Fußball | Champions League Sheriff Tiraspol - reicher Firmenklub im Armenland

Stand: 14.09.2021 08:00 Uhr

Mit dem FC Sheriff Tiraspol spielt erstmals ein Team aus Transnistrien in der Gruppenphase der Champions League mit. In vielerlei Hinsicht ist dieser Teilnehmer ein Außenseiter.

Es ist der größte Unbekannte im illustren Teilnehmerfeld der Champions League. Viele Fußballfans fragten sich bereits bei der Auslosung, was sich denn hinter dem Los mit der Aufschrift "Sheriff" verbirgt.

So nennt die UEFA auf ihrer Homepage den Klub aus Tiraspol, der mit einem Heimspiel gegen Schachtar Donezk (Mittwoch 18.45 Uhr) in die Königsklasse startet. Weitere Gegner in der Gruppenphase sind dann Inter Mailand und Real Madrid.

Die Verkürzung auf Sheriff ist eine sehr ehrliche Bezeichnung, wenn auch keine konsequente. Schließlich schreibt der europäische Fußballverband vom "BVB Stadion Dortmund" oder der "Fußball Arena München", um die Namen von Sponsoren oder Anteilseignern zu vermeiden.

Multi-Konzern

Der FC Tiraspol wäre ohne Sheriff vielleicht ein Klub aus der ersten moldauischen Liga, aber gewiss keiner mit Ambitionen auf die Champions League. Sheriff ist ein Großkonzern, der - teils über Beteiligungen - quasi alles aus einer Hand bietet: Er unterhält eine Supermarktkette, eine Bank, Tankstellen, einen Fernsehsender, ein Autohaus, eine Brauerei. Die Aufzählung ist unvollständig.

Viktor Gushan ist einer der Gründer von Sheriff. Er ist Präsident und Gönner des FC Sheriff Tiraspol, der am Mittwoch um 21 Uhr zum Rückspiel in Zagreb antritt. Vor etwa 30 Jahren gründete Gushan sein Unternehmen als Sicherheitsfirma, daher auch der Name.

Transnistrien - der Staat ohne Anerkennung

Sicherheitschef bei Sheriff war Wadim Krasnoselski, heute Präsident eines Staates. Eines Staates allerdings, den kein Land dieser Welt anerkennt. Transnistrien wird daher als De-facto-Staat bezeichnet, mit eigener Regierung, Verwaltung und Währung. Die Hauptstadt Transnistriens, eines schmalen Streifens im Osten der Republik Moldau an der Grenze zur Ukraine, ist Tiraspol. Der erste Champions-League-Gegner Schachtar Donezk hat daher die kürzeste Anreise.

Dr. Sabine von Löwis vom Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien forschte mehrmals vor Ort über Transnistrien. "Beschaulich" sei das Leben in einem der ärmsten Länder Europas, so die Wissenschaftlerin im Gespräch mit der Sportschau über einen in Westeuropa nahezu unbekannten Landstrich. Die Republik Moldau ist das Land mit dem geringsten Bruttosozialprodukt, die Armutsquote ist hoch.

Erheblicher Einfluss auf die Politik

Etwa 60 Prozent des Bruttosozialprodukts werde vom Konzern Sheriff erwirtschaftet, der in Transnistrien erheblichen Einfluss habe. Die Partei "Erneuerung", die als politischer Arm von Sheriff gilt, verfügt im transnistrischen Parlament über 29 der 33 Sitze.

Viktor Gushan, sagt von Löwis, halte sich in der Öffentlichkeit sehr zurück. Ob er tatsächlich ein Offizier beim sowjetischen Geheimdienst KGB gewesen sei, wie in vielen Quellen zu lesen, sei nicht zu belegen. Dass er mit krummen Geschäften zum Milliardär geworden ist, gelte aber als sicher.

Krieg zu Beginn der 90er Jahre

Fest steht, dass Gushan die Wirren der frühen 90er Jahre nutzte, um zusammen mit einem Partner das lukrative Sicherheitsgeschäft zu gründen. Transnistrien erklärte sich 1990 von Moldau unabhängig, in einem kurzen Krieg 1992 wollte sich Moldau (auch als Moldawien bekannt) Transnistrien zurückholen.

Völkerrechtlich wird Transnistrien noch als Teil Moldaus angesehen, aber die latenten Spannungen behindern die Entwicklung beider Staaten. Vereinfacht gesagt sucht Moldau mit seiner Präsidentin Maia Sandu den Anschluss an die Europäische Union. Transnistrien hingegen ist nach Russland orientiert. Die schwierige Lage und fehlende Perspektiven führen dazu, dass gerade junge Menschen Transnistrien verlassen.

Sabine von Löwis schreibt in einem Aufsatz: "Von 1990 bis 2019 ist die Bevölkerungszahl von Transnistrien schätzungsweise um 35 Prozent von ca. 706.000 auf 465.000 Einwohner*innen zurückgegangen. Inoffizielle Schätzungen gehen von einer noch niedrigeren Bevölkerungszahl aus."

Nur Silva Henrique de Sousa Luvannor mit moldauischem Pass

In Tiraspol sollen etwa 150.000 Menschen leben. Der FC Sheriff stellt die mit Abstand erfolgreichste Fußballmannschaft, nicht nur Transnistriens, sondern auch der Republik Moldau. Seit der Saison 1998/99 spielt der zwei Jahre zuvor gegründete Klub in der höchsten Liga mit, wurde seitdem 19-mal Meister. Die Bedingungen sind im Vergleich zur nationalen Konkurrenz fantastisch. Das Stadion ist modern, die Trainingsmöglichkeiten sind bestens.

Drei Viertel der Spieler aus dem Kader sind Ausländer. In der Anfangsformation gegen Dinamo Zagreb stand nur ein Spieler mit moldauischem Pass: Silva Henrique de Sousa Luvannor. Den Pass erhielt er 2013, zusätzlich zu seinem brasilianischen.

Auf der Trainerbank sitzt ein Ukrainer

Immerhin viermal schaffte es der FC Sheriff bereits in die Gruppenphase der Europa League, zuletzt 2017/2018. Die Königsklasse ist nun die Krönung und beschert dem Verein einen Geldregen. Wobei sich die Spieler auf die sportliche Herausforderung freuen. "Wir wollen uns endlich mit den Besten messen", sagte der aus Luxemburg stammende Mittelfeldmann Sebastian Thill nach dem Marsch durch die Qualifikation mit sechs Siegen in acht Spielen.

Trainiert wird das Team vom Ukrainer Juriy Vernydub, der in den 90er Jahren für den Chemnitzer FC in der zweiten Liga spielte - und der Sheriff Tiraspol bestens auf die erste Aufgabe gegen den ukrainischen Serienmeister Donezk vorbereiten kann.