Die norwegerin Gyda Westvold Hansen mit aufgemaltem Bart

Nordische Kombination Aufgemalter Bart als Protest - "Willkür des IOC ausgeliefert"

Stand: 22.11.2022 17:02 Uhr

Die Sorgen um den olympischen Fortbestand der Nordischen Kombination bleiben auch vor dem Weltcupstart das Thema schlechthin. Weltmeisterin Westvold Hansen protestierte deswegen mit einem aufgemalten Bart.

Es war schon ein bizarres Bild, das Gyda Westvold Hansen am vergangenen Samstag den Zuschauern bot. Mit einem aufgemalten Bart ging Norwegens Topathletin in der Nordischen Kombination beim nationalen Wettkampf in Beitostölen an den Start. Das hatte allerdings keine karnevalistischen Gründe. Vielmehr protestierte die 20-Jährige Weltmeisterin gegen die erneute Nicht-Aufnahme der Nordischen Kombiniererinnen bei den Olympischen Winterspielen 2026.

"Wir finden es ziemlich absurd, dass man tatsächlich einen Bart haben muss, um an Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen", sagte die Weltmeisterin im Anschluss dem norwegischen Fernsehsender "NRK". Teamkollegin Marte Leinan Lund pflichtete ihr bei: "Hier geht es um Gleichberechtigung. Wir sind die einzige Sportart, die nicht an Olympia teilnehmen kann. Das finde ich einfach enorm unfair."

Nordischer Kombination droht Olympia-Aus auf Raten

Westvold Hansens Protestaktion rückt den Fokus vor dem Weltcupstart am Wochenende im finnischen Ruka einmal mehr auf die Zukunftssorgen in der Nordischen Kombination. Denn der sich seit den ersten olympischen Winterspielen 1924 im Programm befindlichen Sportart droht nicht weniger als ein Aus auf Raten. Im Sommer entschied das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Frauen-Wettbewerbe (wieder) nicht ins Programm der Spiele 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo aufzunehmen.

Und auch die Männer müssen zittern: Eine zu hohe Dominanz der Top-Nationen, zu wenig Vielfältigkeit, zu wenig mediale Aufmerksamkeit - schon zu den Spielen 2030 könnte die Nordische Kombination bei Olympia endgültig Geschichte sein. "Um es klar zu sagen - der Platz der Männer für 2030 ist nicht garantiert", verdeutlichte Kit McConnell, Sportdirektor des IOC, zuletzt im Sportschau-Interview.

Frenzel: "Das wirkt alles sehr willkürlich"

Entsprechender Frust herrscht bei den Athletinnen und Athleten vor dem Weltcupstart. "Das alles ist sehr ernüchternd", sagt beispielsweise Eric Frenzel, der am Freitag in seine 16. Weltcupsaison startet. "Wir führen Diskussionen, bei denen den Athleten nicht wirklich klar ist, worüber überhaupt diskutiert wird. Das wirkt alles sehr willkürlich."

Bundestrainer Hermann Weinbuch pflichtet dem zweifachen Einzel-Olympiasieger bei. "Wir sind der Willkür des IOC ausgeliefert." Stand jetzt sind nur 36 statt bislang 55 Quotenplätze und damit maximal zwei pro Nation bei den Spielen 2026 vorgesehen, der Teamwettbewerb würde wegfallen. Von seinen neun Top-Athleten des Leistungskaders 1a wie Frenzel, Johannes Rydzek oder Vinzenz Geiger darf er sieben für den Weltcup nominieren. "Wenn ich künftig nur noch zwei zu Olympia mitnehmen kann, wird bei vielen die Motivation schwierig, verlieren wir die Breite", klagt der Bundestrainer.

Würth und Co. im Ungewissen

Auch Peking-Olympiasieger Geiger warnt vor "heftigen Einschnitten". Die Spiele 2030 dürften auch beim 25-jährigen weit oben auf der Agenda stehen. Doch während die Männer zumindest gezielt auf das nächste große Highlight in Mailand und Cortina d'Ampezzo hinarbeiten können, bleiben die Frauen weiter im Ungewissen. Ob sich für Jenny Nowak, Cindy Haasch oder Svenja Würth überhaupt noch einmal der olympische Traum erfüllt, steht in den Sternen. Oder einfacher gesagt: Es liegt in den Händen des IOC. Würth sprach angesichts der Nicht-Berücksichtigung im Sportschau-Podcast von einem "Schlag ins Gesicht".

Reformen ja, aber keine Revolution

Um den Super-Gau zu verhindern, haben die nationalen Verbände bereits reagiert und ein "Nationen für Nationen"-Programm gestartet: Die starken Verbände unterstützen zwei bis drei kleinere Länder mit Trainingsmöglichkeiten, Material und Know-how. Zudem sollen - behutsam angepasste - Neu-Formate im Weltcup eingeführt, nicht aber die komplette Sportart neu erfunden werden.

Es gehe weniger darum "den Hebel an der Sportart selbst anzusetzen", sagt Frenzel und verweist auf die Rennen bei Olympia, die "an Spannung nicht zu überbieten" waren. Vielmehr kommt es laut Frenzel darauf an, der Welt, insbesondere dem nordamerikanischen und asiatischen Markt, zu zeigen, welches Potenzial in der Nordischen Kombination steckt.

Auch diesen Gedanken werden die deutschen Kombiniererinnen und Kombinierer mit zum Weltcup-Auftakt nach Finnland nehmen - und sich in der Hoffnung auf ein Umdenken des IOC erneut zu Höchstleistungen antreiben. Notfalls auch mit aufgemaltem Bart.