Die niederländische Handball-Spielerin Angela Malestein

Interview mit Spielerin Angela Malestein Malestein: "Die schlimmste Zeit in meiner Handballkarriere"

Stand: 28.10.2022 16:48 Uhr

Wie ging Ex-Handball-Trainer André Fuhr mit seinen Spielerinnen um? Auch die niederländische Nationalspielerin Angela Malestein erhebt nun im Interview mit dem WDR Vorwürfe.

Von Sebastian Tischkov

Auch die niederländische Nationalspielerin Angela Malestein erhebt nun Vorwürfe gegen den Ex-Trainer der Handballfrauen des BVB, André Fuhr. Sie hat von 2012 bis 2014 unter Fuhr bei der HSG Blomberg-Lippe in Ostwestfalen gespielt. Es sei die schlimmste Zeit in ihrer Handballkarriere gewesen, sagt sie. Im Interview erzählt sie, wie sie am Ende weinend darum gebeten hat, den Verein verlassen zu dürfen. Angela Malestein ist eine Weltklassespielerin, die jede Menge Titel gewonnen hat. Mit Bietigheim die deutsche Meisterschaft, mit Budapest wurde sie ungarische Meisterin und Pokalsiegerin und  mit der niederländischen Nationalmannschaft gewann sie mehrere Medaillen, wurde 2019 schließlich Weltmeisterin und wurde mehrfach in Allstar-Teams gewählt. André Fuhr hatte ihr gesagt sie werde niemals Weltspitze sein. Im vergangenen Jahr wurde sie zur besten Rechtsaußen der Championsleague gewählt.

Sportschau: Frau Malestein, Sie waren ja damals noch sehr jung, als Sie nach Blomberg gewechselt sind?

Angela Malestein: Also ich war 16, da bin ich zu der (niederländischen) Nationalmannschaft gekommen und ich habe noch in Holland gespielt. Dann hatte ich mit 18 die Möglichkeit, ins Ausland zu wechseln. Es gab zwei Möglichkeiten, entweder nach Blomberg, oder zu einer dänischen Mannschaft. Und dann habe ich ein Probetraining gemacht und mich für Blomberg entschieden und das im Kreis der Nationalmannschaft erzählt. Die älteren, erfahrenen Spielerinnen haben gesagt: "Nein, mach das nicht. Du wirst da verrückt, der Trainer ist ein Idiot." Aber ich habe eben meinen eigenen Kopf. Da bin ich dann zum Vertragsgespräch gegangen mit Torben Kietsch (Manager HSG Blomberg-Lippe), André Fuhr und meiner Mutter. Wir haben ein gutes Gespräch gehabt und dann hab ich mal gefragt: "Ich hab das und das gehört, stimmt das?" Weil ich auch einen eigenen Kopf habe und wenn das stimmt, dann wird es nicht gut laufen. Dann schauen Torben und André einander an und lachen: "Ha ha, wo hast Du denn das gehört? Das stimmt gar nicht". Dann dachte ich: OK, es gibt immer mal Storys, und das Probetraining war eigentlich cool. Da waren viele junge Spielerinnen und in Blomberg war ich auch nicht weit weg von Holland und das hat für mich zusammengepasst.

Sportschau: Und wie war dann Ihr Start dort?

Malestein: Ich hab dann ziemlich schnell gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Da gab es zwei ausländische Nationalspielerinnen, die wurden behandelt wie schwarze Schafe, die wurden dauernd angeschrien und haben fast bei jedem Spiel geweint. Ich werde das nie vergessen: Wir hatten ein Vorbereitungsspiel gegen Rosengarten, wir fangen schlecht an, kommen zur Halbzeit in die Kabine, und der schreit uns mit allem an. Ich weiß die Worte nicht mehr ganz genau, aber selbst die Zuschauer haben ihn noch gehört. Und dann kickt er eine Wasserflasche gegen den Kopf einer Spielerin.

Sportschau: Mit dem Fuß?

Malestein: Ja, mit dem Fuß hat er das gemacht. Und ich sitze da in der Kabine und denke: "What the fuck passiert hier?" Ich war total überfordert und ich dachte, was macht sie jetzt? Der Deckel von der Flasche war auf, sie war auch nass. Und sie steht nur auf und geht zur anderen Seite von der Bank und setzt sich wieder hin. Ich dachte: "Oh, mein Gott, OK, na ja gut". Und das bei einem Vorbereitungsspiel. Unglaublich. Ich dachte, wo bin ich hier gelandet? Das war die erste schlimme Situation. Dann wurde es immer schlimmer mit den beiden Ausländerinnen. Und eine andere war auch noch dabei. Immer diese drei.

Sportschau: Gab es noch ähnliche Situationen?

Malestein: Und dann hatte ich eine Verletzung im Handgelenk, da bin ich operiert worden und hatte einen Gips bis zur Schulter hoch. Ich konnte gar nichts machen, nicht kochen, nicht mal richtig meine Zähne putzen, ich konnte mich nicht alleine versorgen und trotzdem durfte ich nicht nach Hause zu meiner Familie. Ich dachte noch, wie komisch, und wer kommt dann vom Verein und versorgt mich, kocht für mich und so weiter?  Und dann ist mein Opa nach Blomberg gekommen und hat mich abgeholt und dann hat mich Fuhr noch im Auto angerufen, und mich angeblafft: "Wo bist Du jetzt?". Ich sage, ja, ich bin auf dem Weg nach Holland, mit meinem Opa, und dann hat er nichts mehr gesagt.

Später hatte ich nach einem Arzttermin nur noch einen Gips vom Ellenbogen bis zur Hand und dann musste ich im Bus 6 Stunden mitfahren zum Auswärtsspiel, obwohl mir das Handgelenk schweinewehtat. Das war in meinem ersten Jahr dort.

Schon damals lernte ich deutsche Worte, wie "Du bist eine Prinzessin auf der Erbse", "Halt die Fresse", "Du denkst, Du bist die Geilste". Solche Worte fielen oft.

Ich hab wenigstens immer gespielt, aber es hat mir ganz leidgetan für die drei bereits genannten Spielerinnen und noch ein paar andere, junge Spielerinnen.

Sportschau: Und wie ging es dann weiter?

Malestein: Dann kam das zweite Jahr, das war ganz schlimm. Einmal hatten wir Lauftraining, Intervalle. Und es hat gewittert. Und wir sind immer in Dreier- oder Vierergruppen gelaufen. Und dann schlägt auf einmal ein Blitz ein, nur zwei Meter von uns und ich sage: OK, wir können hier nicht weiterlaufen. Sorry, aber das ist gefährlich. Aber wir mussten trotzdem weiterlaufen. Keine Ahnung, was da hätte passieren können, also ich finde das nicht normal.

Sportschau: Nein, das finde ich auch nicht.

Malestein: Und dann hat André Fuhr mir jeden Tag gesagt, wie schlecht ich sei. Aber ich hab immer gespielt. Und dann hatte ich mal ein schlechtes Spiel, und ich war 18-19,  wollte immer gut spielen, und ich hab auch gar keine Probleme, wenn ein Trainer mir sagt, was ich besser machen soll, oder wenn er sagt, Du warst schlecht. Aber das ging zu weit in der Kabine. Du gehst halt mit hängenden Schultern nach Hause und ich dachte am Montag: OK, neue Woche, neue Trainingseinheit. Ich hatte Wurftraining und es war gut, das hat er (Fuhr) auch gesagt, und dann komme ich am Dienstag zum Training, sitze an der Seite und ziehe meine Schuhe an, und dann kommt er mit einer Zeitung an und fragt: "Liest Du mal die Zeitung". Ich sag, nein, sorry, und dann hat er alles, wie scheiße ich bin mit grün markiert und zu mir geworfen. Ich hab dann kurz gelesen und die Zeitung dann weggeworfen und hab gedacht scheiß drauf, ich mach ein richtig gutes Training, was kann er dann noch sagen? Dass ich das Papier weggeschmissen hab, das fand er nicht gut, also wir stehen im Kreis und er schreit mich voll an. Und dann hat eine Spielerin, das vergesse ich nie wieder, weil sich sonst nie jemand getraut hat, was zu sagen, zu Andre gesagt, es ist genug. Und dann wurde ich vom Training weggeschickt.

Sportschau: Hat sich die Situation in Blomberg dann weiter verschlechtert?

Malestein: Und dann ja, die beiden Ausländerinnen waren schon weg, also brauchte er neue Opfer. Ich war das, die Spielerin, die ich schon erwähnt hatte immer noch und eine weitere. Jede Woche sagte er mir immer, wie schlecht ich sei. Und dann gab es ein Gespräch mit Torben Kietsch und André Fuhr und die haben gesagt, „Du denkst Du bist gut und Du bringst Leistung, aber das bringst Du nicht und ich hab gefragt, was wollt Ihr, wollt Ihr dass ich gehe? Und sie haben gesagt, na ja, wenn Du gehen willst, dann kannst Du gehen. OK, ich dachte nur, dann ist es wirklich  besser, jetzt zu gehen.

Und er hat auch immer kontrolliert, ob ich zu Hause war oder hat seine Freundin, die auch bei uns in der Mannschaft gespielt hat, zu mir geschickt, um zu wissen, was ich mache. Das gehörte auch noch dazu, diese Kontrolle.

Im Training wurde es von Tag zu Tag schlimmer, so dass Du auch selbst nicht mehr an Dich glaubst. Und dann war ich in Bensheim in der Kabine und ich hatte überall Beulen und rote Flecken und es hat überall gejuckt und dann hab ich die Mädels in der Kabine gefragt, ob jemand die Trikots mit etwas Neuem gewaschen hat. Dann wurde es schlimmer und schlimmer und ich bin zum Arzt gegangen, der hat mich dann gefragt, ob ich Stress hätte? Ich hab gesagt, ich bin 19, ich hab keinen Stress. Und ich hatte auch coole Mädels in der Mannschaft, wir haben oft zusammen was gemacht. Nur in die Halle zu kommen, das war halt nicht schön.

Und da sagt er, ja, Du spielst Handball und wie läuft es dort? Ich sage, ich werde jeden Tag beschimpft, wie schlecht ich bin und dann sagt er, ja, das ist Stress. Dein Körper sagt jetzt, das ist Stress.

Und dann hat meine Mama gesagt: "OK, die wollten Dich eh gehen lassen, dann gehst Du jetzt dahin und sagst einfach, ja ich möchte gehen".

Und dann komme ich ins Gespräch mit André Fuhr und Torben Kietsch, ich dachte zwei gegen einen, aber gut, ich kann für mich selbst eintreten, aber da habe ich dann geheult und geweint, bitte, lasst mich gehen, Ihr sagt doch, ich bin nicht gut für diese Mannschaft, dann lasst mich bitte gehen. Schaut mal, ich war beim Arzt, ich bin voll mit roten Flecken, ich kann es so nicht mehr aushalten hier und auch meine Leistung wird nicht besser.

Sie sagten, Nein, wir lassen Dich auf gar keinen Fall gehen.

Als dann irgendwann der Zeitpunkt kam und klar war, dass ich nach Bietigheim gehe, gab es dieses Halbfinale beim Final Four im DHB-Pokal. Da habe ich in der Schlussminute den entscheidenden Siebenmeter verwandelt. Dadurch war der Verein dann nach vielen Jahren für den europäischen Wettbewerb qualifiziert. Nach dem Turnier saß mich dann leider völlig fertig  mit einer Halsentzündung im Bus. Ich war so krank, ich hatte keine Stimme mehr, und dann nimmt der Andre Fuhr vorne im Bus das Mikrofon, und fragt "Und Angela und Isabel, warum singt Ihr nicht? Ah, ich weiß, Bietigheim spielt nächstes Jahr nicht im Europapokal!"

Vor dem letzten Ligaspiel mit Blomberg haben meine Mama und ich dort alles zusammengepackt, Schlüssel abgegeben und  dann hab ich das Spiel gespielt, geduscht, den Mädels noch Tschüss gesagt, bin an André vorbeigelaufen und dann mit 180 Stundenkilometern ganz weit weg von Blomberg gefahren. 

Eine Geschichte habe ich noch aus Trier. Da haben wir kurz vor Sylvester gespielt, am 30.Dezember und sollten eigentlich zwei Tage frei bekommen, alle hatten schon Verabredungen getroffen, mit Freunden und Familien, Flugtickets gebucht oder so etwas, aber wir haben verloren und er ist total ausgerastet und hat gesagt wir müssen hierbleiben. Und dann mussten alle nochmal aus dem Bus raus und er hat uns wieder angeschrien. Dann hat die Mama von einer Spielerin, das weiß ich noch genau, ich stand nur drei Meter weg, so ganz nett versucht, ihn zu beruhigen, "Ja die Mädels verlieren doch nicht mit Absicht, kannst Du ihnen nicht doch trotzdem frei geben?" und dann hat er angefangen, die Mutter der Spielerin so anzuschimpfen, also ich glaube, wenn das meine Mutter gewesen wäre, ich glaube, ich hätte ihn geschlagen.

Sportschau: Sie sagen auch, dass Sie mehrere Spielerinnen kennen, die wegen André Fuhr ganz aufgehört haben Handball zu spielen. Wie ist denn der Verein damit umgegangen?

Malestein: Es fragt sich, wie konnte das so lange so weitergehen? Der Trainer, Geschäftsführer und Hauptsponsor waren beste Freunde. Er wickelt die Leute um den Finger. Dann hat er auch immer seine zwei, drei  Lieblingsspielerinnen gehabt, die ihm  auch immer alles weitersagen. (Der Geschäftsführer der HSG Blomberg-Lippe) Torben Kietsch hat alles mitbekommen. Die Stellungnahme, die der Verein jetzt nach dem Spiegel-Artikel veröffentlicht hat, ist in dem Punkt nicht korrekt. Da heisst es, man habe die im Artikel geschilderten Vorgänge nicht gesehen. Ich finde auch dass Ferenc Rott, der Manager von Metzingen nicht hätte schweigen sollen. Dort hatte Fuhr nach Blomberg gearbeitet und da muss auch etwas Schlimmes gewesen sein, dass er direkt weggeschickt worden ist. Doch der Manager hat geschwiegen, auch als er wusste, dass Fuhr in besonderer Verantwortung als Juniorinnentrainer beim DHB arbeitet. Und ich versuche heute selbst immer auf meine jüngeren Mitspielerinnen aufzupassen und ihnen zu helfen, wenn ich kann.