Kasper Asgreen zeigt seine Siegermedaille
Tourreporter

Tour de France Kasper Asgreen gewinnt das Strategiespiel gegen das Feld

Stand: 20.07.2023 21:35 Uhr

Die 18. Etappe der Tour de France war auf dem Papier wie gemacht für einen Massensprint. Doch mit Kasper Asgreen gewinnt einer von vier Ausreißern, die im Strategiespiel gegen das Feld besser sind.

Von Michael Ostermann, Bourg-en-Bresse

Einen Kilometer hatten die vier Fahrer vorne noch bis zum Ziel in Bourg-en-Bresse, die Flamme Rouge war erreicht und das hetzende Feld hatte immer noch ein paar Sekunden Rückstand. Das war der Moment als Kasper Asgreen das erste Mal dachte: "Es klappt, wir kommen durch." So jedenfalls erzählte es der Däne später. Wenige Augenblicke, nachdem ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen war, breitete Asgren die Arme aus und stieß einen langen Schrei aus.

Es kamen viele Dinge zusammen, die in diesem Moment nach draußen mussten: Die Freude über diesen Sieg auf der 18. Etappe der Tour de France, die das Ende einer langen persönlichen Leidenszeit bedeutete und auch seinem Team Soudal-QuickStep weit in der dritten Woche der Tour endlich Genugtuung verschaffte. Und die Verblüffung darüber, dass dieser Coup tatsächlich gelungen war an einem Tag, der eigentlich den Sprintern hätte gehören sollen.

Die Zusammensetzung der Gruppe ist kein Zufall

"Ich war schon oft am anderen Ende solcher Etappen. Und es ist nicht das erste Mal in der letzten Tourwoche, dass eine kleine Gruppe von Ausreißern einen solchen Sieg hinkriegt", sagte Asgreen. Deswegen habe er schon am Morgen an seine Chance geglaubt, weil eben auch die Fahrer der anderen Teams im hinterherjagenden Feld die Arbeit machen müssten, und nach zweieinhalb Wochen Strapazen nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräffte seien.

Es war eine Art Stategiespiel, was sich die Ausreißer und das Peloton auf den 184,9 Kilometern lieferten. Asgreen und seine Fluchtpartner, der Norweger Jonas Abrahamsen und der Belgier Victor Campenaerts, waren mit einer der ersten Attacken weggesprungen. Nach etwas mehr als der Hälfte der Strecke gesellte sich dann noch Campaenarts niederländischer Teamkollege Pascal Eenkhoorn dazu.

Schon die Zusammensetzung war kein Zufall. Abrahamsens Team UNO X ist auf Einladung des Veranstalters bei der Tour, da werden auch aussichtslose Ausreißversuche erwartet. Asgreens Team Soudal-QuickStep wie auch die Mannschaft Lotto-dstny von Campenaerts und Eenkhorn waren im Verlauf der Tour ihre Sprinter Fabio Jakobsen bzw. Caleb Ewan abhanden gekommen.

Ausreißer sparen Kräfte

Und dennoch schien die Sache vergeblich, denn das Feld gewährte dem Trio und später auch dem Quartett nie mehr als etwas über eine Minute Vorsprung. Der deutsche Radprofi Nikias Arndt vermutete später, dass deswegen am Ende nicht mehr genug Fahrer der anderen Mannschaften gewesen wären, um die Lücke zu schließen. Doch die Fahrer vorne hatten ebenfalls ihre Überlegungen angestellt. "Wenn sie hinten nur eine Minute geben, dann lassen sie es vorne auch locker angehen. Bis zu dem Moment, wo sie wissen, okay: jetzt müssen wir Vollgas fahren", sagte Tom Steels, der sportliche Leiter von Asgreens Equipe.

Moritz Cassalette, Sportschau Tourfunk, 20.07.2023 19:36 Uhr

Dieser Moment war gekommen, kurz nachdem Eenkhoorn den Anschluss nach vorne geschafft hatte. Campenaerts und Asgreen als Zeitfahrspezialisten waren dabei für die Gruppe vorne nicht unbebeutend. Und der knappe Abstand nach hinten verhinderte auch, dass die vier Ausreißer ihrerseits begannen, Spielchen zu spielen. "Wir wussten, dass wir uns alle voll reinhängen müssen, uns nicht gegenseitig angucken dürfen", sagte Asgreen. "Nur so hatten wir eine Chance auf den Sieg."

Asgreen hat ein Jahr Leidenszeit hinter sich

Am Ende konnte allerdings nur einer der vier diesen Sieg davontragen. Und das war eben Asgreen, nachdem Campenaerts vergeblich versucht hatte, seinem Teamkollegen Eenkhoorn den Sprint vorzubereiten. Der Däne war schneller und beendete damit ein Jahr der Leidenszeit, das mit einem Sturz bei der Tour de Suisse 2022 begonnen hatte, dessen Folgen ihn dann auch zwangen, die letztjährige Tour de France vorzeitig zu beenden. Erst in diesem Frühjahr habe sich sein Körper wieder so wie gewohnt angefühlt, berichtete Asgreen: "Ich widme den Sieg all den Menschen, die mir geholfen haben diese schwere Zeit zu überstehen."

Auch seinem Team hilft dieser Erfolg in Bourg-en-Bresse. Seit elf Jahren hat Asgreens Mannschaft in jedem Jahr mindestens einen Etappensieg aus Frankreich mit nach Hause gebracht. Doch in diesem Jahr drohte die belgische Mannschaft leer auszugehen, weil Jakobsen nach seinem Sturz im Finale der 4. Etappe wenige Tage später entkräftet aufgeben musste. Der Franzose Julian Alaphilippe versuchte es zwar viele Male, aber dem zweimaligen Weltmeister fehlen Form und Fortune. "Aber das hat unseren Spirit hochgehalten", sagte Steels.

Die Etappe nach Bourg-en-Bresse war wohl die vorletzte Chance für das Team, einen Erfolg zu landen. Kasper Asgreen hat sie genutzt. Den anderen Mannschaften, die jetzt noch mit leeren Händen dastehen, bleiben jetzt nicht mehr allzu viele Gelegenheiten. Die 19. Etappe am Freitag bietet Ausreißern noch einmal die Möglichkeit auf einen Erfolg. Es sei denn, die Sprinter-Teams sinnen auf Revanche.