Rückblick Wembley 1996 Vor dem Achtelfinale: Englands Angst vor dem Elfmeter

Stand: 24.06.2021 17:03 Uhr

Vor dem Achtelfinalspiel gegen Deutschland kommt in England eine alte Angst wieder hoch: die Angst vor dem Elfmeterschießen.

Sie laufen wieder rauf und runter im englischen TV: die Bilder des todtraurigen Gareth Southgate, des weinenden Stuart Pearce nach ihren Elfmeter-Fehlschüssen gegen Deutschland. Selten war ein englisches Team bei einem Turnier so talentiert, so reif für den ersten Titel seit 55 Jahren. Doch jetzt packt England die Angst vor den Deutschen und einem möglichen Elfmeterschießen im Achtelfinale von Wembley

In Englands Zeitungen gibt es auf den Sportseiten nur noch ein Thema. Die bitteren Episoden bei der WM 1990 oder der EM 1996 werden wieder aufgerollt, als die Engländer stets nach guter Leistung im Elfmeterschießen an Deutschland scheiterten. Die Boulevardzeitung "Sun" greift gleich einen Tweet des DFB als Provokation auf. Die harmlose Formulierung "It’s coming home" mit der Spielankündigung zum Achtelfinalduell gegen England am Dienstag (live im Ersten und auf sportschau.de, 29.06.2021) auf Twitter sei die erste Stichelei der Deutschen gegen England, schreibt die "Sun". 

1996: Southgate verschießt entscheidenden Elfmeter gegen Deutschland

Der Stachel sitzt eben auch 25 Jahre danach noch tief. Englands Nationaltrainer Southgate weiß genau, wie bitter es werden könnte am Dienstag in Wembley. Er war die tragische Figur beim Elfmeterschießen 1996 im EM-Halbfinale gegen Deutschland an gleicher Stelle. Ganz England schmetterte damals den Hit "It’s coming home, Football's coming home" und träumte vom Titel bei der EM zu Hause. Andy Köpke aber parierte Southgates' entscheidenden Elfmeter, raubte damit England das ersehnte Happy End. "Ich mache da gar keine große Sache draus", sagt Southgate. "Die meisten meiner Spieler waren damals noch gar nicht auf der Welt, deshalb hat es für sie nicht die große Relevanz." Tatsächlich sind Englands Jungstars wie Phil Foden, Jadon Sancho oder Jude Bellingham aufgrund ihrer späten Geburt gänzlich unbelastet vor dem Achtelfinal-Knaller gegen Deutschland. Trotzdem ist der Glaube der englischen Öffentlichkeit an Southgates' Talentschuppen zuletzt deutlich geschrumpft.

"Ach, ihr gewinnt doch eh wieder", sagt etwa John aus Watford, der in einem Pub das Spiel der Deutschen gestern verfolgt hatte, trotz der wenig überzeugenden Leistung der deutschen Nationalelf. "Wir haben gute Spieler, aber wenn es drauf ankommt, gewinnen die Deutschen," glaubt der Fußballfan. 

England mit nüchternem Start in die EM

Die traditionelle Angst vor den Deutschen wird befeuert durch die bislang enttäuschenden Leistungen der hochtalentierten Engländer. Zwar hat England in der Vorrunde keinen Gegentreffer kassiert und noch nicht verloren, aber gerade die hochgelobte Offensive hat nicht überzeugt. Sancho und Bellingham von Borussia Dortmund spielen im besten Fall Nebenrollen, Foden von Manchester City glänzte nur phasenweise und Torjäger Harry Kane ist bislang überhaupt noch nicht im Turnier angekommen und wird in den Zeitungen heftig kritisiert. 

Nüchterne Analysten wollen sich von der englischen Skepsis nicht blenden lassen. "Das wird ein 50:50-Spiel", glaubt Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann, der für die BBC als Experte bei der EM arbeitet. Und auch sein Kollege im Studio, der ehemalige Nationalspieler Danny Murphy gibt sich bei der BBC optimistischer als die nörgelnden Fans: "Nach dem Portugal-Spiel hatte ich ein bisschen Angst vor den Deutschen, aber nach der Partie gegen Ungarn nicht mehr. Ich glaube, wenn man jetzt auch die englische Nationalmannschaft fragen würde, die werden sich keine Sorgen machen, wir haben so eine gute Mannschaft mit so talentierten Spielern."

Trotzdem aber gab es auch in der BBC schon in der Halbzeit des Deutschland-Spiels nur ein Thema. Die Elfmeter-Dramen Englands gegen Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt lag Deutschland übrigens noch 0:1 zurück gegen Ungarn und wäre ausgeschieden gewesen. Die Angst der Engländer ist groß vor dem Knaller von Wembley