Olympia

Gender Parity im Sport Hinter den Kulissen noch keine Geschlechtergerechtigkeit

Stand: 08.03.2024 08:52 Uhr

Der Olympische Sport feiert sich für seine Vielfalt und die Geschlechterparität bei den Olympischen Spielen in Paris. Doch hinter den Kulissen ist er noch weit entfernt von Gender Parity, geschweige denn Geschlechtergerechtigkeit.

Von 10.500 Teilnehmenden bei den Olympischen Spielen in Paris werden die Hälfte dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Gender Parity heißt das Stichwort. Aber nicht nur das. Um Athletinnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, haben die Organisatorinnen und Organisatoren in Paris einiges aufgefahren.  

So wurden zum Beispiel die Wettbewerbe mit weiblicher Beteiligung so gelegt, dass sie zu reichweitenstarken Uhrzeiten im TV oder Livestream stattfinden. Und den Abschluss der Olympischen Wettbewerbe bildet im Sommer 2024 nicht der Marathon der Männer, sondern der Marathon der Frauen.

Nicht mehr als ein Zahlenspiel

Das sind alles sehr löbliche, wenn auch lange überfällige, Maßnahmen, um die Sichtbarkeit für Frauen im Sport zu erhöhen. Aber am Ende ist die jetzt gefeierte Gender Parity nicht mehr als ein Zahlenspiel. "Es ist schon fast ein bisschen überholt, denn wir brauchten dieses Mittel. Genauso wie wir Frauenquoten brauchen, brauchen wir die Gender Parity bei Olympischen Spielen, um aufzuzeigen: Wir haben hier ein Problem in der Repräsentanz, und daran müssen wir etwas ändern", sagt Bettina Rulofs von der Sporthochschule Köln. 

Auf dem Platz ist das Problem der Repräsentanz mit Gender Parity zumindest zum Teil gelöst. Allerdings nur bezogen auf die Gesamtheit aller Teilnehmenden - und ein binäres Geschlechterverständnis. Auf Nationenebene hingegen sind die Differenzen riesig.  

Aber auch hinter den Kulissen ist der Olympische Sport noch weit entfernt von Gender Parity, geschweige denn Geschlechtergerechtigkeit. So waren zum Beispiel nur 13 Prozent der Trainer in Tokio weiblich. Bei den technischen Offiziellen - also Schiedsrichterinnen zum Beispiel - waren es immerhin 30 Prozent.  

Sport bleibt eine Männerdomäne

Egal wie wir die Zahlen drehen und wenden, Sport bleibt in den allermeisten Fällen eine Männerdomäne, sagt auch Christiana Schallhorn, Juniorprofessorin für Sport und Soziolgie an der Universität in Mainz. "Wir sehen in ganz unterschiedlichen Bereichen - ob es jetzt Sportler und Sportlerinnen selbst sind, ob es Fans sind, ob es Journalisten und Journalistinnen sind oder andere Akteure, die im Sport mitwirken - das sind nach wie vor mehrheitlich Männer", sagt die Wissenschaftlerin. "Und das gibt natürlich schon mal einen gewissen Rahmen vor, der deutlich erschwert, tatsächlich zu einer Gleichberechtigung zu kommen." 

Anne van Eickels, Sportschau, 07.03.2024 11:10 Uhr

Gender Parity gibt im Prinzip per Quote vor, dass genauso viele Männer wie Frauen in entsprechenden Positionen vertreten sein sollten. Eine Messlatte, die in vielen Bereichen des Sports deutlich unterboten wird. Laut des "Sportpolitischen Macht-Index' 2023", den der Direktor für öffentliche Angelegenheiten beim dänischen NOK, Poul Broberg, im Februar bei der Konferenz "Play the Game" präsentierte, sind von den 1.749 Mitgliedern in den Exekutivkommittees der internationalen Sportverbände 75 Prozent männlich. An der Spitze dieser Verbände - also im Amt des Präsidenten oder der Präsidentin - stehen fast ausschließlich Männer (94 Prozent). 

Auch die Zahlen, die vom DOSB erhoben werden, belegen: In den meisten Sportarten - mit Ausnahme von zum Beispiel Turnen und Eiskunstlaufen - sind überproportional Männer vertreten. Leitende Funktionen in Vereinen, wie etwa ein Präsidentenamt, sind in den seltensten Fällen von Frauen besetzt. 

In der Berichterstattung dominieren Stereotype

Und natürlich gilt das auch für die mediale Berichterstattung. Der größte Teil der Berichterstattung entfällt auf von Männern dominierte Sportarten. Und der größte Teil der Sportjournalisten ist immer noch männlich. Wenn dann über Frauen berichtet wird, dominieren bis heute bestimmte Stereotype, sagt Bettina Rulofs: "Wir müssen deutlich mehr darauf achten, dass wir einen Kulturwandel brauchen, dass es auch in den Einstellungen Veränderungen braucht, in der Art und Weise, wie Leute über Frauen und über Männer und über die Geschlechter denken und sprechen."  

Die gute Nachricht an dieser Stelle ist: Es tut sich was. In allen Bereichen. Aber die Strukturen nachhaltig zu verändern, bleibt schwer. Denn sie sind über Jahrzehnte gewachsen, sagt auch Christiana Schallhorn: "Es ist gar nicht so, dass man sagt, die Männer schließen explizit Frauen aus. Aber dennoch kann man auch beobachten, dass es eben so informelle Regeln gibt, die eben unter Männern bekannt sind, die Frauen vielleicht nicht kennen und dadurch die eine oder andere Information nicht erfahren oder einfach nicht mit bedacht werden. Was dazu führt, dass sich eben diese Männerstrukturen weiterhin verstärken und Frauen ein Stück weit außen vor bleiben in vielen Bereichen." Das heißt, Frauen müssen aktiv mitgedacht werden. 

Das sind aber nicht die einzigen Strukturen, die Frauen das aktive Mitwirken im Sport oder in Sportvereinen erschweren. Es sind auch die immer noch vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen. Frauen, vor allem mit Erziehungs- oder Pflegeaufgaben, haben nachweislich einfach weniger freie Zeit zur Verfügung. Sie tragen ohnehin bereits viel Verantwortung im Alltag. Hinzu kommt, dass nicht erst seit der Corona-Pandemie eklatante Ausfälle in der Kinderbetreuung zu verzeichnen sind - sei es bei der Kleinkindbetreuung oder in Schulen. 

Alle Geschlechter brauchen Entfaltungsmöglichkeiten

Wenn wir es mit der Gleichberechtigung im Sport ernst meinen, dann müssen wir Strukturen schaffen, die Frauen eine aktive Beteiligung ermöglichen. Eine Aufgabe wäre es, genau in diesem Bereich zu forschen. Denn es gibt zahlreiche Programme für die Beteiligung und Förderung von Frauen im Sport. Aber sie nutzen nichts, wenn sie an den Lebensrealitäten von Frauen vorbei gehen.  

Und apropos Lebensrealitäten: Auch dieser Text bildet längst nicht alle Menschen ab, die sich im Sport bewegen: "Wir müssen nun langsam auch dahin kommen zu sagen: Wir müssen die gesamte geschlechtliche Vielfalt sehen. Wir dürfen uns nicht mehr nur auf Männer und Frauen konzentrieren", sagt Bettina Rulofs. Denn auch inter-, intra-, transgeschlechtliche und nonbinäre Menschen sind Teil von sportlicher Vielfalt, brauchen Raum, Entfaltungsmöglichkeiten und Teilhabe. Wenn wir Gender Parity ernst nehmen, müssen alle Geschlechter repräsentiert sein - und nicht nur das im Sport vorherrschende binäre Verständnis von Geschlecht.