Die Berliner Eisschnellläuferin Michelle Uhrig (Bild: IMAGO/Ernst Wukits)

Eisschnellläuferin Michelle Uhrig Mit mehr Lockerheit in die Weltspitze

Stand: 10.11.2022 06:11 Uhr

Am Wochenende startet Eisschnellläuferin Michelle Uhrig in ihre neue Saison - nach zuletzt turbulenten Jahren ohne Verletzungssorgen. Grundlage für eine gute Saison sollen mehr Lockerheit und mehr Training auf dem heimischen Eis sein. Von Jakob Lobach

Minus 4,6 Grad ist es kalt, das Eis, auf dem Michelle Uhrig mit ihrer Trainingsgruppe eine Runde nach der anderen dreht. Fein säuberlich hintereinander aufgereiht gleiten die Eisschnellläuferinnen über das Oval des Olympiastützpunkts in Berlin – vorbei an ihrem Trainer Uwe Hüttenrauch und auch der grauen Anzeigetafel, von der in roter Schrift die Eistemperatur leuchtet. Mal an der Spitze ihrer Gruppe, mal mittendrin, holt Uhrig sich so den letzten Feinschliff vor dem Saisonstart.

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Eine neue Lockerheit

Es wird ein Saisonstart mit deutlich weniger Fragezeichen und Unsicherheiten für die 26-jährige Berlinerin als im vergangenen Jahr. Vier Operationen hatte Uhrig nach einem schweren Fahrradunfall im Frühjahr 2020 über sich ergehen lassen müssen. Dass sie in der Saison 2021/22 überhaupt wieder auf dem Eis stand, war eine Überraschung. Dass sie sich schlussendlich gar für die Olympischen Spiele 2022 in Peking qualifizierte, war eine kleine Sensation. Eine Sensation, die nachwirkt: In die neue Saison geht Michelle Uhrig daher nicht nur verletzungsfrei, sondern auch mit einer neuen Lockerheit.
 
Uhrig selbst benutzt gar Worte wie "unbeschreiblich" und "Wunder", wenn sie sich an die vergangene Saison zurückerinnert. "Es war überhaupt ein Wunder, dass ich wieder auf dem Eis stehen konnte", sagt sie dann und ergänzt: "Niemand hätte gedacht, dass ich das schaffen könnte." Aber Uhrig schaffte es, lief bei den Olympischen Spielen sowohl im Massenstart als auch im Rennen über 1500 Meter.
 
Training statt Reha

 
Ein Dreivierteljahr später, gut zweieinhalb Jahre nach dem Fahrradunfall, sind von ebendiesem nur noch die Narben und ein gelegentliches Zwicken in den Knien übriggeblieben. "Ab und zu" spüre sie die Folgen des Unfalls noch, sagt Uhrig, aber der Umgang mit ihnen ist mittlerweile ein anderer geworden. Schmerzt das Knie, lässt Uhrig mittlerweile auch mal ein Training aus. "Früher habe ich mich total verrückt gemacht, gedacht: 'Dann läuft es im Winter nicht.' Jetzt kann ich da lockerer ran gehen", erklärt Uhrig. Schließlich habe sie nach der Vorsaison die Gewissheit, ihre sportlichen Ziele selbst unter widrigsten Bedingungen erreichen zu können.
 
Dass Uhrig dennoch liebend gerne auf die Widrigkeiten der vergangenen Jahre verzichtet, steht außer Frage. Zumal sie es auch so nach den Olympischen Spielen erst einmal etwas langsamer angehen lassen musste. "Ich habe nach Olympia gemerkt, dass der Körper eigentlich noch gar nicht so weit war." Statt über die Physis hätte sie ihre letzte Saison "über den Kopf entschieden", sagt sie. Damit das in der neuen Saison anders wird, hat Uhrig in den vergangenen Monaten zwar nicht zu viel, aber doch viel trainiert. Oder, um es in ihren eigenen Worten zu sagen: "Nicht die ganze Zeit Reha gemacht, sondern einfach mal richtig trainiert." Zum Schonen der Knie eher die kürzeren als die Ausdauer-Distanzen.

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Zurück am Olympiastützpunkt

Eine Schlüsselrolle nimmt hierbei auch der erwähnte Olympiastützpunkt in Berlin ein. Nachdem die dortige 400-Meter-Bahn im vergangenen Jahr wegen Renovierungsarbeiten lange gesperrt war, sind Uhrig und Co. nun zurück auf ihrem heimischen Eis. Allerdings unter etwas veränderten Bedingungen: "Wir frieren hier", sagt Uhrig mit Blick auf die auch im Wintersport spürbaren Energiesparmaßnahmen.
 
"Als Wintersportler ist man das gewohnt, aber es macht schon ein bisschen was aus. Die Muskeln sind kalt und man muss sich eine dicke Jacke anziehen zwischendurch", erklärt sie. Und ihr Trainer Uwe Hüttenrauch ergänzt mit Blick auf die Auswirkungen auf die Trainingsgestaltung: "Die Schnell-Kraft-Programme müssen eigentlich gleich zu Beginn der Einheit nach der Erwärmung sein, damit wir mit dem Programm fertig sind, wenn die Kälte in die Muskulatur zieht."
 
Ambitionierte Ziele
 
Insgesamt sind jedoch sowohl Uhrig als auch Hüttenrauch allen voran froh, das Berliner Eis überhaupt wieder nutzen zu können. Auf ihm soll nicht zuletzt der Grundstein für eine erfolgreiche Saison von Michelle Uhrig gelegt werden. "Mich in der Weltspitze etablieren", nennt Uhrig ihr ambitioniertes Saisonziel ohne Umschweifen. Etwas konkreter stehen die EM in Hamar, das Weltcup-Finale in Heerenveen sowie eine Top-5-Platzierung auf ihrer To-do-Liste.
 
Zum Auftakt geht es für Michelle Uhrig allerdings erst einmal ins norwegische Stavanger. Dort stehen von Freitag bis Sonntag die ersten Rennen der neuen Saison an. Uhrig ist über die 3000 und die 5000 Meter, im Massenstart sowie in der Teamverfolgung mit von der Partie – mit wieder mehr Power in den Beinen und mehr Lockerheit im Kopf.