Halvor Egner Granerud mit dem goldenen Adler

Vierschanzentournee Halvor Egner Granerud - der Vollendete

Stand: 06.01.2023 21:30 Uhr

Mit seinem Sieg bei der Vierschanzentournee ist Halvor Egner Granerud auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Es ist die Krönung einer außerordentlichen Erfolgsgeschichte.

Von Jonas Schlott

Viele Bilder werden von der Vierschanzentournee 2022/23 in Erinnerung bleiben. Eines aber ganz besonders: Nach seinem Sieg beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen setzte sich Halvor Egner Granerud in Yoga-Pose in den Schnee und zelebrierte seinen Erfolg. Er habe "einen Weg gefunden, mit dem Druck umzugehen", sagte er im Anschluss vielsagend.

Vom Kindergärtner zum Vierschanzentournee-Sieger

Vor ein paar Jahren war längst nicht abzusehen, dass Granerud im Januar 2023 auf dem (vorläufigen) Höhepunkt seiner Schaffenskraft steht. 2020 hatte der 26-Jährige noch als Kindergärtner in seiner Heimat Trondheim gearbeitet, um sich etwas Geld dazuzuverdienen. Dem war eine völlig verkorkste Saison vorausgegangen, in der ein 23. Platz sein bestes Ergebnis im Weltcup war. Doch Granerud zog seine Schlüsse aus der sportlichen Misere. Es folgte ein spektakulärer Aufstieg im Winter 2020/21. Mit fünf Weltcup-Siegen in Serie im Gepäck reiste er als großer Favorit zur Vierschanzentournee.

Doch dort versagten ihm die Nerven. Ein schlechter Sprung in Innsbruck brachte den bis dato Führenden um alle Chancen auf den Gesamtsieg. Auch wenn Granerud im Anschluss souverän den Gesamtweltcup gewann, so hatte diese bittere Niederlage ihre Spuren hinterlassen. "Das war sehr lehrreich, was da passiert ist", erklärte sein österreichischer Trainer Alexander Stöckl.

Graneruds Nerven halten in Innsbruck

In diesem Jahr drohte sich die Geschichte zu wiederholen. Wieder war Granerud nach seinen beiden Siegen zum Auftakt der Tournee in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen als haushoher Favorit nach Innsbruck gereist. Als er bei seinem ersten Sprung am Bergisel aber Schwächen offenbarte und Dawid Kubacki den Rückstand in der Gesamtwertung zwischenzeitlich halbieren konnte, spitzte sich die Lage wieder zu.

Ich bin jeden Tag aufs Neue überrascht, wie ruhig er das alles durchsteht.
Alexander Stöckl - Trainer von Halvor Egner Granerud

Doch Granerud hatte aus seinen Fehlern gelernt. Nervenstark setzte er einen großartigen zweiten Sprung auf 133 Meter in den Schnee und behauptete seine komfortable Führung vor Kubacki - auch wenn dieser in Innsbruck gewann. "Ich bin jeden Tag aufs Neue überrascht, wie ruhig er das alles durchsteht", lobte Stöckl: "Vor zwei Jahren war es anders, da war er gestresster und hat sich über alles Mögliche außerhalb des Skispringens aufgeregt."

Krönung in Bischofshofen

Vielleicht hätte sich Granerud zum damaligen Zeitpunkt darüber aufgeregt, den Tournee-Grand-Slam mit Siegen bei allen vier Stationen verpasst zu haben. Er wäre immerhin erst der vierte Skispringer gewesen, der dieses Kunststück fertiggebracht hätte.

Doch der Granerud von heute wischte alle negativen Gedanken beiseite und setzte sich beim abschließenden Springen in Bischofshofen endgültig die Krone auf. Müßig zu erwähnen, dass der begnadete Skispringer in beiden Durchgängen die beste Weite in den Schnee legte und somit auch die letzten Zweifel am Tournee-Sieg beseitigte.

Halvor Egner Granerud (Norwegen) jubelt nach seinem Sprung über den Tages- und Gesamtsieg

Halvor Egner Granerud jubelt nach seinem Sprung über den Tages- und Gesamtsieg

Raimund: "Das sieht einfach nur schön aus"

Für Stöckl ist der Erfolg Graneruds nicht weniger als der Lohn harter Arbeit. Sein Schützling sei "ein 24-Stunden-Athlet, der alles für den Sport tut", sagte der österreichische Trainer. "Bei den wichtigsten Springen des Jahres so eine Leistung zu zeigen, ist gigantisch und extrem nervenstark."

Das mussten auch seine Kontrahenten einsehen. "Das ist unglaublich, wie der fliegt. Der macht grad ganz schön was richtig. Das sieht einfach nur schön aus", sagte Philipp Raimund, einziger Lichtblick in einem völlig enttäuschenden deutschen Team.

Granerud siegt mit Rekord-Punktzahl

Und der Sieger selbst? Der konnte sein Glück kaum fassen. "Dass ich jetzt hier oben stehe, fühlt sich einfach fantastisch an", sagte Granerud, der nach Anders Jacobsens Triumph vor 16 Jahren den goldenen Adler erstmals wieder nach Norwegen holte. "Natürlich spürt man als Athlet diesen Druck. Das jetzt geschafft zu haben, fühlt sich fantastisch an."

Graneruds Überlegenheit bei dieser Tournee wird in Erinnerung bleiben. 1.191,2 Punkte aus vier Wettkämpfen hatte vor ihm noch kein Sieger geholt. Mit den Nordischen Skiweltmeisterschaften im Februar und März in Planica steht das nächste Highlight bereits vor der Tür. Und wer weiß: Vielleicht wird Granerud wieder in Yoga-Pose einen Erfolg feiern. Dass mit ihm auch nach Tiefschlägen zu rechnen ist, hat er in den vergangenen Tagen eindrucksvoll bewiesen.