Covid-19 | Interview Infiziert statt geimpft - "Medizinisch gesehen ein GAU" für Kimmich

Stand: 25.11.2021 18:06 Uhr

Bayern-Profi Joshua Kimmich hat die Impfung aufgeschoben und sich jetzt mit Corona infiziert. Warum dies der "größte anzunehmende Unfall" ist, erklärt Hans-Georg Predel, Facharzt für Innere Medizin und Sportmedizin. Als Leiter des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln forscht er seit eineinhalb Jahren zu den Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheit von Spitzensportlern.

Sportschau: Herr Predel, Joshua Kimmich hat sich bisher bewusst gegen eine Covid-19-Impfung entschieden und trägt jetzt das Coronavirus in sich. Wie beurteilen Sie das aus medizinischer Sicht?

Hans-Georg Predel: Medizinisch gesehen ist das ein GAU für ihn. Junge, gesunde und immunstarke Menschen wie Joshua Kimmich überstehen eine Covid-19-Erkrankung zwar in der Regel gut, aber es besteht doch ein nicht zu vernachlässigendes Risiko eines schwereren Verlaufs in der akuten Phase. Das hängt von vielen individuellen Faktoren ab wie etwa einem desregulierten Immunsystem. Ein noch größeres Risiko ist, Long Covid zu entwickeln, also eine Chronifizierung von Symptomen.

Sportschau: Mehrere Studien geben das Long-Covid-Risiko im Schnitt mit zehn bis 15 Prozent an. Wie hoch ist das Risiko für junge Leistungssportler?

Predel: Wir haben mittlerweile einen Überblick über eine relativ große Gruppe infizierter Athleten. Ich würde drei bis fünf Prozent als groben Schätzwert angeben. Für einen Leistungssportler ist es schon eine massive Beeinträchtigung, wenn er unter ständiger Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und im schlimmsten Fall Atemnot unter Belastung leidet.

Sportschau: Kimmich hat argumentiert, dass ihm noch Studien über Nebenwirkungen und mögliche Langzeitfolgen der Impfstoffe fehlten. Wie verhält sich denn das genannte Long-Covid-Risiko zu der Gefahr, bei einer Covid-19-Imfpung schwere Nebenwirkungen davonzutragen?

Predel: In diesem Vergleich sind diese fünf Prozent Risiko für Long Covid schon erheblich. Wenn ich Herrn Kimmich hätte beraten sollen, hätte ich ihm eine Impfung mit Biontech empfohlen, wahlweise auch Moderna. Ich persönlich schätze die große Datenbasis, die wir mit dem Biontech-Impfstoff haben.

Da sind hunderte Millionen Dosen verabreicht worden und wir haben, die klinischen Studien eingerechnet, eine fast zweijährige Langzeitbeobachtungsspanne. Das ist viel mehr, als wir häufig bei anderen neuen medizinischen Verfahren und Medikamenten haben. Demnach überwiegt der Nutzen der Impfung mögliche Risiken bei weitem.

Sportschau: Können Sie das Risiko auch in Zahlen ausdrücken?

Predel: Jenseits der akuten Impfreaktionen, die einem grippalen Infekt ähneln und meist nach ein bis zwei Tagen wieder weg sind, gibt es beim Biontech-Impfstoff eine einzige klinisch relevante Nebenwirkung: die Herzmuskelentzündung, also Myokarditis. Hier beträgt das Risiko 1:10.000 für junge Männer, also 0,01 Prozent, bei den anderen Bevölkerungsgruppen ist es noch deutlich geringer.

Jetzt könnte man sagen: Das ist nicht null, das könnte mich treffen. Das stimmt. Aber es gibt keine medizinische Maßnahme ohne Risiko, und wir machen immer eine Risiko-Nutzen-Abwägung. Der Nutzen wäre bei Joshua Kimmich gewesen, dass er sich möglicherweise überhaupt nicht infiziert hätte oder aber die Infektion sehr viel gelassener über sich hätte ergehen lassen können.

Sportschau: Jetzt sind Herzmuskelentzündungen gerade im Fußball gefürchtet, weil sie im schlimmsten Fall zum Herzstillstand führen können. Bilder wie die des Dänen Christian Eriksen, der bei der EM im Sommer zusammengebrochen ist, bleiben hängen.

Predel: Das ist richtig, solche Bilder prägen unsere Wahrnehmung. Aber rational betrachtet muss man bedenken, dass eine Myokarditis nach einer Impfung keineswegs tödlich ausgeht, sondern in fast allen Fällen folgenlos wieder ausheilt. Lediglich ein Drittel hat einen etwas schwereren Verlauf, das muss man also auch in eine Relation setzen.

Viele Menschen haben bei Covid-19 immer noch das falsche Bild einer Erkältung oder eines grippalen Infekts vor Augen. Dieses Bild vergleichen sie bei ihrer Risiko-Abschätzung mit einer Myokarditis. Der Mensch kann große Zahlen einfach nicht verarbeiten. Wenn ich etwas höre wie "1:10.000", dann kann ich das nicht in die richtige Relation setzen. Unser Bauchgefühl wird davon nicht tangiert. Wir Menschen sind eben keine rein rationalen Wesen.

Sportschau: An dieser Stelle ist auch die Frage wichtig, wie groß denn das Risiko einer Herzmuskelentzündung bei einer Corona-Infektion ist.

Predel: Oh ja, viel höher als bei einer Impfung. Denn Corona betrifft auch das Herz-Kreislauf-System und verursacht auch fiese Myokarditiden in viel höherem und stärkeren Maße.

Sportschau: SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat mit Blick auf Kimmichs Infektion getwittert, dass das Risiko, sich aktuell mit Corona zu infizieren, unbeherrschbar sei. Sie erforschen in Ihrer Studie auch, wo sich Athletinnen und Athleten anstecken. Kommen Sie zu einem ähnlichen Schluss wie Herr Lauterbach?

Predel: Ja, diesen Winter bei den aktuellen Inzidenzen und mit der Delta-Variante gibt es nur zwei Optionen: entweder über die Impfung immunisiert zu werden oder durch eine Ansteckung, gerade bei Athleten. Wir haben gesehen, dass sich 50 Prozent der Athleten im Kontext ihres Sports infizieren, vor allem in Trainingslagern oder bei Wettkämpfen, und 50 Prozent im privaten Umfeld.

Sportschau: Haben Sie im Verlauf Ihrer Studie auch beobachtet, dass die Delta-Variante gefährlicher ist für Leistungssportler?

Predel: Das würde ich so nicht sagen. Die Delta-Variante ist deutlich infektiöser, aber dass die Krankheitsverläufe schwerer sind, sehen wir nicht.

Sportschau: Wie in der Gesamtbevölkerung infizieren sich jetzt auch doppelt geimpfte Sportlerinnen und Sportler immer öfter. Haben Sie Erkenntnisse, ob auch diese an Long Covid erkranken können?

Predel: Ich stehe in ständigem Austausch auch mit anderen Zentren, aber mir persönlich ist kein solcher Fall bekannt.

Das Interview führte Volker Schulte