HSV-Stürmer Robert Glatzel (Mitte) ist enttäuscht.

Hamburger SV Mit der Weiter-so-Mentalität zum Zweitliga-Dino

Stand: 29.01.2024 11:57 Uhr

Der HSV ist mit dem 3:4 gegen den KSC dort angekommen, wo er in der 2. Liga schon oft stand: auf Platz vier. Das hat neben der fußballerischen Inkonsequenz und der ausbleibenden Entwicklung auch mit der fortwährenden Verweigerung einer ernsthaften Benennung der Probleme zu tun.

Von Tobias Knaack

Es war der übliche Reflex von Tim Walter: "Zuletzt haben wir das besser gemacht, nicht umsonst haben wir schon acht Spiele ohne Gegentor in der Statistik stehen", sagte der Trainer nach dem 3:4 gegen den Karlsruher SC am Sonntag. Es ist der Reflex, nach schlechten Ergebnissen das Positive in den Vordergrund zu rücken, Stärken zu betonen und den Blick nach vorne zu richten.

Walters selbstentlarvende Aussage

Faktisch ist Walters Aussage natürlich richtig, sie ist menschlich verständlich, sie ist aber eben auch ein Blendwerk - und vor allem ist sie brandgefährlich für die Ziele des Clubs. Denn der HSV Ende Januar 2024 ist nicht weiter als der HSV im Herbst 2023 - und erst recht nicht weiter als der HSV im Herbst 2022. Und genau von dieser Tatsache versucht eine solche Aussage abzulenken.

Zumal sie selbstentlarvend ist: Denn acht Spiele ohne Gegentor bedeuten im Umkehrschluss, dass es in den übrigen elf Partien der bisherigen Saison 26 Gegentore gesetzt hat. Bei durchschnittlich 2,4 Gegentreffern in diesen elf Spielen wird es schwierig, die für einen Aufstieg entscheidenden Siege einzufahren. Und so stehen nach 19 Spieltagen zehn Hamburger Erfolgen vier Remis und bereits fünf Niederlagen entgegen. Macht eine Siegquote von knapp über 50 Prozent. Oder auf die Tabelle übertragen den aus vielen Jahren der Zweitklassigkeit vertrauten vierten Platz.

HSV rutscht auf Platz vier ab

Denn erstmals in dieser Saison sind die "Rothosen" nach dem wilden Spiel gegen den KSC aus den Top 3 der Liga gepurzelt. Als die Verantwortlichen im Dezember bekanntgaben, mit Coach Walter weitermachen zu wollen, betonte man die ehrliche Analyse, die man gemeinsam betrieben habe, verwies auf Dinge, die man ändern wollte, darauf, wie genau man die Arbeit des 48-Jährigen verfolgen würde.

Und eingerahmt von zwei 2:0-Erfolgen in Nürnberg zum Ende der Hin- und bei Schalke 04 zum Start der Rückrunde gab es - zumindest oberflächlich betrachtet - Schritte in die richtige Richtung: weniger Hurra-Fußball, keine Gegentreffer.

Siege gegen Nürnberg und Schalke kaschierten die Probleme weiter

Doch kaschierten auch die zwei Siege - zumal gegen wankelmütige (Nürnberg) und indisponierte (Schalke) Gegner - nur für kurze Zeit die spätestens bei der ersten Heimniederlage gegen Paderborn im Dezember vollkommen offen zutage getretenen Probleme: mangelnde Konsequenz in der Defensive, mangelnde Effizienz in der Offensive, mangelnde Energie und Konzentration in entscheidenden Spielphasen.

Es sind die Themen aller fünf Liga-Pleiten in dieser Saison, es sind dieselben Themen seit Jahren. Nach der großen Analyse im Dezember sollte es um eine erkennbare Entwicklung gehen, mit Auftritten wie gegen Karlsruhe sieht es eher nach Abwicklung aus. Der erneuten Abwicklung der Aufstiegshoffnung in Jahr sechs in der Zweiten Liga.

Die größte Konstanz sind die irrlichternden Auftritte

Denn die größte Konstanz zeigt die Mannschaft in der Wiederkehr irrlichternder Auftritte. Nachweise, wie man nicht aufsteigt, haben die Hamburger in der Vergangenheit, aber auch in dieser Spielzeit schon viele erbracht, der vom Sonntag war einer der deutlichsten. 

Der Mannschaft fehlt unverändert jede Form eines mannschaftlich geschlossenen Pressings, der KSC befreite sich immer wieder mit wenigen Pässen aus der Schein-Umklammerung. So sind es immer wieder nur einzelne, die gute Ballgewinne haben - mit denen sich in der Offensive Chancen kreieren lassen und mit denen sich in der Defensive das Spiel des Gegners unterbinden lässt.

Das Defensivverhalten ist nicht aufstiegstauglich

Abgesehen davon ist das gesamte Defensivverhalten - das fängt mit dem Anlaufen an, geht über ein systematisches Verschieben weiter und endet mit der Konsequenz in den Zweikämpfen - nicht aufstiegstauglich. Nicht individuell, nicht im Verbund.

Denn die mangelnde Robustheit, die man Rechtsverteidiger Ignace van der Brempt in seinem laxen Zweikampf vor dem 3:4 vorwerfen kann, man könnte sie Flügelstürmer Jean-Luc Dompé pro Partie fünf Mal vorhalten, weil er den Kampf um 50:50-Bälle, die bei einem Gewinn einen Konter in Überzahl ermöglichen würden, nicht mit aller Entschlossenheit führt. Statt einen Angriff starten zu können, erhält der Gegner so die Gelegenheit, selbst zu attackieren.

Der FC St. Pauli macht vor, wie es geht

Es wären solche Szenen, in denen sich eine sichtbare Entwicklung vollziehen könnte. Die zu jeder Zeit spürbare Geilheit einen Ball zu holen, einen Zweikampf zu gewinnen, eine Flanke zu verteidigen, ein Tor zu erzielen. Allein: Sie ist nicht zu erkennen. Dabei müsste man - so schmerzhaft das für HSV-Fans sein mag - gar nicht so weit schauen, um zu sehen, wie es geht. Zum Stadtnachbarn FC St. Pauli.

Auf einem konsequenten Defensivspiel aufbauend, entwickelt das Team offensive Schlagkraft. Dafür maßgebend: feste Abläufe, gutes Positionsspiel, klare Laufwege gepaart mit Gier und Effizienz. Das Team hat unter Trainer Fabian Hürzeler eine Entwicklung genommen - und die Formel dafür, wie man aufsteigen kann.

"Das ist dann insgesamt zu wenig, um zu gewinnen."
— HSV-Stürmer Robert Glatzel

Beim HSV sieht Mittelfeldstratege Laszlo Benes die Chancen seines Teams darauf schwinden: "Das darf einfach nicht passieren, dass wir zu Hause vier Tore kassieren. Das ist viel zu viel für eine Mannschaft, die aufsteigen will." Der Slowake, mal wieder bester Spieler seines Teams, war am Sonntag richtiggehend entsetzt: "Ich habe dafür keine Erklärung. Wir haben ein großes Saisonziel und müssen besser spielen." Und Stürmer Robert Glatzel resümierte: "Das ist dann insgesamt zu wenig, um zu gewinnen."

Dass ausgerechnet die beiden konstantesten Hamburger, die für 23 der 38 Treffer verantwortlich zeichnen, noch am stärksten Alarm schlugen, ist sinnbildlich. Der in dieser Spielzeit leistungsschwankende Keeper Daniel Heuer Fernandes, der beim 0:1 von Igor Matanovic äußerst unglücklich aussah, aber versteifte sich darauf, dass die Mannschaft in den zurückliegenden Spielen gezeigt habe, "dass wir kompakt und gut verteidigen können. Das Wissen darum macht uns stark."

Heuer Fernandes wie Meffert wie Walter

Und Mittelfeldabräumer Jonas Meffert befand: "Die Welt geht davon nicht unter: Wir wissen, dass wir es nächste Woche schon wieder besser machen können." Dann geht es übrigens zu Hertha BSC nach Berlin ins Olympiastadion (20.30 Uhr, im NDR Livecenter). Also an einen der Orte, an denen der HSV beim dramatischen Ausscheiden aus dem DFB-Pokal Anfang Dezember bereits den Nachweis mangelnder Konsequenz erbracht hat.

Die Analysen von Heuer Fernandes und Meffert bedienen sich derselben Immer-weiter-und-kräftig-dran-glauben-Rhetorik, die auch Walter bemüht. Wenn man aber davon ausgeht, dass Worte zu Handlung auf dem Platz werden können, ist es genau die Rhetorik, von der sich der Verein - vollkommen personenunabhängig - schleunigst lossagen müsste, will er nicht zum Dino der Zweiten Liga werden.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 28.01.2024 | 22:50 Uhr