Die Spieler vom jüdischen Verein Makkabi Berlin jubeln im Berliner Landespokalfinale gegen Sparta Lichtenberg

Makkabi Berlin Fußball als Strategie gegen Antisemitismus

Stand: 05.06.2023 17:16 Uhr

Das Erreichen des DFB-Pokals soll für den TuS Makkabi Berlin nur eine Etappe und mehr als ein sportlicher Erfolg sein. Die Hoffnung: Jüdisches Leben in Deutschland durch Pokalsiege und Aufstiege sichtbarer machen - und Judenhass mindern.

Wer sich zu Fuß dem Berliner Mommsenstadion nähert, wird überall mit der Vergangenheit konfrontiert. 27 Stolpersteine sind hier in der Siedlung Eichkamp, auf wenigen Metern Gehweg, verlegt – zum Gedenken an jüdische Bürgerinnen und Bürger, die von den Nazis verfolgt wurden. In der Arena im Stadtteil Charlottenburg erinnerte der Kapitän des TuS Makkabi Berlin, Doron Bruck, am Samstag an diese dunkle Vergangenheit: "Mit dieser Geschichte, dass unser Verein vor 75 Jahren verboten wurde, bedeutet uns das heute sehr viel."

Kapitän Bruck - "Vor 75 Jahren war der Verein verboten"

Sportschau

Makkabi hatte den Berliner Landespokal gewonnen – und sich für die erste Runde des DFB-Pokals qualifiziert, als erster jüdischer Sportverein. Auf der Stehtribüne jubelte auch Alon Meyer mit. Er ist der Vorsitzende von Makkabi Deutschland, mit 37 Ortsvereinen und über 5.000 Mitgliedern: "Das ist ein ganz wichtiger Schritt, um auf sportliche Weise Sichtbarkeit für das jüdische Leben zu schaffen", sagt er, "und das jetzt mal positiv".

An diesem Tag war ausnahmsweise wenig von Antisemitismus die Rede – ein Thema, mit dem Alon Meyer immer sehr offensiv umgeht. Zuletzt hatte es schwere antisemitische Vorfälle rund um ein A-Jugendspiel zwischen Makkabi Berlin und CFC Hertha 06 gegeben. Dass das Sportgericht des Berliner Fußballverbandes wenige Tage vor dem Pokalfinale ein klares Urteil gegen den Vereinschef von Hertha 06 gesprochen hat (zwei Jahre Ämtersperre), sei sehr wichtig gewesen, sagte Berlins Verbandspräsident Bernd Schulz: "Das war ein Signal. Und das Urteil hat sicher auch geholfen, dass alle von Makkabi das Spiel genießen können. Es ist schön, diese Freude zu sehen."

Judenhass auf Deutschlands Sportplätzen

Sport inside, 27.01.2023 11:17 Uhr

Ein Kontrastprogramm zum Alltag. Makkabis Jugendspieler hatten gegenüber der Sportschau und Sport inside berichtet, dass sie sich aus Angst vor Übergriffen nicht einmal mehr trauen würden, in Trainingskleidung mit dem Makkabi-Wappen, einem stilisierten Davidstern, U-Bahn zu fahren. Der Teammanager der A-Jugend plane sogar auszuwandern.

Makkabi Berlin europaweit das Aushängeschild im Fußball

Am Samstag dann, ein ganz anderes Bild: 4.700 Zuschauer, drei Mal so viele wie beim letzten Berliner Pokalfinale vor einem Jahr – die Hälfte der Fans mit Makkabi-Schals und -Shirts. Die Fahnen und Fanartikel fanden im Stadion reißenden Absatz – es ergab sich ein blau-weißes Bild, wie sonst nur bei der Makkabiade, dem großen internationalen jüdischen Sportfest.

Makkabi Berlin gegen Sparta Lichtenberg - die Tore

Sportschau, 03.06.2023 14:15 Uhr

"Diese Mannschaft ist europaweit im Fußball unser Aushängeschild", so Meyer. Fünfte Liga, kein Makkabi-Team spiele sonst höher. Die Europapokal-Teilnehmer aus Israel wollte er ausklammern. "Wir spielen ja nicht freiwillig im Europapokal mit", sagte Meyer, "man will uns im asiatischen Fußball nicht."

Bitte an die Fans: keine Israel-Fahnen

Die Trennung zwischen Israel als Staat und dem Judentum fällt schwer – bei Makkabi Berlin versuchen sie dennoch immer wieder, den Fußball zu entpolitisieren. Oft genug schwappt der Konflikt im Nahen Osten auf deutsche Amateurplätze. Man selbst bitte die Fans immer wieder, keine Israel-Fahnen zu Spielen mitzubringen, so Ilja Gop. Der Sprecher des Vorstandes blickte hinüber in den prall gefüllten Fanblock, wo tatsächlich nur eine Israel-Fahne hing, direkt neben einer schwarz-rot-goldenen: "Unser Makkabi-Stern ist jüdisch genug."

Doch ganz ohne Politik geht es in so einer historischen Stunde nicht: Im Finale saß neben dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner auch der israelische Botschafter Ron Prosor. Das Aufgebot an Sicherheitskräften in seiner Nähe erinnerte an einen Staatsempfang – gut 30 Männer in schwarzen Anzügen und mit Knöpfen im Ohr, auffällig in einem Fußballstadion. Davor viele Polizeiwagen und gepanzerte Limousinen.

Sponsoren wollen den Aufstieg in die Regionalliga finanzieren

An diesem Samstag in Berlin, als Makkabis Oberliga-Mannschaft den klassentieferen SV Sparta Lichtenberg mit 3:1 besiegte, war eine besondere Aufbruch-Stimmung spürbar. Das Erreichen der Hauptrunde des DFB-Pokals, ein womöglich attraktives Los gegen einen Bundesligisten, nationale TV-Präsenz – all das solle nur der Anfang sein, sagt Immobilienökonom Ilja Gop, der auch einer der größten Vereinssponsoren ist: "In der nächsten Saison schreiben wir die Geschichte weiter. Wir wollen in die Regionalliga."

Eine halbe Million Euro an Etat werde man dafür benötigen. Die 210.000 Euro aus dem DFB-Vermarktungstopf für das Erreichen der ersten Hauptrunde sind schon einmal ein Grundstock. "Die Finanzierung steht." Über zwanzig Sponsoren habe der Verein. Vor allem, aber nicht nur aus der jüdischen Gemeinde. Und es würden immer mehr, die fragen: "Was können wir tun, damit wir noch erfolgreicher im Fußball werden?" Traumziel Dritte Liga? "Warum nicht? Aber alles Schritt für Schritt", so Gop.

Erfolge im Fußball erhöhen gesellschaftliche Anerkennung und Bedeutung in Deutschland – das haben sie bei Makkabi erkannt. Fußball ist ein Türöffner. Über ihr Makkabi-Fußballprojekt "Zusammen1" versuchen sie, den Judenhass einzudämmen. Makkabi-Sozialarbeiter und -Trainer gehen an die Basis, zu den Amateurklubs. "Erfolg und damit Sichtbarkeit im Fußball kann helfen, dass mehr Menschen bereit sind, sich an unserer Seite für demokratische Werte einzusetzen", glaubt Meyer.

All das, was derzeit im Fußball passiert, wirkt wie eine neue Strategie. Gut zu erkennen am Berliner Ortsverein TuS Makkabi, dessen Vorstand zuerst die Übergriffe im November 2022 auf ihre A-Jugendspieler nicht kommentieren wollte. Aus Furcht, es könne den Verein Mitglieder kosten, wenn er wieder einmal mit Antisemitismus in Verbindung gebracht wird. Nun wollen sie raus aus der Opferrolle. Je höher die Liga, desto sichtbarer werden sie sein.

Makkabi Deutschland mahnt: Organisch wachsen

Makkabi-Präsident Alon Meyer, der in seinem Frankfurter Ortsverein auf 25 Jugendteams im Fußball setzt, mahnte allerdings, das Berliner Projekt müsse "gesund wachsen – nicht nur aufsteigen, sondern auch Strukturen verbessern". In der Berliner Fußballszene gilt Makkabi längst auch als finanziell attraktive Adresse, aber: Im Jugendfußball sind sie eine Randnotiz mit derzeit nur vier Teams. "Wir werden auch hier investieren", sagte Gop, "in zehn Jahren wollen wir eine der zehn besten Jugendabteilungen in Berlin haben". Es heißt, es gäbe schon erste, zarte Kooperationsgespräche mit Hertha BSC.

Bei Makkabi haben sie eines erkannt: "Über Erfolg im Fußball lassen sich Botschaften senden. Der Fußball schafft es, innerhalb der deutschen Gemeinschaft sichtbarer zu werden", so Ilja Gop. Von den rund 20.000 Menschen jüdischen Glaubens in Berlin sei etwa jeder zehnte zum regionalen Pokalfinale gekommen. Darunter viele, die sich noch nie für Fußball interessiert hätten. Sonst finden die Heimspiele vor 200 Zuschauern statt.

Man habe wochenlang die Vorfreude und den Stolz spüren können, "auf die Makkabi-Bewegung, auf diese Mannschaft, die uns alle glücklich macht". Ein Team mit Spielern aus 16 Nationen. Gelebte Integration. Ilja Gop sagte noch: "Was wird erst in der jüdischen Gemeinschaft los sein, wenn wir gegen Bayern München oder einen anderen großen Verein im DFB-Pokal spielen?" Die Antwort gab er gleich selbst: Aus ganz Deutschland werden sie dann kommen, um ihre Makkabianer zu sehen.