Biniam Girmay
Tourreporter

Tour de France Biniam Girmays langer Weg auf die große Bühne

Stand: 12.07.2023 10:07 Uhr

Biniam Girmay aus Eritrea strebt bei der Tour de France einen Etappensieg an. Als einziger Schwarzer und einer von nur zwei Afrikanern im Peloton trägt er die Hoffnungen eines ganzen Kontinents.

Von Michael Ostermann, Issoire

Die Tour de France ist eine andere Welt. Das hat Biniam Girmay schon festgestellt an den ersten zehn Tagen in Frankreich. Da geht es ihm nicht anders als allen anderen Tour-Debütanten - sie glauben es erst, wenn sie es selbst erleben. "Ich verstehe jetzt, wie hart es ist", sagt Girmay: "Ich bin im vergangenen Jahr den Giro gefahren und war auch schon bei einigen Monumenten dabei. Aber hier in Frankreich - das ist ein ganz anderes Level."

Nur zwei Fahrer vom afrikanischen Kontinent

Biniam Girmay, 23, aus Eritrea ist einen weiten Weg gegangen, um auf dieses Level zu kommen. Der Radsport ist immer noch nicht sehr divers. Aller Globalisierung zum Trotz sind es vor allem Europäer, Nordamerikaner und Radprofis aus Ozeanien, die den Großteil des Pelotons stellen.

Von den 176 Fahrern, die sich am 1. Juli in Bilbao auf den Weg gemacht haben, kommen 166 von diesen drei Kontinenten. Hinzu kommen sechs Fahrer aus Südamerika, zwei Fahrer aus Asien und zwei Fahrer vom afrikanischen Kontinent - der Südafrikaner Louis Meintjes und eben Biniam Girmay aus Eritrea. Beide fahren für das Team Intermarché-Circus-Wanty.

Girmay ist zudem der einzige Schwarze im Peloton. Er ist nicht der erste, aber der Zugang gerade für afrikanische Radsportler in den Profibereich ist immer noch deutlich komplizierter als beispielsweise für Europäer. Es fehlt an den nötigen Strukturen vor allem finanziell, um schon in den Junioren-Klassen Zugang zu den wichtigen Rennen in Europa zu bekommen, wo nach wie vor die Talente für den Profisport gesucht und entdeckt werden.

Girmays Erfolge sind der nächste Schritt

Dabei ist Radsport in Girmays Heimat Eritrea ein großes Ding - ein Teil des kolonialen Erbes der Italiener, die den Sport einst mitbrachten. Er selbst war zwölf Jahre alt, als er begann, Radrennen zu fahren. Und damals war Girmay fest davon überzeugt, dass eine Teilnahme bei der Tour de France allein Weißen vorbehalten sei. "Seit ich 15 Jahre alt war, habe ich die Tour verfolgt, damals waren einfach keine Schwarzen dabei, darum habe ich das gedacht", sagt Grimay.

Fahrer wie Merhawi Kudus, Natnael Berhane oder Daniel Teklehaimanot, der 2015 einige Tage das gepunktete Bergtrikot bei der Tour de France trug, hätten ihm selbst dann den Weg gebahnt, hat Girmay einmal erzählt, weil sie gezeigt hätten, dass der Aufstieg in die World Tour möglich ist.

Aber er war es, der den nächsten Schritt machte für den Radsport in Eritrea und den afrikanischen Kontinent. Im vergangenen Jahr siegte Girmay als erster Schwarzer bei einem Frühjahrsklassiker (Gent-Wevelgem) und gewann eine Etappe des Giro d'Italia. Im Juni feierte er dann einen Etappensieg bei der Tour de Suisse. "Wenn er fühlt, dass er gewinnen kann, kann er wirklich über sein Limit gehen und ist super fokussiert, um ganz oben zu landen", sagt sein Teamkollege Georg Zimmermann.

Über das World Cycling Center nach Europa

Nach seinen Erfolgen ist es Girmay, der die jungen Radsportler in seiner Heimat und dem gesamten afrikanischen Kontinent inspiriert. "Es ist immer gut, ein Idol in seinem Land oder seinem Kontinent zu haben", sagt Girmay: "Die anderen haben teilgenommen, aber Siege waren selten. Ich bekomme viele Nachrichten von jungen Fahrern, die mich fragen, wie das ist, gegen die großen Sprinter zu fahren oder eine Grand-Tour-Etappe zu gewinnen."

Girmay ist sicher, dass es in seiner Heimat ein großes Reservoire an Radsport-Talenten gibt, denen man nur die Möglichkeiten schaffen muss, in Europa Rennen zu fahren. Sein eigener Weg dorthin führte über das UCI Cycling Center in Aigle in der Schweiz. Der Radsport-Weltverband hat dort seinen Sitz und fördert mit diesem Programm Radsport-Talente von außerhalb der großen Kernmärkte.

Er war 19 Jahre alt, als er dort begann. Nach einer Woche wäre er am liebsten wieder abgereist. Die Tage seien ihm zu stark durchstrukturiert gewesen und Heimweh nach seiner Familie habe er auch gehabt. Erst mit den Rennen sei es besser geworden. Bis er es schließlich über sein heutiges Team Intermaché-Circus-Wanty in die World Tour und nun auf die größte Bühne des Radsports, die Tour de France, geschafft hatte.

Schon einmal auf Rang drei in Bordeaux

Den Weg über Aigle und das UCI World Cycling Center bleibt nur wenigen Auserwählten vorbehalten. Girmay glaubt deshalb, dass es andere Wege geben muss, damit mehr Radsportler aus Afrika in die Weltelite vorstoßen können. Etwa über Nachwuchsteams, wie das seiner eigenen Equipe, die seit diesem Jahr auf Continental-Ebene zwei Klassen unterhalb der World Tour Rennen bestreitet.

Zu dieser Mannschaft gehört mit Aklilu Arefayne auch ein Nachwuchsfahrer aus Eritrea. Dort bekämen Talente die Möglichkeiten, sich mit dem gleichen Material, dem gleichen Training und wichtigen Rennen weiterzuentwickeln. "Das ist der Weg, den wir verstärkt bestreiten müssen", findet Girmay.

Für ihn geht die Reise nun zunächst weiter durch Frankreich. Am Mittwoch (12.07.2023) auf der 11.Etappe nach Moulins bietet sich den Sprintern - und damit auch Girmay - die nächste Chance auf einen Etappensieg. Der ist Girmays erklärtes Ziel. In Bordeaux war er bei der 7. Etappe schon einmal Dritter. "Wir hatten gute und schlechte Tage, aber ich habe daraus gelernt", sagt Girmay. Auch das hat er mit den anderen Tour-Debütanten gemeinsam.