Hightech-Schuhe mit Carbon-Platten sorgen in der Leichtathletik für neue Laufrekorde.

Leichtathletik-WM in Budapest Hightech-Schuhe - wie groß ist ihr Einfluss auf Leistungen und Verletzungen?

Stand: 23.08.2023 21:01 Uhr

Höher, schneller, weiter - und auch riskanter? Moderne Schuhe haben die Laufwettbewerbe in der Leichtathletik beschleunigt. Doch für die Gesundheit werden Nachteile zumindest vermutet.

Carbon-Schuhe sind in der Leichtathletik ein Phänomen geworden. Vor wenigen Jahren wurden sie populär und ihnen wird zugeschrieben, dass sie die Zeiten der Läuferinnen und Läufer verbessern können. Die Leichtathletik ist schneller geworden, die Beschleunigung führte zu mehreren Weltrekorden. Die Schuhe "lassen die, die sie tragen, im Durchschnitt zwei bis vier Prozent schneller laufen als die Sportler, die normale Schuhe tragen", sagte Olaf Ueberschär, Professor für Mensch-Technik-Interaktion und Biomechanik der "Berliner Zeitung".

Doch derzeit gerät ein anderer Aspekt in den Vordergrund - die Schuhe könnten möglicherweise für Verletzungen mitverantwortlich sein. "Man sieht jetzt auch die negative Seite und schaut, ob die Probleme in der Gesamtbilanz vielleicht tatsächlich gravierender sind als der Vorteil durch den Carbon-Schuh", so Ueberschär.

Diese ganze Entwicklung mit den Carbon-Schuhen ist mit Vorsicht zu genießen.
Gina Lückenkemper

Einen solchen Nachteil vermutet auch die deutsche Sprinterin Gina Lückenkemper. "Es ist schon ein bisschen extrem, wie viele Athleten auf Weltniveau gerade ausfallen", sagte Lückenkemper vor dem Start der WM in Budapest. "Diese ganze Entwicklung mit den Carbon-Schuhen ist mit Vorsicht zu genießen. Die sind aggressiver. Ich glaube, das wird uns in den kommenden Jahren noch beschäftigen."

Belgiens Siebenkampf-Olympiasiegerin Nafissatou Thiam musste auf den Wettkampf um WM-Gold wegen Achillessehnenproblemen verzichten, Hürden-Weltrekordlerin Sydney McLaughlin-Levrone aus den USA fiel wegen Knieproblemen aus.

Experte: "Noch keine belastbaren Untersuchungen bei Top-Athleten"

Ob sich die Zahl der Ausfälle aber auf die modernen Schuhe zurückführen lassen, ist nicht unbedingt sicher. "In Bezug auf den Freizeitläufer konnten wir zeigen, dass bei diesen Technologien eine erhöhte Verletzungshäufigkeit auftritt", sagte Professor Gert-Peter Brüggemann, der viele Jahre das Institut für Biomechanik und Orthopädie an der Deutschen Sporthochschule in Köln leitete, im ZDF. Aber: "Es gibt noch keine belastbaren Untersuchungen an Top-Athleten."

Neue Schuhe werden vom Weltverband reguliert

Der amerikanische Sportartikelhersteller Nike begann mit den neuartigen Schuhen 2017, fast alle Hersteller bauen sie mehr oder weniger nach. Ein hochreaktiver Schaum in Verbindung mit einer Carbonplatte soll einen Katapulteffekt erzeugen. Die vermutete Folge ist, dass von den Sprintdistanzen bis zum Marathon überall das Tempo gestiegen ist. Hinzu kamen die Superspikes für die Sprintwettbewerbe.

Der Weltverband führte Regeln ein: ab 2024 gilt eine Dicke von 20 mm für die Sohle. Bislang waren je nach Wettbewerb 20 bis bis 40 mm möglich. Zudem müssen die Schuhe im freien Handel verfügbar sein, um Chancengleichheit sicherzustellen.

Busemann: "Ein explosives Gemisch"

"Es ist der Hammer, was da für eine Entwicklung stattgefunden hat", sagte Frank Busemann, Olympia-Silbermedaillengewinner von 1996 und ARD-Leichtathletik-Experte. In den vergangenen Jahren habe nach der Corona-Pandemie eine enorme Leistungsentwicklung stattgefunden, dazu sei die Wettkampfdichte sehr hoch. "Dann kommt noch das Material hinzu, Carbon-Schuhe tun ihr eigenes", sagte der ehemalige Zehnkämpfer. "Das ist ein explosives Gemisch für gute Leistungen - aber auch für Verletzungen."

Der genaue Zusammenhang ist bei der Individualität der Athleten aber schwer zu beweisen. Es gibt viele Einflussfaktoren, die in dieser Form neu sind: die lange Pandemie zwischenzeitlich ohne Wettkämpfe, aber mit Training; im Anschluss eine nie dagewesene Dichte von Saisonhöhepunkten.

Parsons: "Das ist erst der Anfang"

Die Entwicklung hin zu noch moderneren Schuhen ist aber kaum zu vermeiden. Der in den USA lebende Sam Parsons, der für den Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) bei der WM in Budapest über 5.000 m startet, sieht Anpassungen wie eine stärkere Fußmuskulatur als notwendig an. Für den Sport aber sei diese "Hypertechnologie" fantastisch, sagte er der "Berliner Zeitung". "Ich denke, dass das erst der Anfang ist von dem, was noch passieren wird."