Tadej Pogacar
Tourreporter

Niederlage für Tadej Pogacar Ein Einbruch mit langfristiger Wirkung

Stand: 19.07.2023 21:29 Uhr

Tadej Pogacar erlebt auf der Königsetappe der Tour de France einen schweren Einbruch. Die Tour de France 2023 ist damit zugunsten von Jonas Vingegaard entschieden. Für Pogacar ergeben sich derweil ganz grundlegende Fragen.

Von Michael Ostermann, Courchevel

Rund anderthalb Stunden, nachdem er sich ins Ziel der 17. Etappe gequält hatte, erlebte Tadej Pogacar dann doch noch einen guten Moment an diesem Tag, den er selbst als "einen der schlimmsten Tage auf meinem Rad" bezeichnete. Die Fans aus seiner Heimat hatten ausgeharrt auf dem Flugfeld oberhalb von Courchevel, bis ihr Liebling endlich hinter dem Podium auftauchte. Nun schwenkten sie ihre slowenischen Fahnen, klatschten und riefen "Tadej, Tadej". Pogacar winkte, sogar ein Lächeln huschte über sein Gesicht.

Nur ein Sturz kann Vingegaard noch den Toursieg nehmen

Die Zuneigung seiner Anhänger allein wird allerdings nicht ausreichen, um ihn über diesen Tag hinwegzutrösten. Eine solche Niederlage wie in Courchevel hat Pogacar, der zweimalige Toursieger, als Radprofi noch nicht erlebt. Nicht einmal bei der Tour de France im vergangenen Jahr, als ihn das Team Jumbo-Visma auf der Etappe zum Col du Granon so lange attackierte, bis er schließlich nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Selbst an diesem Tag habe er sich nicht so schlecht gefühlt, erklärte Pogacar.

Damals legte Jonas Vingegaard den Grundstein für seinen ersten Toursieg. Auf der Königsetappe der Tour 2023 nach Courchevel hat der Däne nun wohl seinen zweiten Toursieg endgültig klar gemacht. Nur ein Sturz kann ihn jetzt noch daran hindern, im Gelben Trikot nach Paris zu radeln. "Es ist noch nicht vorbei", betonte Vingegaard zwar. Aber angesichts seines Vorsprungs im Gesamtklassement von jetzt 7:35 Minuten auf Pogacar ist das wohl nur als formale Vorsicht zu werten.

Es ist allerdings vorbei für Pogacar. In Courchevel gab der Slowene für die verbleibenden vier Etappen nur noch untergeordnete Ziele aus: ein Etappensieg für sein Team auf der letzten Bergetappe am kommenden Samstag (22.07.23) in den Vogesen. Und die Absicherung der beiden Podiumsplätze für ihn und seinen Teamkollegen Adam Yates, den Gesamtdritten. "Das wäre ein guter Abschluss", sagte Pogacar. Aber das stimmt natürlich nur bedingt.

Sportschau Tourfunk, 19.07.2023 19:39 Uhr

"Wir werden ihn aufbauen müssen"

Denn vor allem wird Pogacar diese Niederlage nun erst einmal verarbeiten müssen. In Courchevel jedenfalls war das charakteristische Lausbubenlächeln endgültig aus seinem stattdessen aschfahlen Gesicht gewichen. Schon in den vergangenen Tagen, als er erst vergeblich versucht hatte, die fehlenden Sekunden auf Vingegaard gut zu machen, und dann am Dienstag im Zeitfahren fast aufgefahren worden wäre von dem zwei Minuten nach ihm gestarteten Dänen, war ihm das Grinsen deutlich schwerer gefallen.

"Wir werden ihn aufbauen müssen", sagte Matxin Joxean Fernandez, der Sportdirektor von Pogacars UAE-Team. Es sei leicht, wenn er gewinne, dann gebe es Applaus und Jubel. "Aber jetzt müssen wir für ihn persönlich da sein." Schon nach der Niederlage im Zeitfahren sei es mental schwierig gewesen für Pogacar, berichtete der Spanier. Aber natürlich sei der Plan dennoch gewesen, auf der Königsetappe aggressiv zu fahren und das Gelbe Trikot anzugreifen. "Aber Tadej hat schon am zweiten Berg signalisiert, dass es ihm heute nicht so gut geht", sagte Fernandez.

Das war am Cormet de Roselend, und der schwerste Brocken, der 2.304 Meter hohe und vor allem gegen Ende extrem steile Col de la Loze, lag da noch vor ihnen. Von da an sei es nur darum gegangen, mitzufahren mit Vingegaard und dessen Team Jumbo-Visma, erklärte Fernandez. Doch das war Pogacar schon bei der Ortsdurchfahrt in Meribel rund neun Kilometer vor dem Gipfel nicht mehr möglich gewesen.

17. Etappe - die Stimmen

Sportschau, 19.07.2023 17:30 Uhr

Pogacar stürzt zu Beginn der Etappe

"Ich habe den ganzen Tag genug gegessen, aber irgendwie ist nichts in den Beinen angekommen, sondern alles im Magen geblieben", versuchte Pogacar den Energieabfall in seinem Körper zu erklären. Nur die Unterstützung seines Teamkollegen Marc Soler habe ihn davor bewahrt, nicht noch weiter zurückzufallen. "Er hat mich bis ins Ziel getrieben", sagte Pogacar. "Ohne ihn hätte ich vermutlich sogar meinen Podiumsplatz verloren."

Möglicherweise hatte auch ein Sturz zu Beginn der Etappe Auswirkungen auf die Verfassung des Slowenen gehabt. Pogacar hatte sich mit seinem Vorderrad am Rad eines anderen Fahrers aufgehängt, als dieser versuchte, rechts auszuscheren. Leichte Schürfwunden am linken Knie und am linken Arm waren die sichtbaren Folgen des recht heftigen Aufpralls. Doch für einen scheinbar psychisch eh angeknockten Radprofi kann ein solcher Sturz viel tiefer gehende Auswirkungen haben, die nicht zu erkennen sind.

Vingegaard zeigt Pogacar die Grenzen

Das gilt auch für die ganz grundlegenden Folgen dieser Niederlage. Nach seinen beiden Toursiegen 2020 und 2021 schien sich eine neue Ära anzubahnen. Pogacar galt in Anspielung auf den fünfmaligen Toursieger Eddy Merckx schon als der "neue Kannibale". Und tatsächlich ist der Slowene ein kompletter Rennfahrer, der nicht nur bei großen Rundfahrten, sondern auch bei den Klassikern gewinnt. Seine eindrucksvolle Siegesserie im Frühjahr belegt das.

Doch bei der Tour de France ist ihm mit Jonas Vingegaard ein Rivale erwachsen, der auch Pogacar unerwartete Grenzen deutlich macht. Und auch, wenn Pogacar nach seinem Kahnbeinbruch, verursacht durch einen Sturz beim Frühjahrsklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich, und sechs Wochen Rennpause vielleicht doch nicht in allerbester Verfassung zur Tour gekommen ist. So muss er sich wohl auch eingestehen, dass der Däne bei den langen Anstiegen im Hochgebirge im Vorteil ist und immer noch über das bessere Team an seiner Seite verfügt. "Jonas ist auf einem anderen Level", räumte UAE-Sportdirektor Fernandez in Courchevel ein.

Vingegaard schlägt Skepsis entgegen

Was genau der Grund für die Überlegenheit des Dänen ist, darüber rätseln die Beobachter vor allem seit dem Zeitfahren am Dienstag, bei dem Vingegaard nicht nur Pogacar so haushoch überlegen war. Im Radsport rufen solch außergewöhnliche Leistungen stets große Skepsis hervor. Und die Eindrücke des Vortages wirkten auch in Courchevel noch nach.

Dort sah sich Vingegaard deshalb verstärkt mit Fragen konfrontiert, wie seine Dominanz denn zu erklären sei. Er verstehe die Skepsis, betonte der Däne erneut und fände sie auch richtig. "Aber ich würde nichts nehmen, was ich nicht auch meiner Tochter geben würde", sagte Vingegaard. "Und ich würde ihr definitiv keine Drogen geben."