Simon Gescke

Radsportler Simon Geschke "Die erste Tour-Woche war so spannend wie noch nie"

Stand: 10.07.2023 13:23 Uhr

Die Tour de France hat ihren ersten Ruhetag. Der Berliner Simon Geschke spricht im Interview über die Ambitionen auf das gepunktete Trikot, den engen Zweikampf zwischen Pogacar und Vingegaard - und fehlenden Nachwuchs im deutschen Radsport.

rbb|24: Herr Geschke, wie haben Sie den gefürchteten Anstieg am Vulkan Puy de Dome am Sonntag überstanden?
 
Simon Geschke: Gut. Berge sind Berge. Irgendwie kommt man schon immer hoch.
 
Der erste Ruhetag ist sicher trotzdem willkommen. Wie nutzen Sie die Verschnaufpause?
 
So ruhig wie möglich. Wir fahren gleich ein bisschen Rad mit dem Team. Nachmittags probiert man dann abzuschalten. Viel essen gehört dazu, damit man sich die Kalorien wieder reinholt. Der Tag geht auf jeden Fall immer schneller rum als man erwartet.

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Welches Zwischenfazit ziehen Sie?
 
Im Team (Cofidis, Anm. d. Red.) sind wir zufrieden. Eigentlich haben wir unser Soll schon erreicht für die Tour, so halb zumindest. Wir haben mit Victor Lafay den Etappensieg gefeiert am zweiten Tag. In der Gesamtwertung sieht es allerdings schlechter aus, als wir es uns vorgenommen haben. Guillaume Martin, unser Leader, der vor zwei Jahren schon Achter wurde, liegt nun auf Platz 17. Top Ten war das Ziel. Er hat doch mehr Zeit verloren als wir dachten. Aber die Alpen kommen noch, es ist noch nicht mal die Hälfte der Tour rum.
 
Und Ihre persönliche Zwischenbilanz?
 
Für mich persönlich lief es nicht so, dass ich sagen könnte: Wow! Es ist aber alles im grünen Bereich. Eigene Akzente konnte ich noch nicht setzen, sondern ich habe meine Helfer-Aufgaben erfüllt. Ich hoffe, da kommt noch mehr in den nächsten Etappen.
 
Sie sorgten im vergangenen Jahr für einen kleinen Radsport-Boom hierzulande. Die Menschen schalteten den Fernseher ein, um mitzuerleben, wie Sie der Bergkonkurrenz ein ums andere Mal entwischt sind. Bislang konnten Sie nicht in das Rennen um das gepunktete Bergtrikot eingreifen.
 
Die Bergewertung war für mich vor dem Rennen kein Ziel, genauso wenig wie im Vorjahr. Letztes Jahr hat es sich ergeben, dieses Jahr halt nicht. Es ist eine ziemlich eindeutige Angelegenheit, der Führende hat schon über 40 Punkte (der US-Amerikaner Neilson Powless, Anm. d. Red.). Es gibt wenige, die direkt aufs Bergtrikot fahren. Klar, letztes Jahr hat das schön geklappt. Aber vorher hat es auch schon neun Mal nicht geklappt. Es war dieses Jahr kein Ziel vom Team. Bei mir persönlich im Hinterkopf, natürlich. Aber in den ersten Etappen war nie in den Ausreißergruppen dabei. Zum Teil wegen der Team-Taktik, zum Teil, weil ich bei Guillaume bleiben musste in den ersten Tagen als Unterstützung. Jetzt denke ich, dass es für mich eher um Etappenergebnisse geht als um das Bergtrikot.

Die großen Momente mit deutschen Fahrern sind bislang ausgeblieben. Insgesamt sind überhaupt nur sieben deutsche Teilnehmer dabei – so wenige wie nie zuvor in diesem Jahrtausend. Erlebt Deutschland gerade einen Radsport-Tief?
 
Wenn man will, kann man es so sagen. Ich denke aber, wir hatten auch genug Radsport-Hochs in Zeiten, in denen sich die Medien komplett abgewandt haben. Wir hatten Phasen, in denen in jedem Jahr fünf Etappen gewonnen wurden von deutschen Fahrern wie Tony Martin, André Greipel, Marcel Kittel. Darüber wurde weniger berichtet. Wenn Sie sagen "Radsport-Tief", wo soll es auch herkommen? Der Nachwuchs in Deutschland fehlt generell, es gibt kaum Radrennen. Was macht Deutschland für den Radsport? Es gibt hierzulande außer Fußball eigentlich nur Randsportarten. Jeder, dem der Erfolg der Deutschen bei der Tour fehlt, soll mal probieren in Deutschland ein Radrennen zu organisieren. Da sträuben sich alle, weil für einen halben Tag die Straße gesperrt werden muss. Ich denke, wir haben große Fahrer am Start, etwa Emanuel Buchmann, der super in Form ist. Er ist in der Verfassung, eine Etappe zu gewinnen.

Ihr Kapitän und Cofidis-Topfahrer Guillaume Martin ist nebenbei Philosoph, der unter anderem Sätze schreibt wie: Sport sei sinnlos, aber genau das gebe ihm seinen Wert. Holt Sie das ab?
 
Wir verstehen uns sehr gut. Guillaume ist nicht der Durchschnitts-Rennfahrer. Er hat als Philosoph Bücher geschrieben, das erste habe ich gelesen ("Sokrates auf dem Rennrad", Anm.). Das war cool gemacht. Das zweite ("Die Gesellschaft des Pelotons") habe ich aber noch nicht gelesen.
 
Verständigen Sie sich in der Mannschaft auf Französisch?
 
Die Teamsprache ist Französisch. Mit dem Spanier Ion Izaguirre Insausti, mit dem ich auf dem Zimmer bin, spreche ich Englisch, das ist für uns beide einfacher. Über Funk wird auch manchmal Englisch gesprochen. Aber in den allermeisten Fällen sprechen wir Französisch.
 
Wie erleben Sie den engen Zweikampf der Tour-Giganten Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard in diesem Jahr?
 
Die erste Tourwoche war so spannend wie noch nie. Die beiden liefern sich hier Tag für Tag eine absolute K.o.-Runde. Man hat gestern gesehen, dass sie auf der letzten Rille gekämpft haben bis zum Ziel. Ich hoffe, dass es bis zur letzten Tourwoche so spannend bleibt.
 
Radsport-Star Mark Cavendish musste in der achten Etappe wegen einer Schulterverletzung aufgeben, es war wohl das letzte Rennen seiner Karriere. Was bedeutet sein Ausscheiden für die Tour?
 
Das ist sehr schade. Er ist mit Eddy Merckx Rekordhalter, was die Etappensiege angeht. Er ist eigentlich der beste Sprinter, den der Radsport je gesehen hat. Ich hoffe nicht, dass es sein letztes Rennen war. Ich glaube auch nicht, dass er so seine Karriere beenden will. Ich denke, die Tür steht offen, dass er noch ein Jahr fährt, um für den alleinigen Rekord bei der Tour anzugreifen. Aber das kann nur er selbst entscheiden.

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Wie sehen Ihre eigenen Karriereplanungen aus?
 
Ob ich nächstes Jahr noch mal die Tour fahre, weiß ich nicht. Aber wenn ich nächstes Jahr den Giro fahre, bin ich auch nicht böse. Auf jeden Fall wird nächstes Jahr mein letztes sein als aktiver Fahrer. Darüber hinaus habe ich keine konkreten Pläne. Ich versuche auf jeden Fall noch, in diesem und nächsten Jahr die 100 Prozent aus mir rauszuholen. Dann schauen wir weiter. Ich freue mich auf jeden Fall auf die Zeit danach.
 
Was wird sich verändern?
 
Eigentlich alles. Mein Leben jetzt ist nur Radsport. Es ist wirklich ein 24-Stunden-Job. Man kann auch abseits des Trainings nicht machen, was man will. Man ist konstant Radsportler, man plant alles um das Rennprogramm herum. Es schränkt einen ein. Es ist schön, wenn das vorbei ist.
 
Am 22. Juli, dem vorletzten Tour-Tag, verläuft das Rennen durchs die Vogesen, ganz in der Nähe Ihrer Wahlheimat Freiburg. Eine besondere Etappe?
 
Ja. Die Tour war schon öfter in den Vogesen, und es kamen immer viele deutsche Fans, vor allem auch aus Freiburg. Natürlich muss ich erstmal dahin kommen. Es sind noch zehn Etappen, die bis dahin im Weg stehen. Es wird eine schwere Etappe, aber sehr schön. Ich kenne die Gegend nicht so gut wie den Schwarzwald, aber der Charakter ist ähnlich. Ich werde viele Freunde sehen, denke ich. Es ist ja nur eine Stunde von mir zu Hause.

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Shea Westhoff, rbb Sport.
 
Sendung: rbb24 Inforadio, 10.07.2023, 15:15 Uhr