Alleine mit dem Berg: Freerider Max Hitzig in Aktion

Fusion soll beiden helfen Freeride und FIS: Zu viel Struktur für die jungen Wilden?

Stand: 21.03.2023 10:11 Uhr

Die Freeride World Tour findet in diesem Jahr das erste Mal unter dem Dach des Internationalen Ski- und Snowboardverbandes statt. Die FIS komplettiert damit ihre Sammlung von Wintersportarten, die Freeride-Szene steht der Übernahme aber gespalten gegenüber. Der Chef der FWT sagt: Der Zusammenschluss ist eine Chance für beide Seiten. Doch wie viel Verband verträgt eine junge Sportart wie das Freeride?

Von Nadine Regel

Für einen kurzen Moment steht seine Welt auf dem Kopf, er wirbelt durch die Luft, einen 20 Meter hohen Felsvorsprung nach unten. Als er auf dem weichen Schnee unterhalb des felsdurchsetzten Geländes landet, ohne zu stürzen, jubelt Max Hitzig. Seine Konkurrenten laufen ihm entgegen, beglückwünschen den 20-jährigen Deutschen. Niemandem gelang bisher bei einer Freeride World Tour (FWT), der WM im Freeride, ein vergleichbar massiver Backflip. Ein Sprung zum Sieg am 2.454 Meter hohen "Ozone"-Hang im kanadischen Kicking Horse.

Die Fusion mit dem Internationalen Ski- und Snowboardverband (FIS) im Dezember 2022 verleiht dem Sport nun eine neue Seriosität. Mittlerweile befinden sich neben dem alpinen Skifahren und Langlauf auch Snowboarden, Ski-Freestyle und nun auch das Freeride unter dem Dach der FIS. "Freeride ist die ursprüngliche Art, in den Bergen Ski zu fahren", sagt Nicolas Hale-Woods. Der 54-jährige Schweizer gründete die Freeride World Tour 2008. Mittlerweile besteht die Serie im Contest-Freeride aus Junior-Wettbewerben, den Qualifiers, Challengers und den World-Tour-Events. Es gibt 6.000 lizensierte Fahrer und Fahrerinnen, die jedes Jahr bei 200 Events an den Start gehen.

Freerider Max Hitzig  gewann durch einen Backflip am "Ozone"-Hand im kanadischen Kicking Horse

Freerider Max Hitzig gewann durch einen Backflip am "Ozone"-Hang im kanadischen Kicking Horse

Wettbewerbe abseits der Piste

Spektakuläre Abfahrten gespickt mit Tricks wie dem Backflip von Max Hitzig sind es, die die Faszination des Sports ausmachen und viele junge Menschen weltweit begeistern. Der Unterschied zwischen Wettbewerben im Ski Alpin und Freeride ist, dass letztere abseits der normalen Pisten fahren und das freie Gelände bevorzugen.

Bei der Freeride World Tour testen die besten Freerider auf Ski oder Snowboard jedes Jahr zwischen Januar und April ihr Können auf internationalem Niveau. Auf vier Stopps in Spanien, Andorra, Kanada und Österreich fahren die Rider um einen Platz beim großen Finale in Verbier. Am Ende bleiben acht Frauen und 16 Männer übrig, aus denen sich die Weltmeister rekrutieren.

Freiheit für Kreativität

Freeride ist international, jung, cool, modern und hat ein Image, das einer Institution wie der FIS zu einer Verjüngungskur verhelfen kann. Nicolas Hale-Woods gibt zu: "Unser Ziel war es immer, den Sport einmal zu Olympia zu bringen". Die ganze Entwicklung sei darauf ausgerichtet gewesen. 2008 veranstalteten sie das erste Xtreme-Verbier, damals noch ein einzelner Wettbewerb. Da sahen er und sein Team, welche "Power" dieses Event hatte, wie gut es bei den jungen Menschen ankam. Sie begannen, das Event auszuweiten und eine Serie daraus zu entwickeln, was weitere zehn Jahre dauerte. Die Fusion mit der FIS sei nun die logische Konsequenz und eine Win-Win-Situation für beide Seiten.

Der Skiweltverband Fis übernimmt die Freeride World Tour.

Der Skiweltverband Fis übernimmt die Freeride World Tour.

Das Tagesgeschäft der Tour bleibt weiterhin bei der FWT. Die FIS übernimmt die Vermarktung und Verwaltung der Veranstaltungen und unterstützt beim Aufbau von Strukturen, die den Richtlinien für olympische Sportarten entspricht. "Mit der Integration der FWT erweitert die FIS ihr Portfolio um eines der aufregendsten und dynamischsten Wintersport-Wettkampfformate”, sagt FIS-Präsident Johan Eliasch.

Am Regelwerk der Wettbewerbe solle sich aber vorerst nichts ändern, sagt Hale-Woods, hier bleibt also Platz für die Freiheit und Kreativität der Athleten und Athletinnen.

So funktioniert Freeride

Im Wettkampf sind lediglich Start und Ende des Rennens definiert. Auch sonst müssen die Athleten keinen festgelegten Stil zeigen: Sie können Freestyle-Elemente wie Sprünge, Flips oder Drehungen einbauen oder auf Geschwindigkeit setzen. Für die spätere Wertung kommt es auf Linienwahl, Air & Style, Flüssigkeit, Kontrolle und Technik an.

Ohne Kontrolle keine Punkte

Kontrolle ist dabei der wichtigste Aspekt, ein Verlust dieser wird von der Jury schlecht bewertet, das beginnt schon damit, wenn ein Rider mit der Hand den Boden berührt. "Wir wollen nicht, dass die Fahrer über ihr Niveau hinaus unterwegs sind", sagt Hale-Woods. Obligatorisch ist auch das Sicherheitsequipment, die Fahrer und Fahrerinnen sind mit Helm, kompletter Lawinensicherheitsausrüstung und Lawinenrucksack ausgestattet, auch wenn die Hänge vorher streng auf Sicherheit geprüft werden.

100 Punkte kann ein Rider bei einer Fahrt erreichen. Max Hitzig kommt mit seinen 97,67 Punkten, die ihm sein Backflip in Kanada einbrachten, schon nah ran an den perfekten Run. Ganze 21 Stunden habe er den Hang studiert, erzählt er, zunächst mit einem Fernglas von einem Beobachterposten gegenüber, später stellten ihm Fotografen detailliertes Fotomaterial zur Verfügung. Am Morgen des Wettbewerbs fahren zudem Skifahrer den Hang hinunter, um den Ridern zu demonstrieren, wie die aktuellen Schneebedingungen sind.

"Es gibt Leute", sagt Hitzig, "die meinen, ich bin verrückt." Aber er wisse genau, was er tue. 2022 nahm er mit einer Wildcard als Quereinsteiger das erste Mal an der WM teil. Beim Stopp in Fieberbrunn gelang ihm sofort die Siegerabfahrt. Hitzig sieht die Zusammenarbeit mit der FIS positiv. "Freeride ist eine Randsportart mit hohem Risiko", dafür sei leider nicht viel Geld im Spiel. Das ist nicht wie beim Ski Alpin, wo man berühmt werde und davon leben könne. Durch die FIS könnte auch eine Übertragung im Fernsehen ein Thema werden.

Negative Folgen für die Fahrer?

Es gibt aber auch Stimmen in der Szene, die die Professionalisierung des Sports ablehnen, den Freiheitsaspekt hochheben und vom Verband zu viele Einschränkungen befürchten.

So kritisiert etwa Markus Eder, einer der besten Freerider überhaupt, laut der Fachseite "downdays", andere Sportarten wären bei der FIS "immer wichtiger als Freeskiing". Die bereits erfolgte Integration von Slopestyle, Halfpipe und Big Air sei finanziell für die Sportler sogar negativ gewesen. "Am Ende mussten sich die Fahrer den Regeln beugen, die ihre Nationalteams ihnen auferlegten - zum Beispiel die beschissenen Klamotten ihres nationalen Verbandes zu tragen, was dazu führte, dass sie ihre Sponsoren verloren, da sie sie nie tragen durften."

Alleine auf dem Berg: Ein Freerider

Freeriding ist für Hale-Woods die ursprünglichste Art des Ski zu fahren.

FIS: Ressourcen, Vermarktung, Skigebiete

Hale-Woods sieht hingegen vor allem die Vorteile: Die Fusion bedeutet mehr Sicherheit für den Veranstalter, die Sportart könne sich besser etablieren. Denn die FIS verfügt über große Ressourcen, was Vermarktung angeht, sie kann Sponsoren vermitteln und den Weg zur staatlichen Athletenförderung eröffnen. Gleichzeitig wisse die FIS, dass sie Probleme bekomme, wenn sie sich neuen Sporarten nicht öffnet, so Hale-Woods. Verbände wie die FIS seien abgekoppelt von der Jugend, sie könnten mit den schnellen Entwicklungen nicht mithalten, vor allem wegen der sozialen Medien.

Und der Verband kann bei der Suche weiterer Skigebiete helfen, in denen Wettbewerbe stattfinden können. Nicolas Hale-Woods träumt derweil schon von neuen Stopps für die Freeride World Tour, er spricht von Alaska, Georgien, China, Italien, Russland. Was dabei über allem schwebt, ist das Thema Schneesicherheit. Darauf aber hat noch nicht einmal die FIS Einfluss.