Fans von Borussia Dortmund auf der Südtribüne

UEFA Die Rückkehr der Stehplätze im Europapokal

Stand: 06.09.2022 14:27 Uhr

Im Fußball-Europapokal sind erstmals seit fast 25 Jahren wieder Stehplätze erlaubt - auf Probe. Von der Entscheidung profitieren vor allem deutsche Klubs.

Seit 1998 waren Stehplätze in den UEFA-Klubwettbewerben verboten. In der Saison 2022/23 dürfen erstmals wieder Stehplätze angeboten werden. Das Fan-Bündnis Football Supporters Europe (FSE) sprach bei der Verkündung der Entscheidung von einem "historischen Sieg für die europäische Fanbewegung". Zunächst gilt die Regelung allerdings nur auf Probe und nur in bestimmten Ländern - die wichtigsten Fragen und Antworten.

Wo sind Stehplätze erlaubt?

Zunächst eine Saison lang soll es in den Stadien der Europapokalteilnehmer aus England, Deutschland und Frankreich erlaubt sein, in der Champions League, der Europa League und der Europa Conference League Stehplätze anzubieten. Klubs aus Spanien und Italien hätten auch die Erlaubnis bekommen, aus diesen Ländern verfügt derzeit aber keiner der Europapokalteilnehmer über Stehplätze.

Fans vom FC Chelsea in einem Safe-Standing-Bereich der Stanford Bridge

Fans vom FC Chelsea in einem Safe-Standing-Bereich der Stanford Bridge

Alle deutschen Klubs nehmen an dem Projekt teil. In England wurde in der vergangenen Saison das sogenannte "Safe Standing" eingeführt. In Frankreich sind seit 2018 wieder Stehplätze erlaubt, dort waren sie seit den 90ern gesetzlich verboten. Mehrere Klubs aus England und Frankreich beteiligen sich allerdings gar nicht an dem Projekt, beispielsweise Olympique Marseille, AS Monaco, der FC Arsenal oder der FC Liverpool.

Für die drei Endspiele in Istanbul (Champions League), Budapest (Europa League) und Prag (Conference League) gilt die Regelung nicht.

Was genau bedeutet "auf Probe"?

Die Maßnahme ist ein "Beobachtungsprogramm" der UEFA. Bei einem erfolgreichen Verlauf könnte die Erlaubnis für Stehplätze verlängert und auf andere Länder ausgeweitet werden.

Die Klubs wissen: Nun darf es für die UEFA möglichst keine Argumente geben, Stehplätze wieder zu verbieten. "Alle Fans bitte ich darum, verantwortungsbewusst mit dieser Chance in der nächsten Spielzeit umzugehen", sagte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in einer Klubmitteilung.

Die UEFA äußerte sich zurückhaltend. Wohl auch, um nicht zu große Erwartungen zu schüren. Am Ende der Saison 2022/23 werde "die UEFA-Administration auf der Grundlage der von den beauftragten Experten vorgelegten Berichte" Bilanz ziehen. Das UEFA-Exekutivkomitee müsse dann über eine eventuelle Fortsetzung und Erweiterung des Programms entscheiden, hieß es in einer Mitteilung.

"Stehplätze sind sicher", sagt Martin Endemann vom Fan-Bündnis "Football Supporters Europe" im Gespräch mit der Sportschau. "Im Ligabetrieb bieten die Klubs ohne Probleme Stehplätze an. Unsere Hoffnung ist, dass die UEFA nach der Saison ein positives Fazit zieht und die Regelung für alle Länder gelten wird."

Erhalten auch Gästefans Stehplätze?

14 Klubs aus Deutschland, England und Frankreich werden in den Gruppenphasen der drei Wettbewerbe Stehplätze anbieten. Für Gästefans wird Stehen grundsätzlich erlaubt sein. Als einziger der 14 beteiligten Klubs bietet Bayern München keine Stehplätze für Gäste an, wie auch in der Bundesliga.

Klubs mit Stehplätzen im Europapokal 2022/23
Wettbewerb Klub Stehplatz Gäste?
CL Bayern München nein
CL Borussia Dortmund ja
CL RB Leipzig ja
CL Bayer Leverkusen ja
CL Eintracht Frankfurt ja
CL Paris Saint-Germain ja
CL Manchester City ja
CL FC Chelsea ja
CL Tottenham Hotspur ja
EL SC Freiburg ja
EL Union Berlin ja
EL FC Nantes ja
EL Manchester United ja
ECL 1. FC Köln ja

Warum hat das fast 25 Jahre lang gedauert?

Im Zuge der Katastrophen von Heysel in Belgien 1985 mit 39 getöteten Menschen und Hillsborough 1989 mit 97 Toten wurden die Stehplätze in der Politik als mitursächlich betrachtet, obwohl später bauliche Zustände der Stadien, die Organisation oder das Versagen von Polizei und Sicherheitskräften als Gründe ermittelt wurden. In England verschwanden die Stehplätze aus den Stadien nach dem sogenannten "Taylor Report" im britischen Parlament. Dieser Bericht eines Parlamentariers enthielt mit Blick auf Hillsborough als Hauptforderung die vollständige Beseitigung aller Stehplatzbereiche.

Die UEFA übernahm 1998 dieses Prinzip. Vor allem unter der Präsidentschaft Michel Platinis von 2007 bis 2015 gab es in der UEFA wenig Gesprächsbereitschaft zu dem Thema. Platini stand 1985 als Spieler von Juventus Turin in Heysel auf dem Platz. "Es gab im Laufe der Jahre immer wieder persönliche Gespräche mit Platini", sagt Endemann. "Aber er hat gesagt, dass er zusehen musste, wie Menschen gestorben sind. Und er hat das immer mit Stehplätzen verbunden. Da war es schwierig, dagegen zu argumentieren."

Auch in Deutschland wurde in den 90ern zwischenzeitlich die generelle Einführung von Sitzplätzen erwogen. "Als es sich abzeichnete, dass es in England und anderen Ländern nur noch Sitzplätze geben wird, protestierten Organisationen wie das Bündnis aktiver Fußballfans gegen solche Maßnahmen in Deutschland", sagt Endemann. Auch im Zuge des Neubaus und der Renovierung vieler Stadien rund um die WM 2006 blieben die Stehplätze erhalten. Fast alle Stadien im deutschen Profifußball haben aktuell Stehplätze.

Welche Bedeutung haben Stehplätze für die Fankultur?

Borussia Dortmund hatte den Antrag bei der UEFA mit initiiert, auch Eintracht Frankfurt hat im Hintergrund mitgewirkt. Jan-Hendrik Gruszecki, der beim BVB die Stabstelle Strategie und Kultur leitet, sagte im BVB-Fan-Podcast "Vonne Süd": "Stehplätze sind ein Kernelement für Fankultur, für stimmungsvolle Stadien, sie sind unersetzlich für Gruppenbildung und soziale Kontakte." Endemann nennt die Stehplätze "einen Ort der Begegnung". "Weil man sich dort anders bewegen kann. In der Halbzeit kann man Freunde treffen, ohne über Sitzreihen klettern zu müssen." Stehplätze seien aber vor allem wichtig für die Stimmung, das ließe sich gerade in England beobachten.

Wichtig sei auch der Preis: Stehplätze kosten im Normalfall weniger und ermöglichen finanzschwächeren Menschen und Jugendlichen einen Stadionbesuch. "Nun haben Menschen Zugang zu Europapokalspielen, denen das vorher möglicherweise zu teuer war", sagt Endemann. Ein aktuelles Beispiel aus Leverkusen veranschaulicht das: Während Fans von Atletico Madrid in Leverkusen für 15 Euro stehen können, müssen Leverkusens Fans für Sitzplatz-Karten beim FC Brügge fast 60 Euro bezahlen.

Ist dann alles wie in der Bundesliga?

Grundsätzlich ja: Stehplätze sollen der UEFA zufolge "in Übereinstimmung mit nationalen und lokalen Gesetzen" möglich sein. Damit wird in Deutschland nach fast 25 Jahren der Widerspruch aufgelöst, dass etwas in europäischen Spielen unsicher sein soll, was in der Bundesliga Woche für Woche problemlos praktiziert wird. Die Südtribüne von Borussia Dortmund beispielsweise wird in der Champions League wie in der Bundesliga mit rund 25.000 stehenden Fans gefüllt werden.

2018 war die UEFA beim Thema Alkohol ähnlich vorgegangen. Damals wurde das generelle Verbot aufgehoben und seitdem das zugelassen, was in dem jeweiligen Land gesetzlich und durch lokale Behörden möglich ist.

Stadien deutscher Europapokalteilnehmer 2022/23
Wettb. Klub Kapazität dav. Stehplätze
CL Bayern München 75.024 15.794
CL Borussia Dortmund 81.365 28.673
CL Bayer Leverkusen 30.210 4.500
CL RB Leipzig 47.069 14.161
CL Eintracht Frankfurt 51.500 9.300
EL Union Berlin 22.012 18.395
EL SC Freiburg 34.700 12.400
ECL 1. FC Köln 50.000 8.175

Welche finanziellen Folgen hat die Rückkehr der Stehplätze für die Klubs?

Ein Kostenfaktor für die Klubs verschwindet vorläufig: Die meisten Bundesligisten bauten in der Vergangenheit ihre Stehplatztribünen für die Spiele in Europa kurzfristig mit Sitzplatzmodulen um, einige nutzten sogenannte "Variositze", die in einem Klappsystem je nach Bedarf Steh- oder Sitzplatz sein können. Auch wenn Stehplätze billiger sind, können mehr Karten verkauft werden. Mehr Menschen im Stadion bedeuten auch mehr Konsum in der Gastronomie oder bei den Fanshops. BVB-Geschäftsführer Watzke sprach von Mehreinnahmen zwischen 1,5 und 2 Millionen Euro.

Union Berlin verzichtet in der Europa League durch die Maßnahme der UEFA auf einen Umzug in das Olympiastadion. Das Verhältnis von Steh- zu Sitzplätzen ist an der Alten Försterei ein ungewöhnliches: Mehr als 18.000 Stehplätze gibt es an der Alten Försterei, aber weniger als 4.000 Sitzplätze. Union musste noch weitere Vorgaben erfüllen, beispielsweise die Einrichtung von Aufwärmzonen entlang der Haupttribüne. "Die historische Chance, Europapokalabende an der Alten Försterei zu erleben, wollen wir unbedingt nutzen", sagte Unions Präsident Dirk Zingler laut einer Klubmitteilung. Der Klub bestätigte mittlerweile, dass die UEFA das Stadion zulässt.

Volle Stehplatztribünen bei Flutlicht im Stadion Alte Försterei vom 1. FC Union Berlin.

Volle Stehplatztribünen bei Flutlicht im Stadion Alte Försterei vom 1. FC Union Berlin.