Tennis | Australian Open Djokovic und die Australian Open: Kaum einer spricht über Tennis

Stand: 16.01.2022 18:00 Uhr

Die Tage vor dem Start der Australian Open überstrahlt das Geschehen um Novak Djokovic und sein Visum alles andere. Auf Spurensuche in Melbourne - um Tennis geht es aktuell selten.

Von Jannik Schneider

Eine einzige Kamerafrau hielt am frühen Donnerstagnachmittag tapfer die Stellung. Sie sei schon seit den Morgenstunden hier, an dem in Melbourne berüchtigten und seit dieser Woche auch weltweit bekannt gewordenen Park Hotel am Lincoln Square: "Ich habe den Auftrag erhalten, hier zu warten, falls Novak Djokovic heute ausgewiesen werden sollte. Wir denken, dass er dann wieder Rechtsmittel einlegt und in der Zwischenzeit erneut hier strandet."

Von welchem australischen TV-Sender sie ist, wolle sie nicht verraten. Auch sonst ist die junge Frau sehr zurückhaltend. Nach dem kurzen Austausch zieht sie sich in den Schatten zurück - verständlich, bei knallender australischer Sonne und knapp 30 Grad.

Was sie da noch nicht wissen kann: Novak Djokovic wird an jenem Donnerstag nicht mehr des Landes verwiesen. Die Geschichte setzt sich noch drei weitere Tage fort.

Sonntag fällt Entscheidung zu Djokovic

Erst am Sonntag (16.01.2022), als ein dreiköpfiges Bundesgericht final tagt und Djokovics erneuten Einspruch ablehnt, akzeptiert der beste Tennisspieler der Welt sein Schicksal. Einstimmig hatte Hauptrichter James Allsop stellvertretend für seine beiden Kollegen in einer virtuellen Anhörung um kurz vor 18 Uhr Ortszeit verkündet, dass Djokovics erneuter Einspruch gegen die Visa-Entscheidung abgelehnt werde.

Keine Stunde nach der Urteilsverkündung erklärte Djokovic in einem schriftlichen Statement, dass er die Entscheidung respektiere und mit den Verantwortlichen Behörden kooperiere, um das Land zu verlassen. Es sei ihm zudem unangenehm, dass der Fokus der vergangenen Wochen "nur auf mir" gelegen habe.

Immigrationsminister fürchtete Unruhen

Australiens Migrationsminister Alex Hawke hatte bereits am Freitag von seinem Recht Gebrauch gemacht, die erste Entscheidung pro Djokovics Visum zu überstimmen. Außerdem war festgelegt worden, dass der 20-malige Grand-Slam-Sieger die Nacht zum Sonntag zum vierten Mal im Park Hotel, der berüchtigten Aufnahmeeinrichtung, verbringen muss.

Genau an jenem Ort also, an dem die einzelne Kamerafrau Donnerstag gewartet hatte. Und dies auch Freitag vergebens tat. Erst am Samstag bekam sie ihre wertvollen Bilder. Für eine Nacht musste Djokovic zurück in die Aufnahmeeinrichtung am Lincoln Square.

Flüchtlinge seit neun Jahren im Park Hotel

Vor dem Gebäude versammelten sich täglich mehrere Dutzend Unterstützer des Serben. Gleichzeitig kommen schon viel länger und regelmäßiger Einheimische an diesen Ort, um auf das Schicksal von 33 Flüchtlingen aufmerksam zu machen. Die Gruppe junger Männer sitzt seit schwer zu fassenden neun Jahren im Park Hotel fest - ohne Aufenthaltsgenehmigung in Australien.

Am Donnerstag hängen an einem Fenster im zweiten Stock zwei Schriftzüge, die auf diese grausame Situation aufmerksam machen: "9 years" in roter Farbe und darunter "human zoo" in schwarzer Schrift.

Die Zustände für die Bewohner werden als widerlich beschrieben. In australischen Medien häuften sich vergangene Woche Berichte über faules Essen und niedrigste Hygienestandards. In diesen Gegebenheiten musste der Weltranglistenerste erneut ausharren.

De Minaur: "Das Tennis sprechen lassen"

Die meisten Beteiligten auf der Anlage der Australian Open, rund drei Kilometer entfernt von dem Brennpunkt dieser Woche, gingen die politischen Machtspiele nur noch auf die Nerven. Rafael Nadal nannte das Politikum "einen Zirkus".

Lokalmatador Alex de Minaur arbeitete öffentlich heraus, wie hart die Australier mit einem der härtesten Lockdowns in den vergangenen zwei Jahren verzichten mussten. "Diese ganze Situation um Djokovic hat eine Menge Aufmerksamkeit von uns Spielern weggenommen. Wir sind bereit, die Australian Open zu spielen. Ich will das alles nur hinter mir lassen und das Tennis sprechen lassen", sagte ein frustrierter De Minaur.

Djokovic und das Visum? "Es nervt nur noch"

Tennis war den meisten Einheimischen vor dem Turnierstart am Montag tatsächlich noch ziemlich egal. Vier Busstationen vom Parkhotel entfernt, auf dem Weg zum Venue der Australian Open, liegt die Staatsbibliothek. Bei tollem Wetter saßen am Donnerstagnachmittag viele junge Menschen auf der Wiese.

Eine junge Brasilianerin sagt: "Die meisten meiner Freunde, die sich nicht so für Sport interessieren, aber ab und zu die News verfolgen, wissen von Djokovic Bescheid." Die Mehrheit sei gegen ihn. "Ich bin vor sechs Jahren nach Australien gekommen. Als Einwanderin finde ich es gut, dass Australien zunächst so streng war." Einige werden bei der Thematik auch wütend.

Je kürzer die Distanz zu den Tennisplätzen, desto weniger Menschen haben keine Meinung zu Djokovic - oder müssen es wegen ihrer Arbeit vorgeben. Die Mitarbeiter des Verbands, alle mit auffälligen blauen Hemden ausgestattet, geben sich auf Nachfragen entspannt.

Lediglich eine Mitarbeiterin an der Akkreditierung lässt ihre Emotionen zu. Sie atmet tief aus und erklärt: "Es nervt nur noch." Sie wird spätestens am Sonntag erleichtert gewesen sein. In wenigen Stunden verschiebt sich der Fokus auf Tennis - dann endgültig ohne den Rekordsieger des Turniers.