Dirk Hordorff, DTB, kaputter Tennisschläger, Collage

Tennis Missbrauchsvorwürfe gegen Erfolgstrainer und Funktionär

Stand: 26.03.2023 20:58 Uhr

Ein ehemaliger und ein aktueller Tennisprofi erheben im Interview mit NDR, Sportschau und SZ schwere Vorwürfe gegen einen hochrangigen Tennis-Funktionär und Trainer. Es geht um sexualisierte Gewalt und mutmaßlichen Machtmissbrauch. Der ehemalige Wimbledon-Sieger Michael Stich fordert vom Deutschen Tennisbund (DTB) als Konsequenz aus den Vorwürfen, sein ganzes System infrage zu stellen.

Von Andrea Schültke, Elena Kuch, Andreas Becker, Hendrik Maaßen

"Anfangs waren das Berührungen von ihm am Rücken, Bauch, und er hat sich dann runtergearbeitet bis zum Gesäß", so schildert es Maximilian Abel im Gespräch mit NDR, Sportschau und Süddeutscher Zeitung: "Es war sehr unangenehm und ich hab' mir gedacht, was macht der da für einen Mist." 

Derjenige, den Abel mit dieser Schilderung beschuldigt, ist Dirk Hordorff, sein ehemaliger Trainer und der Vizepräsident des Deutschen Tennisbundes (DTB). Über Jahre, so der Vorwurf, soll ihm Hordorff seelische, sexualisierte und körperliche Gewalt angetan haben, sagt Abel. 

In den 1990er Jahren war Abel einer der besten Juniorenspieler der Welt. Er galt damals als deutscher Tennisstar der Zukunft und spielte als junger Profi unter anderem gegen Roger Federer. Doch während seiner Karriere soll Abel seinen Aussagen zufolge auch Opfer von Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt gewesen sein. Bereits vor genau einem Jahr hat er in einem Brief diese Vorwürfe geschildert – adressiert an Dietloff von Arnim, Präsident des Deutschen Tennisbundes (DTB).

Befühlen der Muskeln in der Umkleide

Der heute 41 Jahre alte Maximilian Abel kennt den Mann, gegen den er die Vorwürfe erhebt, seit er als Kind auf der Anlage des hessischen Tennisverbandes trainierte. Am Rande des Trainings seien sie sich dort das erste Mal begegnet. Als Hordorff Mitte der neunziger Jahre zu Maximilian Abel sagte, er wolle dessen Muskeln befühlen, schauen, ob der Junge fit sei, habe er gehorcht und sei mit in die Umkleide gegangen, sagt Abel.

Später habe er Hordorff in dessen Wohnung besucht. Dort habe er nackt Liegestütze machen sollen und sei massiert worden. Hordorff sei in dieser Zeit weder sein Trainer, Physiotherapeut noch Masseur gewesen. Das sei unangebracht, findet der ehemalige Tennistrainer von Steffi Graf, Klaus Hofsaess: "Das macht keiner."

Abhängigkeits- und Machtverhältnis

Um im Spitzentennis mithalten zu können, ist es ratsam finanzielle Unterstützung oder so genannte Wild Cards für Turniere zu erhalten. Solche habe Dirk Hordorff ihm verschafft, erinnert sich Abel. Und er habe versprochen, ihn kostenlos zu trainieren, bis er unter den besten 100 Spielern der Welt sei. So sei ein Abhängigkeits- und Machtverhältnis enstanden, das Hordorff ausgenutzt habe.

Maximilian Abel im Jahr 2012

Maximilian Abel im Jahr 2012

Ein Ereignis sei ihm besonders in Erinnerung geblieben, sagt Abel - vom Mai 2003, während des ATP-Turniers am Hamburger Rothenbaum. "Du hast mich angelogen", habe ihm sein damaliger Trainer Hordorff vorgeworfen. Er habe Tennissaiten zum Bespannen seines Schlägers entgegen seiner Behauptung nicht abgeholt. 

Zur Strafe - so schildert es Abel im Interview mit NDR, Sportschau und SZ -  habe er sich auf Anweisung des Trainers ausziehen und nackt auf dem Hotelbett "in Hundeposition" gehen müssen. Dirk Hordorff habe den Gürtel aus der Hose genommen. "Dann hat er 20 Mal durchgezogen", sagt Abel. 20 Hiebe auf das nackte Gesäß. Als Maximilian Abel nach hinten geblickt habe, meint er, eine Erektion bei seinem Trainer gesehen zu haben. "Ich war geschockt, habe mich gefühlt wie Scheiße", sagt Abel. 

Abel sitzt im Gefängnis, seine Aussagen sind konsistent

Abel sitzt heute im Gefängnis, nicht das erste Mal. Der Grund: Kreditkartenbetrug. Er habe mit gestohlenem Geld Drogen- und Alkoholexzesse und seine Spielsucht finanziert, unter anderem auch Prostituierte davon bezahlt. Mehr als sieben Jahre Haft verbüßt er aktuell. Maximilian Abel weiß: Als verurteilter Betrüger ist seine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Für manche ist er ein "notorischer Lügner".

Seit 2003 hat sich Abel mindestens vier Personen und zwei Interessenvertretungen gegenüber anvertraut. Reporterinnen und Reporter von NDR, Sportschau und Süddeutscher Zeitung haben mit diesen Personen gesprochen und Briefe an sie einsehen können. Der Eindruck: Abels Aussagen sind konsistent und weichen nicht voneinander ab.

Und Maximilian Abel war den Recherchen zufolge nicht der Einzige, der sich vor Dirk Hordorff ausziehen sollte. Reporterinnen und Reporter von NDR, Sportschau und SZ haben mit mehr als 30 Personen aus der Tennisszene gesprochen - mit aktuellen und ehemaligen Spielern, Trainern und Funktionären. Einige von ihnen haben nach eigener Aussage ähnliches erlebt wie Abel.

Sexueller Missbrauch im Sport - Das große Tabu

Andrea Schültke, Sportschau, 13.07.2019 19:05 Uhr

"Er wollte mich wie einen Sklaven behandeln"

Einer der Betroffenen ist der aus Indien stammende Tennisprofi Sriram Balaji. Ein Stipendium des indischen Verbandes hatte ihm einen etwa dreimonatigen Aufenthalt beim Hessischen Landesverband im Jahr 2010 ermöglicht. Dort sei Dirk Hordorff, damals Präsident des hessischen Landesverbandes, mindestens einmal die Woche nach kurzem Klopfen in sein Zimmer gekommen, erinnert sich der Spieler. Dann habe Balaji, der zu dem Zeitpunkt 20 Jahre alt war, sich ausziehen sollen - zunächst bis auf die Unterhose, später dann komplett.

"Er hat mich am ganzen Körper angefasst, nur nicht an den Genitalien", sagt Balaji, der heute noch aktiv auf der ATP-Tour unterwegs ist, im Interview mit NDR, Sportschau und SZ. Er habe sich sehr unwohl gefühlt, aber niemandem davon erzählt. So habe er gedacht, in Deutschland sei das normal.

Er habe zudem eine Nacht in Dirk Hordorffs Wohnung übernachtet und dort nackt auf dem Sofa schlafen sollen, erzählt Balaji. Auf dem Tennisplatz habe Hordorff ihn gedemütigt und vor anderen Spielern an den Ohren gezogen: "Ich hatte das Gefühl, er wollte mich wie seinen Sklaven behandeln."

Dirk Hordorff hat sich auf Anfrage von NDR, Sportschau und SZ nicht persönlich geäußert. Eine von ihm beauftragte Anwaltskanzlei teilte jedoch mit, die Vorwürfe seien "schlicht unzutreffend". Die geschilderten Sachverhalte hätten nicht stattgefunden.

Hordorff ist ein gut vernetzter Strippenzieher

Dirk Hordorff gilt in der nationalen und internationalen Tennisszene bis heute als gut vernetzt und als mächtiger Strippenzieher, der junge Talente auch finanziell fördere. Er war Trainer und Manager von Rainer Schüttler. Der langjährige Weltranglisten-Erste Novak Djokovic besuchte als junger Spieler sein Trainingslager. Hordorff soll in die Karriere des Serben investiert haben. 

Spieler, Trainer und Funktionäre beschreiben Hordorff als Machtmenschen, der sein großes Netzwerk geschickt einsetze und Widersachern mit Klagen drohe. In einem offenen Brief, der 2020 an den Hessischen Tennisverband geschickt wurde, heißt es, er verfahre mit Spielern, Trainern und Eltern nach "Gutsherrenart": "Sein Verhalten ist autoritär und allein auf Machterhalt beziehungsweise -gewinn ausgelegt."

So erreichen Sie uns

Das NDR-Ressort Investigation recherchiert zu Sexismus, MeToo und sexualisierter Gewalt im Sport. Sie erreichen die Redaktion unter investigation@ndr.de. Beim WDR recherchiert die Redaktion Sport inside zu diesen Themen. Die Redaktion erreichen Sie unter sportinside@wdr.de.

Michael Stich fordert Konsequenzen

Aufgrund der Vorwürfe gegen Hordorff, fordert der ehemalige Wimbledon-Sieger Michael Stich Konsequenzen. "So jemand hat für mich im DTB keine Position", sagte Stich. Das geschilderte Verhalten Hordorffs sei "völlig indiskutabel, ein No-Go, das im Leistungssport nichts zu suchen hat". Der Deutsche Tennisbund solle einen klaren Schnitt machen und müsse sein ganzes System in Frage stellen. Es gehe auch darum zu verhindern, "dass so was in der Zukunft wieder passiert".

Michael Stich: "DTB muss sein System in Frage stellen"

Mittagsmagazin, 24.03.2023 13:00 Uhr

DTB: "Fehlverhalten nicht mit Sicherheit nachgewiesen"

Als Reaktion auf Maximilian Abels Brief hat der DTB im Sommer 2022 eine Wirtschaftskanzlei mit einer Untersuchung beauftragt. Diese Untersuchung ist nun offenbar abgeschlossen. Dies teilte der DTB auf Anfrage von NDR, Sportschau und SZ mit. Die Untersuchung komme zu dem Ergebnis, "dass der erhobene Vorwurf eines Fehlverhaltens nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann". Das Präsidiumsmitglied übe aber sein Amt bis auf Weiteres nicht aus.