Der verkörperte Leader: Wataru Endo

Meinung Legendos Ende beim VfB - der Verlust des Unersetzlichen

Stand: 18.08.2023 21:24 Uhr

Gehirn, Herzschlag, Legendo. Es gibt viele Umschreibungen für Wataru Endo. Wenn einer beim VfB Stuttgart verlässlich ablieferte, dann war es der japanische Kapitän. Endos Wechsel nach Liverpool ist für den VfB ein herber Rückschlag, meint SWR-Sportreporter Michael Bollenbacher.

Es ist erst eine Woche her, als die Brust von Stuttgarts Cheftrainer Sebastian Hoeneß gefühlt ein wenig breiter wurde: Als er von seinem Kapitän schwärmte, ihn erneut im Amt bestätigte. "Wataru wird Kapitän bleiben. Er ist unser Gesicht, ein absoluter Krieger", betonte der VfB-Trainer vor der Pokal-Partie gegen Balingen. Alles andere wäre Majestätsbeleidigung gewesen. Endo, der unermüdliche Kämpfer im Mittelfeld, sollte selbstverständlich weiter Herz und Hirn der Mannschaft sein.

Endos Traum von der Premier League

Nur eine Woche später saß Hoeneß auf der Pressekonferenz rund 48 Stunden vor dem Saisonauftakt gegen Bochum und sagte über den plötzlichen Wechsel seines Kapitäns zum FC Liverpool: "Das ging jetzt hoch wie eine Bombe." In der Tat ist der Abgang, nur ein Wimpernschlag vor dem ersten Bundesliga-Spiel, ein herber Dämpfer. Nicht nur für die geschockten Fans, auch für die sportlichen Ambitionen des VfB, der in der Saison 23/24 endlich mal wieder die Möglichkeit sah, einen Platz im gesicherten Mittelfeld zu erreichen, eine sorgenfreie Saison zu spielen.

Natürlich stellt sich jetzt - und vor allen in Fan-Foren - die Frage: Warum hat der VfB Endos Vertrag nicht bereits längst verlängert? Gab es kein Angebot oder war es eher so, dass Wataru Endo gar nicht verlängern wollte? Dass er dadurch seinen lang gehegten Traum, irgendwann in der stärksten Fußball-Liga der Welt, der Premier League, zu spielen, gefährdet sah? Für mich ist es verständlich, dass der VfB seinen absoluten Anführer das große Karriere-Ziel erfüllen lässt - alleine schon der großen Verdienste wegen.

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VfB Stuttgart: Wataru Endo wechselt zum FC Liverpool

Der Mann mit dem fletschenden Zahnschutz

Sein Last-Minute-Siegtor zum Klassenerhalt beim 2:1 gegen Köln 2022 machte aus Endo "Legendo". Gerne zeigte der Japaner nach Toren wie diesem in jubelnder Kämpferpose seinen fletschenden Zahnschutz, mit dem er auf die Gegenspieler vermutlich noch ein wenig furchterregender wirkte.

133 Pflichtspiele mit 15 Treffern und zwölf Assists umschreiben nur ansatzweise die Bedeutung des schwäbischen "Kriegers". Von 102 möglichen Bundesliga-Spielen hat er nur drei verpasst. Auch die zehn Torbeteiligungen (fünf unter Hoeneß), die Endo vergangene Saison lieferte, überliefern nicht ansatzweise die Bedeutung des 30-Jährigen für den VfB.

Endo wird dem VfB Stuttgart nicht nur sportlich fehlen

Er wird dem Klub in der Mercedesstraße auch menschlich fehlen. Der Familienmensch Endo, dessen Frau mit den vier Kindern auch gerne mal vor den VfB-Spielen rund ums Stadion anzutreffen war. Selbstverständlich alle mit Endo-Trikot und der "3" auf dem Rücken.

Der plötzliche Verlust tut immens weh. Kein VfB-Spieler verkörpert die Ärmel-hoch-Mentalität besser als Wataru Endo. Sportlich bestach der Japaner auch durch seine unnachahmlichen Balleroberungen und die Gabe, das Spiel lesen zu können. Erst am vergangenen Samstag war das im Pokal gegen Balingen zu beobachten, als er vor seinem Treffer zum 4:0 den Fehlpass eines Balingers erahnte, den Ball eroberte, ihn zu Serhou Guirassy passte, um ihn wieder zurückzubekommen und dann eiskalt zu verwandeln. Danach schlug er die Faust in die Luft und ließ sich feiern. Ein Abschied? Wirkte ganz, ganz fern.

Für den notwendigen Transferüberschuss ist Endos Wechsel ein guter Deal

Für die Finanzen der Schwaben ist der Deal allerdings ein guter. Für einen Spieler, dessen Arbeitspapier nur noch bis Ende Juni 2024 taxiert war, ist die Summe, die inklusive Bonuszahlungen wohl auf 25 Millionen Euro anwachsen könnte, ein sehr gutes Geschäft.

"Wir werden natürlich Transferüberschüsse erwirtschaften müssen", hatte der VfB-Vorstandsvorsitzende Alexander Wehrle schon kurz nach den Relegationsspielen gegen den Hamburger SV gesagt. Der Kicker berichtete von angestrebten 45 Millionen Euro.

Trainer Sebastian Hoeneß ist bei diesem Deal auf Deutsch gesagt die ärmste Sau. Machtlos musste er dem Wechsel zuschauen, intervenieren wollte er erst gar nicht, vermutlich auch weil es nichts gebracht hätte. Und weil er dem großen Karriere-Wunsch Richtung Liverpool um Trainer Jürgen Klopp und Sportdirektor Jörg Schmadtke nicht im Weg stehen wollte.

Die VfB-Fans geschockt

Social-Media-Beitrag auf Twitter: Ich bin nur noch leer. Wataru ist das Herz, das Metronom, der Leader, das Vorbild, die Identifikationsfigur, unser Kapitän, der Unterschiedsspieler und menschlich unersetzlich. Fußball kann so grausam sein. 😭 pic.twitter.com/qWgv3poeDW

Dass den VfB-Fans nun Böses schwant, ist verständlich. Das Herzstück ist dem VfB rausgerissen, außerdem halten sich hartnäckig die Gerüchte, dass Innenverteidiger Konstantinos Mavropanos mit West Ham United verhandelt und Linksverteidiger Borna Sosa den VfB Richtung Sevilla verlassen könnte.

Endo-Abgang nimmt dem VfB Stuttgart die Euphorie

Die gefühlte Euphorie rund um den VfB Stuttgart ist so schnell und plötzlich zerplatzt wie eine Seifenblase. Ein Domino-Effekt scheint durch den Wechsel Endos nicht unwahrscheinlich, zumal auch Top-Stürmer Serhou Guirassy angeblich einen Wechselwunsch hinterlegt hat.

Jemandem dafür einen Vorwurf zu machen, Endo nicht in Stuttgart gehalten zu haben, gestehe ich mir nicht zu. Mir bleibt eigentlich nur zu sagen: Viel Erfolg, Wataru Endo und: Herzlichen Glückwunsch, FC Liverpool! Gleichzeitig steht für mich fest: Der VfB wird diesen Mann, der 2019 nach Stuttgart kam, am 14. Mai 2022 seinen emotionalen Höhepunkt erlebte und am 12. August 2023 sein letztes VfB-Tor schoss, nicht ersetzen können.