Jaques Anquetil (l.) und Raymond Polidour am Anstieg des Puy de Dome bei der Tour de France 1964
Tourreporter

Puy de Dôme Die Rückkehr der Tour de France auf den Vulkan

Stand: 09.07.2023 09:17 Uhr

Die 9. Etappe der Tour de France endet auf dem Puy de Dôme. Der Vulkan steht zum ersten Mal seit 35 Jahren wieder auf dem Programm des Rennens. Die Rückkehr an den Ort legendärer Tour-Momente ist an strenge Auflagen geknüpft.

Von Michael Ostermann, Limoges

Kindheitserinnerungen, Sommer in der Haute-Vienne: Mathieu van der Poel hat als Kind viel Zeit verbracht in Saint-Léonard-de-Noblat, dem Startort der 9. Etappe der Tour de France. Sein berühmter Großvater lebte dort. "Ich habe viele schöne Erinnerungen daran", sagt van der Poel. Aber auch der Zielort ist eng mit dem Namen seines Großvaters verbunden - Raymond Poulidor.

Es gibt ein geradezu ikonisches Foto, das Poulidour 1964 am Anstieg des Puy de Dôme Schulter an Schulter mit seinem großen Widersacher Jaques Anquetil zeigt. Anquetil trägt das Gelbe Trikot, das damals noch aus Wolle gestrickt war und das Poulidor nicht einen einzigen Tag getragen hat.

Klangvolle Namen als Etappensieger verzeichnet

Vielleicht ist es dieses Bild und die Tatsache, dass "Poupou" - wie die Franzosen van der Poels Großvater liebevoll nannten - dem Gelben Trikot niemals so nah kam wie an diesem Tag, das den Puy de Dôme zu einem jener sagenumwobenen Anstiege der Tour de France hat werden lassen. 42 Sekunden nahm Poulidour seinem Rivalen an diesem Tag ab, verpasste Gelb aber um 14 Sekunden.

Vielleicht sind es auch die klangvollen Namen, die als Etappensieger auf dem 1.465 Meter hohen Vulkan verzeichnet sind: Fausto Coppi, Federico Bahmontes, Felice Gimondi, Luis Ocana, Lucien van Impe oder Joop Zoetemelk. Alles Fahrer, die extra lange Kapitel im Historienbuch des Radsports haben.

Und dann ist da natürlich noch Eddy Merckx, der auf dem Puy de Dôme zwar nicht gewann, aber wohl um seinen sechsten Toursieg gebracht wurde, als ihn ein Zuschauer dort 1975 in die Nieren boxte. Ein Schlag, von dem sich der Belgier in den kommenden Tagen nicht erholte.

Moritz Cassalette, Sportschau, 08.07.2023 14:49 Uhr

Die Tour ist zu groß für den Puy de Dôme

Eine Menge Geschichten also dafür, dass die Tour hier erst 13 Mal vorbeikam. Der bislang letzte Sieger auf dem Puy de Dôme war der Däne Johnny Weltz. Er gewann vor dem deutschen Radprofi Rolf Gölz - 1988 war das. Danach kehrte die Tour de France nicht mehr zurück auf den Vulkan - und viele waren sicher, das würde auch so bleiben.

Die Globalisierung des Sports ließ den Tross der Tour de France stetig wachsen: Die 176 Fahrer werden heutzutage von einer 500 Personen umfassenden Entourage begleitet. 2.000 Medienschaffende berichten in 190 Nationen, dazu kommen Techniker, Sicherheitskräfte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Tourveranstalters ASO. Zu viele Menschen für zu wenig Platz auf dem Gipfel des Puy de Dôme.

Neben die schmale Straße, die sich wie eine Spirale um den Berg herum hinaufwindet, wurde 2012 zudem eine Zahnradbahn gebaut. Was die Fahrbahn, die für den Autoverkehr und auch Fahrradfahrer gesperrt ist, noch enger machte. Für Massen von Fans an einem Schlussanstieg ist das alles viel zu gefährlich. Und seit 2018 ist das Gebiet rund um den Puy de Dôme auch UNESCO-Naturerbe, was strenge Umweltauflagen mit sich bringt.

Letzte vier Kilometer ohne Zuschauer

Dass die Tour de France nach 35 Jahren nun doch wieder auf den Vulkan zurückkehrt, liegt an Christian Prudhomme. Der Tourdirektor hat die Frankreich-Rundfahrt seit Beginn seiner Tätigkeit vor allem mit Blick auf die Streckenführung modernisiert. Aber Prudhomme ist in Sachen Tour auch ein Traditionalist - und der Puy de Dôme stand angeblich seit seinem ersten Arbeitstag 2006 auf seiner Liste. "Es ist eine Rückkehr mit sehr vielen Emotionen. Dieser Berg zählt zu den Wurzeln der Tour de France, hier haben die großen Fahrer Frankreich zum Vibrieren gebracht", sagt Prudhomme. "Ich bin so dankbar, dass wir hier wieder hindürfen."

Puy de Dome

Nun ist es soweit, und Prudhomme hat dafür strenge Bedingungen akzeptiert. So sind auf den letzten vier Kilometern des 13,3 Kilometer langen Anstiegs keine Zuschauer zugelassen. Auf dem Gipfel wird nur wenig Technik aufgebaut. Die Übertragungswagen der TV-Stationen, Teambusse und Medienschaffende bleiben unten. "Außer den Fahrern und den Offiziellen kommt da keiner hoch", erklärt Prudhomme. Damit das ales tatsächlich auch so gelingt, wurden Öko-Freiwillige ausgebildet, um frustrierte Fans zu sensibilisieren und zu erklären, warum sie den Vulkan nicht zum Beben bringen dürfen.

Schlagabtausch zwischen Vingegaard und Pogacar

Sportlich dürfte die Fahrt hinauf zum Puy de Dôme auf einen weiteren Schlagabtausch zwischen Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar hinauslaufen. Vor allem auf den letzten vier Kilometern, auf denen die Steigung nicht mehr unter elf Prozent sinkt, dürften sich die beiden Topfavoriten attackieren.

"Es wird sehr, sehr schwer", vermutet Pogacar. "Und wahrscheinlich wird das Rennen wieder explodieren." Ein passendes Bild für die Rückkehr der Tour de France auf den Vulkan.