Doping Kontrolleur der NADA

Kronzeugenregelung im Anti-Doping-Gesetz Das lange Warten auf den ersten deutschen Doping-Kronzeugen

Stand: 21.09.2022 14:58 Uhr

Ein Jahr nach Einführung der Kronzeugenregelung zeigt sich: Bei der Aufklärung des Dopings hat sie nichts bewirkt. Kein einziger Insider hat ausgepackt.

Es gibt nur wenige Fachleute in Deutschland, die Möglichkeiten und Schwächen des 2015 eingeführten Anti-Doping-Gesetzes so gut einschätzen können wie Kai Gräber. Der Münchner Oberstaatsanwalt führt eine Behörde mit Schwerpunkt Doping. Er hat den größten Strafprozess in Deutschland zu dem Spezialgebiet Anfang vergangenen Jahres erfolgreich zu Ende gebracht: Gegen die Angeklagten im Verfahrenskomplex zur Operation Aderlass um den Erfurter Mediziner Mark Schmidt hatte er so solide gegen das Doping-Netzwerk ermittelt, dass sie allesamt verurteilt wurden.

Einige Monate später verbesserten die deutsche Politiker Gräbers Instrumentarium noch: Sie fügten dem Anti-Doping-Gesetz die vom Oberstaatsanwalt regelmäßig geforderte Kronzeugenregelung hinzu. Das sei nötig, sagte damals Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, "um Insider zu ermutigen, Doping offenzulegen" und um "Ermittlungen in diesem abgeschotteten Bereich zu erleichtern".

Die Bilanz fällt nach einem Jahr Kronzeugenregelung ernüchternd aus. Kein einziges Verfahren konnte aufgrund von Hinweisen eines Insiders eingeleitet werden. Es gebe sie, die potenziellen Kronzeugen, beharrt Gräber, "aber es ist jetzt nicht so, dass hier die Tür eingerannt wird. Es ist natürlich immer noch so, dass die Szene die berühmte Mauer des Schweigens hochgezogen hat." Man stehe in Kontakt mit dem einen oder anderen Athleten, sagt Gräber, "um einfach mal herauszufinden, welche Möglichkeiten es da gibt, welche Informationen denn gegeben werden können".

Die meisten Staatsanwälte wollen wohl gar nicht ermitteln

Sieben Jahre nach der Einführung des Anti-Doping-Gesetzes wachsen allmählich Ungeduld und Unmut über den ausbleibenden Erfolg. In der Theorie hatten alle Gesetzbefürworter gehofft, dass mit der Strafbarkeit des Selbstdopings Staatsanwaltschaften über positive Dopingtests leichter und schneller den Netzwerken auf die Spur kommen könnten. Positive Probe, Anfangsverdacht, Hausdurchsuchung, Handybeschlagnahmung, Verurteilung, am besten gleich auch der Hintermänner. Doch in der Praxis zeigt sich: Die meisten Staatsanwälte, so der Eindruck, wollen gar nicht.

Reihenweise werden die Verfahren wegen geringer Schuld oder mangels öffentlichen Interesses eingestellt. Bei vielen Ermittlern überwiegen offenbar weiterhin Vorbehalte gegen das Gesetz. Zu exklusiv und klein ist der Kreis der betroffenen Spitzensportler, zu wenig gesellschaftsrelevant deren Strafverfolgung angesichts von sich auf den Schreibtischen der Strafverfolger stapelnden Aktenbergen mit teils schwerer Kriminalität.

Tatsächlich stellt sich die Frage der Verfahrensökonomie, zum Beispiel bei Helen Grobert. Die frühere Mountainbikerin muss sich voraussichtlich 2023 vor dem Amtsgericht Waldshut-Tiengen verantworten, schon zum zweiten Mal. Strafandrohung: Geldstrafe, nachdem schon 2017 in ihrem Urin Testosteron nachgewiesen worden war. Das erstinstanzliche Urteil wurde vom Oberlandesgericht Karlsruhe aufgehoben. Ihre Karriere hatte Grobert schon 2018 beendet.

Musterprozess mit Box-Weltmeister

Zu mühsam gestalten sich die Ermittlungen, um einem Sportler auch den sogenannten subjektiven Tatbestand nachzuweisen: den Vorsatz zu dopen, das Wissen und Wollen der Einnahme der verbotenen Substanz zum Zwecke der Leistungssteigerung. Genau der Teil also, der im Sportrecht nicht ermittelt werden muss, weil der Athlet dort nach einer positiven Probe seine Unschuld aktiv beweisen muss, während ihm im Strafrecht die Staatsanwälte Schuld nachweisen müssen.

In der einzigen nach einer Hauptverhandlung sogar vom Bundesgerichtshof durchgewunkenen Verurteilung eines Profisportlers nach dem Anti-Doping-Gesetz hat die Kölner Staatsanwaltschaft bei dem früheren Profi-Box-Weltmeister Felix Sturm erfahren und nachgewiesen: Es ist enorm kompliziert und bedarf eines hohen Aufwands, um sämtliche Schutzargumente des Angeklagten vor Gericht zu widerlegen. Gleich zwei renommierte Experten aus deutschen Anti-Doping-Laboren sagten als Sachverständige aus, dazu der Hersteller einiger Nahrungsergänzungsmittel, die Sturm genommen hatte. Alles, um zu beweisen, dass das verbotene Mittel Stanozolol nicht durch ein Versehen oder gar durch eine Sabotage in den Körper des Boxers gelangt ist.

Forderung nach höheren Strafen

Bei Dopingdelikten unerfahrene Staatsanwaltschaften zeigen sich damit überfordert. Entweder sie stellen die Verfahren freiwillig ein oder erleiden schon vor der Hauptverhandlung Schiffbruch. Als in Chemnitz neulich die Hauptverhandlung gegen die positiv getestete Gewichtheberin Vicky Schlittig stattfinden sollte, ohne dass die Staatsanwaltschaft den Schuldvorwurf biochemisch abgesichert hatte, ließ der Richter den Prozess kurzerhand platzen. Das Problem, das alle Staatsanwälte gemein haben: Kein einziger Kronzeuge ist in Sicht, nahezu alle Beschuldigten behaupten, sie seien unschuldig.

Experten waren sich von vornherein einig, dass die Kronzeugenregelung, "nicht der große Gamechanger wird", wie es Michael Kubiciel ausdrückte. Der Augsburger Strafrechtsprofessor hatte für die Bundesregierung das Anti-Doping-Gesetz evaluiert. Das Kernproblem: Zu gering ist die Wahrscheinlichkeit, wegen Dopings überführt zu werden, zu niedrig die Strafandrohung, als dass Doper motiviert werden könnten auszupacken, um sich Vorteile zu verschaffen.

Geht es nach den Praktikern, soll deshalb der Druck steigen, sollte das Gesetz noch einmal nachgeschärft werden: "Ich finde, dass der Strafrahmen durchaus etwas höher, die Höchststrafe bei fünf Jahren liegen könnte", sagt Oberstaatsanwalt Gräber, "weil einfach die Signalwirkung eine andere ist, als wenn ein Doping-Verstoß wie eine verbale Beleidigung verfolgt wird."