Olympische Winterspiele 2022 in Peking Nachhaltige Winterspiele in Peking - die olympische Mogelpackung

Stand: 30.12.2021 16:43 Uhr

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die Organisatoren in Peking versprechen grüne und nachhaltige Winterspiele. Experten bezweifeln dies, vor allem weil die Wettbewerbe wohl komplett auf Kunstschnee stattfinden werden.

Das IOC hat ein schweres Imageproblem vor den anstehenden Olympischen Winterspielen in Peking. Zumindest bei jenem Teil der Weltbevölkerung, der sich kritisch auseinandersetzt mit Themen wie Verfolgung von Minderheiten, Unterdrückung von Demokratiebestrebungen und sonstigen Menschenrechtsverletzungen in Chinas Parteidiktatur.

Zuletzt geriet auch das IOC selbst in Erklärungsnot, wegen des Falls der mutmaßlich festgehaltenen Tennisspielerin Peng Shuai und der von IOC-Präsident Thomas Bach verfügten, aber bislang weitestgehend ergebnislosen "stillen Diplomatie" im Umgang mit Chinas Offiziellen.

Peking verspricht "grüne und saubere" Winterspiele

Gute Nachrichten werden also dringend benötigt, beim IOC und seinen schon im Vorfeld schwer belasteten Peking-Spielen. Das Thema Nachhaltigkeit zum Beispiel: Hier hat die PR-Abteilung des IOC schon im Mai 2020 ein offizielles Nachhaltigkeitskonzept vorgelegt. Entworfen von den Ausrichtern der Winterspiele, den zuständigen Regierungsbehörden in Peking und der umliegenden Provinzregion Hebei. Auf über 50 Seiten haben Chinas Olympia-Organisatoren ihre Pläne zusammengetragen, für "grüne, inklusive, offene und saubere" Winterspiele, wie es in dem Konzept heißt.

Erneuerbare Energien und Elektroautos bei den Wettbewerben

Eine der Kernaussagen dabei ist der Klimaschutz: Das Organisationskomitee in Peking hat versprochen, den CO2-Ausstoß, der durch die Olympischen Spiele entsteht, möglichst gering zu halten. Dies soll beim Bau der Sportanlagen anfangen: Hier werben die Organisatoren mit der nachhaltigen Wiederverwendung von Olympia-Bauten der Sommerspiele 2008, wie der bekannten Schwimmhalle "Water Cube", die nun für die Curling-Wettbewerbe umgerüstet wurde.

Das 180 Kilometer nördlich gelegene Skigebiet Zhangjiakou, in dem unter anderem Biathlon, Skispringen und Skicross-Wettbewerbe stattfinden, wird mit einem neuen, klimafreundlichen Hochgeschwindigkeitszug an die Hauptstadt angebunden. Der Individualverkehr zu den Sportstätten soll bei Olympia weitestgehend mit Elektro- oder wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen bewältigt werden. Die Energie, die während der Wettbewerbe verbraucht wird, kommt zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen, so die Ankündigung von Chinas Olympia-Organisatoren.

Geowissenschaftlerin: "Winterspiele ohne natürlichen Schnee sind Wahnsinn"

Eine schöne neue Wintersport-Welt, die dort in Peking beworben wird - die aber wohl in der Realität etwas anders ausschaut: Carmen de Jong, Geowissenschaftlerin von der Universität Straßburg, spricht sogar von den "unnachhaltigsten Spielen aller Zeiten". Dies liege daran, dass es in den olympischen Skigebieten nur sehr wenig Niederschlag gibt und vor allem so gut wie keinen natürlichen Schneefall, erklärte de Jong im Deutschlandfunk. Allein im Skizentrum Yanqing, Austragungsort der alpinen Wettbewerbe, sollen nach Expertenschätzungen 200 Schneekanonen aufgestellt werden, um den nötigen Kunstschnee zu produzieren. Winterspiele in einer derart trockenen Region zu veranstalten, bezeichnete de Jong als "Wahnsinn".

Selbst wenn die Beschneiungsanlagen weitestgehend mit Regenwasser versorgt werden sollen, wie es die Organisatoren angekündigt haben, verwies de Jong dennoch auf den enorm hohen Energieaufwand: Das Wasser müsse erst über kilometerlange Pipelines, die unterirdisch neu verlegt wurden, in die Skigebiete gepumpt werden. Sie bezweifelte auch, dass der hohe Energiebedarf während der Wettbewerbe wirklich allein mit grünem Strom sichergestellt werden kann, vor allem wegen der Massen an Kunstschnee. Am Ende, so die Befürchtung, müsste dann wohl doch mit Kohlestrom nachgeholfen werden.

Gefahr durch Bodenerosionen

Auch die Erosion von Böden sei ein großes Problem, betonte Umweltexpertin de Jong, gerade in den neu erschlossenen Skigebieten in China: Dort seien Erosionsschluchten über riesige Flächen einfach zugeschüttet worden. Lockeres Erdreich, das mit der Zeit durch Regen wieder abgetragen werde. Dadurch seien Siedlungen und Straßen gefährdet.

Davon steht nichts im Nachhaltigkeitskonzept von Chinas Olympia-Gastgebern - dafür die Ankündigung, neue Bäume zu pflanzen, als Ausgleich für Umweltschäden. Dies habe eine gewisse Ironie, so de Jong: "In Yanking war eigentlich ein Naturschutzgebiet. Dort wurde großflächig entwaldet, Böden und Vegetation wurden vernichtet. Und die Vorstellung, Emissionen durch das Pflanzen von Bäumen zu kompensieren, ist ein Witz."

Naturreservate und Dörfer mussten weichen

Der "Guardian" zitierte vor kurzem einen chinesischen Wissenschaftler, der aufgezeigt hatte, dass die Strecke für die alpinen Wettbewerbe zumindest in Teilen über das Gebiet des Songshan-Nationalparks verlaufen soll - und nicht entlang der Grenze des Naturreservats, wie es im Inspektionsbericht des IOC ausgewiesen wurde. Für die olympische Skisprungschanze, die ebenfalls neu in die Berge gepflanzt wurde, mussten nicht nur tausend Jahre alten Terrassenkulturen weichen, sondern auch ganze Dörfer, 1.500 Menschen wurden umgesiedelt.

Winterspiele sollen Ski-Tourismus in China ankurbeln

Chinas Politik hält mit der "regionalen Entwicklung" dagegen und einem "besseren Leben für die Bevölkerung", auch dies steht als Ziel im Nachhaltigkeitskonzept. Die Winterspiele dienen dabei auch als gewaltige Werbekampagne, die den relativ jungen Ski-Tourismus ankurbeln und die Begeisterung für Wintersport im Land entfachen soll: Allein in der größeren Umgebung von Peking wurden elf neue Resorts aus dem Boden gestampft, mit Skischulen und Eisflächen, dazu Hotels, Lift- und Beschneiungsanlagen. Ins Skigebiet rund um Zhangjiakou wurde neben einem Schnellzug auch eine neue Autobahn gebaut, der nahegelegene Flughafen erweitert.

Chinas Regierung will 300 Millionen Menschen für den Wintersport begeistern, so der von Präsident Xi Jinping verkündete Plan, der auch von IOC-Präsident Bach mit Wohlwollen aufgenommen wurde. Ob das neue touristische Angebot aber wirklich von einer breiten Masse der Bevölkerung wahrgenommen wird und nicht nur von der wohlhabenden Mittel- und Oberschicht, darf zumindest bezweifelt werden.

Klimaforscher: "Luftqualität in Peking besorgniserregend"

Ein weiteres Nachhaltigkeits-Versprechen, das die Chinesen schon bei der Bewerbung abgaben, ist die berüchtigt schlechte Luftqualität im Smog-belasteten Peking zu verbessern. Im Jahr 2015, pünktlich zum Zuschlag für die Olympia-Ausrichtung, hatte das renommierte Klimaforschungs-Institut Berkeley Earth Alarm geschlagen: Die gigantische Luftverschmutzung in China zeichne sich jedes Jahr für den Tod von 1,6 Millionen Menschen verantwortlich, so eine Studie der Klimaexperten aus Kalifornien. Zwar habe sich die Luftqualität im Großraum Peking in den vergangenen fünf Jahren deutlich verbessert, sagte Zeke Hausfather von Berkeley Earth gegenüber der Sportschau, schränkte aber auch gleich ein: "Im Vergleich zu westlichen Standards sind die Werte immer noch besorgniserregend, vor allem in den Wintermonaten."

Der Klimaforscher rechnet außerdem damit, dass Chinas Führung während der Winterspiele im Februar temporäre Sofortmaßnahmen gegen die Luftverschmutzung anordnet, allen voran das Herunterfahren der Industrie-Dreckschleudern rund um die Hauptstadt und eine starke Einschränkung des Verkehrs. Ein Trick, den das Regime auch schon während der Sommerspiele 2008 angewendet hatte. Damals durften die Menschen in Peking kurz durchatmen, zumindest für ein paar Wochen. Doch kurz nachdem das olympische Feuer erloschen war, hing auch wieder die alte, giftige Dunstglocke über der Stadt.