eine FIFA-Gruppe das Stadion besuchte. "Die Arbeiter versammelten sich dann auf vorgeschriebenen offenen Plätzen. Danach holten die HBK-Manager die Busse und fuhren uns weg."

Firma der königlichen Familie soll an Ausbeutung beteiligt sein

HBK steht für Hamad Bin Khalid Contracting Co., eine Vertragsfirma in Besitz des Bruders des Emirs von Katar. Adhikari war bei HBK angestellt. Der Equidem-Report erwähnt insgesamt 16 Baufirmen in seinem Report.

Equidem hat nach eigenen Angaben zwischen September 2020 und Oktober 2022 recherchiert und 60 Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter ausführlich interviewt. Ihre Namen seien nicht veröffentlicht worden, um sie vor dem Risiko von Vergeltungsmaßnahmen durch ihre Arbeitgeber oder den Staat zu schützen. Insgesamt habe Equidem mit 982 Arbeitern gesprochen, heißt es in dem Bericht.

Katars Regierung antwortet nicht

Die katarische Regierung habe auf mehrere Anfragen nicht geantwortet, auch HBK und die meisten anderen Baufirmen hätten nicht reagiert. Die vier Firmen, die antworteten, stritten die Vorwürfe ab.

Katars WM-Organisationskomitee verwies in seiner Antwort an Equidem auf seine Standards für das Arbeiterwohl. Minderwertige Auftragnehmer seien so früh wie möglich ausgeschlossen worden, zudem habe das Komitee 85.000 Stunden an Prüfungen und Inspektionen auf Baustellen durchgeführt. Das Arbeitsministerium habe 50 Auftragnehmer am Einsatz gehindert.

WM-OK räumt Missbrauch ein

Das Organisationskomitee räumte ein, dass "unsere Systeme zeitweise von böswilligen Auftragnehmern ausgenutzt wurden". Und es warf Equidem vor, sich erst am 21. Oktober 2022, nach mehr als zwei Jahren Recherche, erstmals an das Organisationskomitee gewandt zu haben.

Dies zeige das offensichtliche Motiv: "Die Veröffentlichung eines äußerst kritischen Dokuments in einer Zeit, in der die Arbeit an der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft Katar 2022 fast zu Ende geht, in der die Anschuldigungen nicht mehr angemessen untersucht und aufgegriffen werden können."

FIFA antwortet Equidem

Die FIFA antwortete Equidem, dass keine der im Bericht wiedergegebenen Praktiken, sofern sie begründet seien, für die FIFA akzeptabel seien. Auch der Weltverband kritisierte, dass Equidem sich erst am 21. Oktober an den Verband gewandt habe.

Die FIFA schreibt: "Obwohl es schwieriger ist, solche Probleme zu überprüfen und zu beheben, wenn ein Projekt abgeschlossen ist, möchten wir die Arbeitnehmer ermutigen, mögliche offene Fragen über die Hotline für Arbeitnehmerwohlfahrt des WM-Organisationskomitees oder den FIFA-Beschwerdemechanismus für Menschenrechte zu stellen."