Nora Hansel

Doku Nora Hansel - Eine Athletin kämpft um ihr Leben

Stand: 06.03.2024 13:26 Uhr

Nora Hansel hat als junge Frau mehr erlebt, als andere in ihrem gesamten Leben. Sie träumt von einer großen Biathlonkarriere. Aber ein Trainer missbraucht sie und ihre Liebe zum Sport. Als sie 18 ist, entdecken Ärzte einen Hirntumor. Doch sie kämpft sich aus dem Rollstuhl, findet mit Para-Triathlon eine neue Leidenschaft und neuen Lebensmut.

Von Hendrik Maaßen

Es sind seltene Momente in denen durchscheint, wie tief der Schmerz sitzt. Nora Hansel steht am Schießstand im Biathlonstadion in Lillehammer. Zwei Leistungssportler trainieren gerade auf der Anlage in Norwegen, wo 1994 die Olympischen Winterspiele für Begeisterung sorgten. Kraftvoll setzen sie ihre Skating-Ski in den Schnee, laufen eine schnelle Runde, um mit hohem Puls am Schießstand weiter zu trainieren.

"Ich habe dann gesagt: 'Ich brauche zwei, drei Tage, um mich von meinem alten Leben zu verabschieden'."
— Nora Hansel nach der Schock-Diagnose Hirntumor

Das war auch ein mal ihr Leben. Bis Nora Hansel als 18-Jährige die Schock-Diagnose bekommt: Tumor im Kleinhirn. Der Arzt will sie am liebsten direkt operieren. "Ich habe dann gesagt, ich brauche zwei, drei Tage, um mich von meinem alten Leben zu verabschieden", erinnert sich heute 38-Jährige. Damals, vor fast genau 20 Jahren, war sie ein hoffnungsvolles Biathlontalent im Sportinternat in Altenberg im Erzgebirge.

Hansel: "Ich vergesse mein Bein manchmal"

Bei der Operation muss ein Teil des Kleinhirns entfernt werden, der für die Bewegung zuständig ist. Seitdem ist ihre rechte Körperhälfte teilweise gelähmt. "Ich schaffe es nicht mehr, mich richtig über den Ski zu stellen. Mir fehlt das Gefühl für die rechte Seite, dass die überhaupt da ist", sagt Hansel. Das Gleiten auf einem Ski - wie bei der Skating-Technik im Biathlon, ist kaum möglich.

"Ich muss mich unheimlich konzentrieren und vergesse trotzdem mein Bein manchmal. Das steht dann irgendwie hinter mir und ich muss das halt wieder nach vorne holen." Doch die Lähmungserscheinungen erschweren auch das und so bleibt die Ski-Spitze im Schnee hängen. "Wenn ich dann andere, junge Talente sehe, dann kommt manchmal diese tiefe Traurigkeit und auch Wut auf mich selbst, dass ich es nicht mehr hinkriege."

Nora Hansel

Seit der Kleinhirn-Operation ist Nora Hansels rechte Körperhälfte teilweise gelähmt.

"Sie musste komplett laufen und sprechen lernen"

Doch diese Momente sind die Ausnahme. Denn Hansels Lebensgeschichte ist eine über Mut, Kampf und die Liebe zum Sport. Sie ist ein Beispiel dafür, warum man nie aufgeben sollte. "Ich habe sie kurz nach der OP in der Reha besucht. Sie musste komplett laufen lernen, sprechen lernen, schreiben umlernen", erinnert sich ihre Zimmergenossin von damals im Sportinternat und Freundin Tina Bachmann.

Trainer missbraucht sie und ihre Liebe zum Sport

Der Tumor ist nicht das Einzige, was Hansel erleben und bewältigen musste. Als junges Mädchen kann sie ihren Traum leben. Das Biathlon-Talent kommt auf das Sportinternat in Altenberg im Erzgebirge, trainiert ab der siebten Klasse am heutigen Olympiastützpunkt. Sie ist erfolgreich, darf sogar zur europäischen Jugendolympiade fahren. Doch ein Trainer missbraucht sie und ihre Liebe zum Sport. "Komm doch dann mal bei mir im Zimmer vorbei, hat er gesagt, wenn es im Training mal nicht lief", erinnert sich Hansel.

"Das macht er mit ganz vielen, das ist bekannt"

Da er ein geschätzter Trainer ist, denkt sie sich nichts dabei. Doch schon bald nutzt der Mann das Abhängigkeitsverhältnis aus und beginnt Hansel zu missbrauchen. Die Vertrauenslehrerin der Schule bemerkt, dass sich die junge Schülerin zurückzieht, abwesend wirkt und spricht sie an. "Ich habe ihr dann von dem Kuss erzählt, und dass er mir unter das T-Shirt gegangen ist. Sie hat gesagt: 'Du musst aufpassen. Das macht er mit ganz vielen. Das ist bekannt'." Vor Gericht wird die Pädagogin später angeben, sich nicht an solch ein Gespräch erinnern zu können.

Der Täter steigert seine Übergriffe, am Ende vergewaltigt er Hansel sogar. Nachdem ihn Eltern einer anderen Betroffenen anzeigen, kommt es 2008 zum Prozess. Der Trainer ist mittlerweile suspendiert und wird zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Gericht misst strafmildernd, dass er nur noch Jungs trainieren würde.

Nora Hansel

Nora Hansel: "Die schlechten Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, sind ein Teil von mir und haben mich geprägt."

Rösch: "Schockiert, wo dieser Name noch aufgetaucht ist"

Als der NDR 2022 das erste Mal von dem Fall und den Taten berichtet, wird auch Michael Rösch aufgerüttelt. Der Biathlon-Staffel-Olympiasieger war damals ebenfalls ein Athlet am Stützpunkt im Erzgebirge und trainierte auch unter dem Trainer. Er lebt bis heute in der Region und macht sich gemeinsam mit seiner Partnerin schlau: "Es hat genau fünf Minuten Recherche gebraucht und wir waren sehr schockiert, wo dieser Name noch aufgetaucht ist. In vielen Vereinen, in denen auch Kinder und Jugendliche involviert sind", berichtet er. Seine Freundin wird aktiv, schreibt Mails und telefoniert mit den Vereinen und Schulen. "Viele von denen wussten gar nichts", sagt Rösch.

"Ich lebe mein Leben so, wie ich es leben kann"

Der damalige Täter äußerte sich vor zwei Jahren in einer Stellungnahme und verweist auf sein Recht auf Resozialisierung. Nora Hansel hat viele Jahre der therapeutischen Aufarbeitung benötigt, um heute gesund durchs Leben gehen zu können. "Es sind einfach krasse, schlechte Erfahrungen, die ich in meinem Leben gemacht habe, aber sie sind ein Teil von mir und haben mich geprägt", sagt sie. "Ich lebe mein Leben so, wie ich es irgendwie doch leben kann. Das ist viel mehr wert, als weiter in der Vergangenheit zu bleiben."

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 03.03.2024 | 23:35 Uhr