Tennis | French Open Nachwuchs im deutschen Frauentennis: Die neue Generation macht Mut

Stand: 24.05.2022 07:00 Uhr

Am Rande der French Open kämpfen junge deutsche Spielerinnen wie Jule Niemeier und Nastasja Schunk um den Anschluss an die erweiterte Weltspitze. Die Verantwortlichen des Deutschen Tennisbunds (DTB) wollen nicht noch einmal eine ganze Generation verlieren.

Von Jannik Schneider

Als Nastasja Schunk zum Interview kommt, verbirgt die 18-Jährige ihre Müdigkeit hinter einem Lächeln. Vor etwas mehr als einer Stunde hat sie im Viertelfinale des ITF-Turniers in Wiesbaden eine ebenfalls junge Russin in zwei engen Sätzen besiegt. Doch die Wimbledonfinalistin bei den Juniorinnen 2021 weiß: Jeder Erfolg auf dem Weg in obere Ranking-Gefilde kostet Kraft.

"Ich bin glücklich", sagt das Toptalent gegenüber der Sportschau und meint das auch so. Sie ist vor kurzem aus dem heimischen Ludwigshafen zu Benjamin Ebrahimzadeh (42) gewechselt, der unter anderem schon Angelique Kerber trainiert hat und sich seit diesem Jahr in der hessischen Landeshauptstadt eine kleine Akademie aufbaut. "Die ersten Wochen waren noch eine Umstellung, aber ich kenne ihn länger und es läuft", erklärt Schunk.

Niemeier und Schunk für Aufschwung im Frauentennis

Nicht ganz drei Wochen ist das nun her, seit Schunk bei diesem höchsten Turnier unterhalb der WTA-Tour immerhin das Finale erreichte. Deshalb wird sie beim Sandplatzhighlight des Jahres, den French Open in Paris, in diesen Tagen auf Weltranglistenplatz 165 geführt – ein persönlicher Bestwert.

Zusammen mit Jule Niemeier (22 Jahre, Nr. 102), der Frontfrau der nächsten Generation, und Eva Lys (20, Nr. 229) steht sie stellvertretend für den kleinen, aber spürbaren Aufschwung im deutschen Frauentennis.  

Niemeier: "Habe das spielerische Level"

Niemeier qualifizierte sich in Paris souverän für das Hauptfeld und verlor am Sonntag nach großem Kampf und mit Oberschenkelproblemen gegen die Grand-Slam-Siegerin Sloane Stephens. "Frustrierend" und "bitter" sei das, aber sie habe sehr viel gespielt in der Sandplatzsaison. "Positiv ist, dass ich das spielerische Level habe. Heute war es eher ein körperliches Problem." Langfristig wolle sie bereit sein, körperlich mehrere Matches bei Grand Slams zu gewinnen.

Schunk gewann bei ihrer ersten Grand-Slam-Qualifikation überhaupt direkt zwei Matches. Aufgrund von verletzungsbedingten Absagen rückte sie ebenfalls ins Hauptfeld. Am Dienstag trifft sie im bislang größten Match ihrer Karriere auf Simona Halep, die das Turnier in Paris 2018 gewann. Ein kleiner Schritt für die Spielerin und den Verband.

DTB hat eine ganze Generation verloren

Der DTB ist in den vergangenen Jahren daran gescheitert, die Lücke zwischen der goldenen Generation um Kerber, Görges und Petkovic zu schließen. Spielerinnen wie Carina Witthöft und Antonia Lottner (Auszeit auf unbestimmte Zeit), Annika Beck (Karriereende) und Anna-Lena Friedsam (war lange verletzt) haben den Anschluss aus unterschiedlichen Gründen verpasst.  

Barbara Rittner, die alle drei Generationen als ehemalige Fed-Cup-Kapitänin oder als Hauptverantwortliche im deutschen Frauentennis begleitet, ist nicht mehr enttäuscht. Sie sagt der Sportschau: "Natürlich ist das aus Verbandsicht schade, dass Spielerinnen wie Annika Beck und Carina Witthöft, die den Durchbruch in die Top 50 bereits geschafft hatten, entschieden haben, andere Wege einzuschlagen. Der Erfolg bedeutet aber, dass wir sie auf ihrem Weg richtig begleitet haben." Sie respektiere die Entscheidung jeder Einzelnen. "Jeder darf seinen eigenen Weg gehen."

DTB wird seit fünf Jahren vom Bund unterstützt

Rittner weiß, dass die genannten Spielerinnen für die nächste Generation eine zusätzliche Unterstützung gewesen wären. Der scheidende Sportdirektor des DTB, Klaus Eberhard, berichtet auf Sportschau-Anfrage von anderen Hilfestellungen: "Seit fünf Jahren sind wir zusätzlich in die Förderstrukturen des Bundes einbezogen. Dadurch konnten wir die Anzahl unser Trainerstellen erhöhen und zusätzlich einen Athletiktrainer und Physiotherapeuten einstellen. Darüber hinaus haben wir die Möglichkeit, weitere Honorarkräfte hinzuzunehmen."

Zusätzlich unterstützt Porsche seit 2012 zwei Nachwuchsteams und die Frauen-Nationalmannschaft finanziell. Weder der Verband noch der Sponsor wollen auf Anfrage eine Summe nennen. Der Sponsor erklärt, er sei sehr zufrieden mit den vergangenen zehn Jahren. Das Team um Barbara Rittner leiste gute Arbeit. Über die Lücke im Frauentennis schreibt ein Unternehmenssprecher: "Aus unserer Sicht ist so eine Entwicklung nicht ungewöhnlich."

Junge Talente mit Potenzial für die Top 100

Eberhard ist sich bei Niemeier, Schunk und Lys sicher: "Alle haben das Potential, die Top 100 und später die Top 50 oder mehr zu erreichen." Rittner nennt neben Lys noch Noma Noha Akugue (Erfolge auf Futurelevel) und die Juniorin Ella Seidel als vielversprechende Talente. Neben Seidel (48) befinden sich mit Carolina Kuhl (41) und Joelle Lilly Sophie Steur (54) drei Talente der Jahrgänge 2004 und 2005 in der Juniorinnenweltrangliste.

Rittner und ihr Team haben die Talente, so oft das während der Pandemie möglich war, am Stützpunkt in Stuttgart-Stammheim zusammengezogen. Die Aufgaben im Alltag sind ungleich wichtiger. Rittner sei sehr nah dran und lobt die erfahrenen Trainer. Lys wird von ihrem Vater in Hamburg geformt und kämpfte sich beim Porsche Grand Prix in Stuttgart dank einer Wildcard aus der Qualifikation in die zweite Hauptrunde und darf in Wimbledon ebenfalls erstmals in der Qualifikation aufschlagen.

Niemeier wird seit ein paar Monaten vom erfahrenen Frauentrainer Christopher Kas begleitet, den das Team um Michael Geserer (führte zuletzt Danielle Collins in die Weltklasse) in Regensburg ausgesucht hat.

Neue Generation tritt erfrischend auf

Die neue Generation tritt kommunikativ erfrischend, verbindlich und mit einem guten Mix aus Zurückhaltung und Selbstvertrauen auf. Für Schunk sei es kein großes Thema, dass die Kluft zwischen ihrer und Kerbers Generation so groß ist.

Beim Thema Orientierung verweist sie auf Niemeier, die am Sonntag in Paris mit Blick auf ihre Führungsrolle und den Vergleichen zu Kerber und Petkovic erklärte: "Ich habe keine Angst davor und spüre keinen Druck. Das ist für mich eher was Positives, dass ich mit den Beiden in Verbindung gebracht werde."

Alle seien wesentlich erwachsener und professioneller geworden, resümiert Rittner. "Wenn sie diesen Weg beibehalten, werden sich die guten Ergebnisse der letzten Wochen und Monate fortführen."