Franz Beckenbauer posiert mit dem WM-Pokal

BR24 Sport Franz Beckenbauer: Der Kaiser und der Umgang mit dem "Aber"

Stand: 11.01.2024 10:51 Uhr

Internationale Presse und Berühmtheiten verneigen sich nach dem Tod von Franz Beckenbauer vor einer Fußballlegende. Von dem Schatten auf der Karriere der "Lichtgestalt" keine Spur - anders als in seinem Heimatland.

Von Raphael Weiss

Wer am Tag nach der Todesnachricht von Franz Beckenbauer durch die Zeitungen der Welt blätterte oder sich durch deren Online-Auftritte klickte, der fand nicht nur eine schier unerschöpfliche Flut an Huldigungen, an Verbeugungen und Danksagungen.

Wer sich durch die Nachrufe und Elogen las, in dem sich die Welt vom größten deutschen Fußballer aller Zeiten verabschiedete, der fand nicht nur heraus, wie beliebt Beckenbauer in der Welt war, wie sie auf ihn blickte. Ein wenig fand er auch etwas über die Identität der einzelnen Nationen heraus.

"Weltmeister im Anzug", "Symbol für Klasse", "Ein Bezwinger"

In Spanien entdeckte man die Poesie, mit der man auf das Leben und den Fußball blickt, wo man nach der Kunst im Alltäglichen sucht. "Es hat nie einen anderen wie ihn gegeben, weder vorher noch nachher. Die Figur des ewigen Kaisers ist unvergleichlich", schrieb etwa die "Marca". "Er war Weltmeister nicht nur auf dem Rasen, sondern auch außerhalb im Anzug", dichtete die AS. Und Mundo Deportivo nannte ihn ein "ein grenzüberschreitendes Idol."

In Italien sah man den Hang zur Ewigkeit, der Sehnsucht nach einem größeren Zusammenhang, nach etwas Göttlichem auch in dem Gedenken an Franz Beckenbauer: "Für die Jungs des 20. Jahrhunderts war Franz Beckenbauer das Symbol für Klasse und Eleganz. Und für die Deutschen stand er über dem Kanzler und unter Gott", schrieb die Corriere dello Sport. Ähnlich sah das La Repubblica: "Einer der wenigen Spieler aus der Vergangenheit, die im heutigen Fußball nicht fehl am Platz wären."

Und den Franzosen merkte man die ganz eigene Beziehung zum deutschen Nachbarn an: "Zweifacher Ballon d'Or, Welt- und Europameister. Er hat alles gewonnen. In jeder Rolle. Er war das Symbol eines erobernden Deutschlands. (...) Franz Beckenbauer hat jahrzehntelang den Alltag der Deutschen begleitet. Eine sichere Zufluchtsfigur. Stabil. Solide. Beruhigend. Ein Bezwinger", schrieb Le Figaro.

Im Video: Klaus Augenthaler würdigt Franz Beckenbauer

Klaus Augenthaler

Beckenbauer und das große "Aber"

Doch was fast all diese Abschiede und Nachrufe gemeinsam hatten: Nach einem "Aber", das nach dem Aufzählen der Erfolge, Leistungen, Beschreibung der grenzüberschreitenden Genialität und Charisma kam, suchte man meist vergeblich. Eine Ausnahme bildete die englische Boulevardzeitung "Sun", die sich sogleich im Ton komplett vergriff, was ebenfalls wenig verwunderte: "DER KAISER Franz Beckenbauer war eine deutsche Fußballmaschine, deren Schandfleck abseits des Platzes seine Größe auf dem Spielfeld nicht überschatten konnte."

In Deutschland war das "Aber" eigentlich fast allgegenwärtig. Ob als ganzer Absatz in den Nachrufen, oder als entschlossene Verteidigung der Person Franz Beckenbauer in den Interviews mit Freunden und Wegbegleitern. "Es ist ein Verdacht, es ist bis heute nichts bewiesen. Trotzdem versucht man bis heute diesen Traum der Deutschen, dieses Sommermärchen kaputtzumachen", sagte etwa Markus Hörwick, langjähriger Pressesprecher des FC Bayern.

Deutschland und der Umgang mit dem Graubereich

Dieses "Aber", das hierzulande sogar so allgegenwärtig ist, dass es nicht einmal ausformuliert werden muss, damit jeder weiß, worum es geht, dieses "Aber" ist nun mal Teil der neueren deutschen Geschichte. Und auch ein Indiz dafür, wie man in Deutschland tickt. Denn die Ambiguität, die Graubereiche, die Zweideutigkeit hält man oft nur schwer aus.

Da war dieser Fußball-Kaiser, über den niemand, der ihn kannte, öffentlich ein schlechtes Wort verloren hätte. Als Spieler im Fußballolymp gemeinsam mit Pelé, Zico, Cruyff, Best und Platini angesiedelt. Als Weltmeister-Trainer schrieb er seine Legende fort. Und als Fußballfunktionär manifestierte er sie endgültig, als er die WM 2006 nach Deutschland holte. Ein Turnier, das dieses Land in einen Zustand versetzte, wie es Deutschland noch nie erlebt hatte. Als er auch das zustande gebracht hatte, war Beckenbauer ein Heiliger.

Im Video: Erinnerungen an Franz Beckenbauer | BR24Sport-Talk

Franz Beckenbauer

Sommermärchen 2006: Persönliche Betroffenheit oder ungetrübter Blick

Doch Heilige gibt es in Deutschland eigentlich nicht. Und so fiel Beckenbauer durch dieses "Aber" so tief, wie es wohl niemand für möglich gehalten hatte. Eine Unterschrift, die verschwundenen Millionen – in Deutschland bekam das Sommermärchen, dieser kollektive Ausnahmezustand, einen Schatten, und dadurch auch die eigene Ausgelassenheit in diesem WM-Sommer 2006. War diese Freude nur durch Korruption entstanden? War man letztlich Teil eines Plans der undurchsichtigen, teils durchtriebenen Fußballwelt? Keine schöne Vorstellung – und umso unerbittlicher fiel die Reaktion darauf aus. "Ein Prophet gilt nirgend weniger denn in seinem Vaterland und in seinem Hause", heißt es nicht nur in der Bibel.

Bis heute bleibt das "Aber" ein wichtiges Kapitel. Nicht nur im Leben von Franz Beckenbauer, auch in der deutschen Geschichte. Im Rest der Welt blickt man da eben mit deutlich mehr Abstand auf diese WM. Schließlich gibt es nicht erst seit Kurzem die Vermutung, dass wohl einige, wenn nicht alle, großen Fußballturniere auf ähnliche Art und Weise wie die WM 2006 vergeben worden sein könnten. Für den Rest der Welt ist dieses "Aber" somit allenfalls eine Randnotiz und es bleibt der Luxus des vollkommen ungetrübten Blicks auf einen der großartigsten Fußballer, Trainer, Gestalter, ja, Menschen, die der Weltfußball gesehen hat.

Franz Beckenbauer: "Der Kaiser" ist auch ein Mensch

Doch Franz Beckenbauer hat es geschafft, dass auch in Deutschland das "Aber" im kollektiven Gedächtnis mittlerweile so weit in den Hintergrund tritt, wie es dem Land möglich ist. Eine Lichtgestalt, so hell, dass sie selbst den eigenen Schatten beinahe überstrahlt. Doch ganz überstrahlen muss sie ihn auch nicht. Denn zum Licht gehört nun einmal der Schatten ebenso wie die Graubereiche zum Menschsein. Und Mensch sein, das hört man, sobald sich Wegbegleiter über den "Kaiser" äußern, konnte Franz Beckenbauer noch besser als Fußballspielen.

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Quelle: BR24Sport 09.01.2024 - 18:55 Uhr