Hamburgs Robert Glatzel ärgert sich.

NDR-Sport HSV: Elversberg-Pleite als Warnschuss zur rechten Zeit?

Stand: 17.09.2023 10:56 Uhr

Fußball-Zweitligist HSV hat in Elversberg eine überraschende wie verdiente Niederlage kassiert. Das Team brachte die von Trainer Tim Walter geforderte Energie nicht auf den Platz - mal wieder gegen einen "Kleinen". Und die nächste Aufgabe könnte noch intensiver werden.

Von Tobias Knaack

"Wir werden Elversberg nicht den Gefallen tun, sie zu unterschätzen. Wir gehen die Partie nicht so an, als sei Elversberg ein Underdog", hatte der Coach vor der Partie seines Teams im Saarland gesagt und davon gesprochen, dass es immer "Energie über Euphorie" stelle - auch beim Aufsteiger. Davon war im Waldstadion an der Kaiserlinde beim weitgehend indisponierten 1:2 fast über die gesamte Spieldauer hinweg nicht viel zu sehen.

Viel Ballbesitz und wenig Ertrag beim HSV

Der HSV hatte am Ende zwar mehr als 60 Prozent Ballbesitz, eine deutlich bessere Passquote als die Gastgeber (86:73 Prozent) und insgesamt sogar mehr Zweikämpfe gewonnen (62 Prozent). Alleine: Es waren zu keinem Zeitpunkt die entscheidenden. Nur selten setzten sich die Hamburger im zentralen Mittelfeld durch. Bakery Jatta und Jean-Luc Dompé blieben auf den Außenbahnen fast vollkommen wirkungslos. Und auch in der zuletzt so stabilisierten Abwehr gingen immer wieder entscheidende Duelle verloren, sodass die Gastgeber nach 90 Minuten nicht nur mehr Torschüsse verzeichneten (16:15), sondern aufgrund der Vielzahl ihrer qualitativ hochwertigeren Chancen sogar höher hätten gewinnen können, ja müssen.

Denn dass Elversbergs Torhüter Nicolas Kristof in der vierten Minute der Nachspielzeit tatsächlich den Sieg seiner SVE gegen die HSV-Angreifer Robert Glatzel, Immanuel Pherai und Ransford Königsdörffer noch würde festhalten müssen, danach hatte es über die gesamte Spieldauer hinweg nicht ausgesehen. Ein Hamburger Punktgewinn, der nach dem späten Anschlusstreffer Moritz Heyers (89. Minute) plötzlich doch noch möglich war, wäre schlicht nicht verdient gewesen an diesem Nachmittag.

Erstmals überwanden die Hamburger die Widerstände nicht

Natürlich hatten die Walter-Schützlinge auch kein Glück: Glatzel stand bei seinem vermeintlichen Führungstreffer in der 3. Minute hauchzart im Abseits. Dass Schiedsrichter Patrick Schwengers Dompés Ausgleich in der 19. Minute nach einem Foul von Ludovit Reis in der Entstehung zurücknahm, war vertretbar, aber aus Hamburger Sicht hart. Und dass der bisher so stabile Dennis Hadzikadunic den Ball vor dem 0:1 leichtfertig verspielte, rundete den gebrauchten HSV-Nachmittag ab.

Mit Blick auf diese Szenen hätte das Spiel anders verlaufen können, aber das Team - und das ist Walters "Energie"-Thema - hatte sich das dafür nötige Spielglück erstmals in der Saison eben auch nicht erarbeitet. Anders als der Aufsteiger, der seine "Euphorie" in (teils harte) Intensität ummünzte. Und den Gästen damit von Minute zu Minute zusehends den Nerv raubte.

"Wir haben nach den beiden aberkannten Toren den Faden verloren, wollten es zu sehr erzwingen."
— HSV-Kapitän Sebastian Schonlau

Und der HSV reagierte zum ersten Mal allergisch, wurde fahrig, verlor erst Konzept - und dann vollkommen den Kopf, wie auch Kapitän Sebastian Schonlau zugab: "Wir haben nach den beiden aberkannten Toren den Faden verloren, wollten es zu sehr erzwingen. Mit vielen einfachen Fehlern haben wir Elversberg auch immer wieder eingeladen."

Eine richtige, aber auch alarmierende Analyse, denn es wirft mit Blick auf das große Ziel Bundesliga-Aufstieg die immer wiederkehrenden Fragen auf: Wieso geht der Mannschaft nach zuvor souveränen Auftritten gegen namhaftere Gegner erneut gegen einen Underdog das Konzept verloren? Warum fehlen, obwohl vorher alle Beteiligten darüber reden, in einem solchen Duell Spannung und Intensität, um Widerstände zu überwinden, wenn das Team die Fähigkeit dazu bereits unter Beweis gestellt hat? Und: Ist es die Rückkehr des alten HSV, ein Rückfall in alte Muster?

Die Liste der Punktverluste gegen Aufsteiger ist lang

Magdeburg, Paderborn, Osnabrück, Wiesbaden, Würzburg, Dresden, Kaiserslautern: Die Liste der Hamburger Punktverluste gegen Aufsteiger aufgrund von Unentschieden und Niederlagen ist, seitdem sie 2018 in die 2. Liga abgestiegen sind, lang. Und seit Sonnabend mit Elversberg um einen Namen länger. Torhüter Daniel Heuer Fernandes, der sein Team mit zahlreichen starken Paraden überhaupt nur in der Partie gehalten hatte, sagte: "Es war heute von allen ein Stück weit zu wenig. Erste Halbzeit war es noch ok, wir hatten Kontrolle über das Spiel, hatten zwar zu wenig Balltempo, aber wir waren da." Die zweite Halbzeit habe es "dann zu viele Ungenauigkeiten" gegeben und das Team habe "zu wenig Druck auf den Gegner ausgeübt. So dürfen wir die Spiele nicht annehmen."

Auch wenn Walter es anders sah ("Nein, wir haben den Gegner nicht unterschätzt."), bleibt, wie schon so oft in den vergangenen fünf Zweitliga-Saisons der Hamburger, nach dem mauen Auftritt an der Kaiserlinde der Eindruck, dass der HSV die "Kleinen" - mal wieder - nicht ernst genug nimmt. Und damit bei aller erkennbaren Weiterentwicklung einen entscheidenden Schritt verpasst, um das ganz große Ziel Aufstieg zu erreichen: größere Souveränität, Geduld und Abgeklärtheit gerade auch gegen weniger renommierte Kontrahenten.

Gegen Osnabrück muss der HSV eine Reaktion zeigen

Nun wird ein Aufstieg nicht nach sechs Spieltagen entschieden, sondern nach 34. Und so, wie es nach den starken fünf Partien zum Saisonauftakt noch Dinge zu verbessern galt, ist mit einer schwachen Leistung nicht plötzlich alles schlecht. Anstatt ihre bis Sonnabend souveräne Tabellenführung zu festigen, büßten sie diese unerwartet ein. Und das sollte ihnen Warnung genug sein. In einer derart engen Liga, in der sich trotz namhafter Bundesliga-Absteiger wie Schalke 04 und Hertha BSC gleich acht, neun Teams Hoffnungen auf den Aufstieg machen dürfen, wird es für den HSV darauf ankommen, Fehler und Nachlässigkeiten zu minimieren. Insofern gilt es, den Eindruck aus dem Saarland schnellstmöglich zu revidieren.

"Diese Niederlage wirft uns nicht aus der Bahn", sagte der Coach erstaunlich ruhig angesichts des unerwarteten Rückschlags. Ob er dieses Mal Recht behält, können er und sein Team bereits am kommenden Freitag beim Gastspiel in Osnabrück (18.30 Uhr, im NDR Livecenter) zeigen. An der Bremer Brücke werden exakt dieselben Tugenden gefordert sein, die es auch in Elversberg benötigt hätte, um erfolgreich zu sein.

Dieses Thema im Programm:
16.09.2023 | 23:02 Uhr