Fußball Muskelverletzung im Fußball - Premier League als Vorbild für die Bundesliga

Stand: 22.12.2021 08:00 Uhr

Gerade im Winter sind Muskelverletzungen im Fußball ein großes Thema. Die Premier League hat es jedoch geschafft, dieses Problem mit gezielten Maßnahmen einzudämmen.

In Kingsley Coman vom FC Bayern und dem Leipziger Emil Forsberg hat es in den letzten Tagen vor der Winterpause in der Bundesliga wieder prominente Spieler ihrer Klubs getroffen. Beide mussten mit Muskelverletzungen ausgewechselt werden.

Ein Problem, das sich nicht nur, aber gerade in den Wintermonaten zeigt. In denen ist die Belastung intensiv, die Ermüdung groß und die Temperaturen sind niedrig.

200 Millionen Euro für Spieler, die nicht spielen können

Unabhängige Erhebungen zur Anzahl der Verletzungen gibt es nicht. Der Premier League wurde nach der Saison 2016/17 medienwirksam die finanzielle Dimension des Problems vor Augen geführt: Laut Berechnungen eines Unternehmens zahlten die englischen Erstligisten 200 Millionen Euro für Spieler, die gar nicht einsatzfähig waren.

Trauriger Spitzenreiter war Manchester City mit 20,5 Millionen Euro. Auch der FC Liverpool (15,3 Millionen Euro) musste für Verletzte tief in die Tasche greifen.

Seitdem gab es ein Umdenken in England: Die medizinischen Abteilungen wurden aufgestockt, das Personal wurde besser ausgestattet, das Wort der Ärzte bekam immer mehr Gewicht.

Was der Doktor sagt, hat Gewicht

"Seit einigen Jahren ist der Job des 'Head of Performance' oder des Mannschaftsarztes in der Premier League sehr angesehen. Wir sind jetzt die ersten Ansprechpartner, wenn es um die Belastung der Spieler geht, weil Verletzungen spielentscheidend sind", sagt ein verantwortlicher Arzt eines Topklubs der Premier League im Gespräch mit der Sportschau.

"Wir sind diejenigen, die den Trainingsrhythmus vorgeben - und in der Premier League wird sich daran gehalten. Hier werden alle Meinungen akzeptiert, und es wird auch so wahrgenommen, dass wir eine sehr wichtige Rolle haben", so der Teamarzt.

Die Bundesliga sei "von Anfang der 2000er bis 2016/17 das Nonplusultra in Europa" gewesen. "Sie waren die Besten", sagt der Mediziner. Doch inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass die Premier League beim Umgang mit dem Thema Verletzungen besser abschneidet.

Verletzungsgefälle zwischen Premier League und Bundesliga

Offizielle Erhebungen dazu gibt es nicht, aber einige Blogs, die mithilfe verschiedener Datenportale Verletzungen, die zu Ausfällen führen, auflisten. In der vergangenen Spielzeit stieg demnach in beiden Ligen - vermutlich aufgrund des wegen der Corona-Pandemie gestauchten Spielplans - die Zahl der Verletzungen stark an, aber:

Während die Bundesligisten nach Berechnungen des Blogs "fussballverletzungen.com" auf 27.475 Ausfalltage kamen, waren es in der Premier League laut "premierinjuries.com" lediglich 18.405. Wie präzise diese Zahlen tatsächlich sind, lässt sich nicht abschließend überprüfen.

Liverpool holt sich Expertise aus Deutschland

Weil es aber gerade in der Hinrunde einen Anstieg von 42 Prozent bei den Muskelverletzungen gab, sahen sich einige Premier-League-Klubs verpflichtet zu handeln. Liverpool beispielsweise verpflichtete im Dezember 2020 in Dr. Andreas Schlumberger einen der angesehensten Sportmediziner der Bundesliga.

Er arbeitete schon bei Bayern München, Borussia Mönchengladbach, Schalke 04 und Borussia Dortmund. Dort lernte er auch Jürgen Klopp kennen, der ihn nun nach England holte.

"Es gibt zwei Bereiche, in denen zwischen Deutschland und England große Unterschiede bestehen. Zum einen ist das, wie die körperliche Robustheit der Spieler gefördert wird. Und der Bereich der wissenschaftlichen und Universitätskooperationen ist in England sehr viel systematischer", erklärt Schlumberger gegenüber der Sportschau.

Stärkere Spieler für härtere Zweikämpfe

Im Vergleich zur Bundesliga sei in der Premier League "die mitunter sehr hohe Zweikampfintensität und -frequenz sehr auffällig. Dahinter steckt auch die Idee, die körperliche Robustheit mit gezieltem Kraftraumtraining zu fördern", so Schlumberger. Und zwar vor der Einheit auf dem Platz.

"In England besteht der klare Trend, dass sehr systematisch vor dem Fußballtraining im Kraftraum gearbeitet wird. Nicht mit allgemeinen Plänen, sondern einem sehr individualisierten Zugang, der auf jeden Spieler zugeschnitten ist."

Bevor es auf den Platz geht, arbeitet jeder Profi an seinen körperlichen Schwachstellen, nimmt aktivierende Maßnahmen (Stretching, Aufwärmübungen etc.) vor und bereitet sich speziell auf das Programm im Training vor.

Stehen etwa Kleinfeldspiele an, sind kleine, schnelle Bewegungen wichtig, bei "Elf gegen Elf" lange Sprints. "Das betrifft schließlich unterschiedliche Muskelgruppen", so Schlumberger.

Die große Hilfe der Wissenschaft

Der Fachmann sammelt aus jeder Einheit Erkenntnisse über Blutwerte und Herzfrequenzanalysen, die aber auch beispielsweise in der Nacht vorgenommen werden. Die Spieler müssen auch Fragebögen über ihren physischen und psychischen Zustand ausfüllen - dies ist jedoch in England sowie in Deutschland allgemeine Praxis.

Was in der Bundesliga aber bei den meisten Klubs vernachlässigt wird, ist die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Die Vereine in England arbeiten vermehrt mit Medizinstudenten und Doktoranden zusammen, die für ihre wissenschaftlichen Studien im Klub forschen.

"So können zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: das Universitätsinteresse der Anwendung wird befriedigt, und vom Verein können gezielte Fragestellungen angegangen und mit wissenschaftlichen Untersuchungen beantwortet werden", sagt Schlumberger.

In Liverpool untersucht ein Doktorand zum Beispiel mit Sensoren, wie hoch die Belastungen auf dem Fußballschuh sind. Dies sei vor allem für das Training des Beschleunigungsverhaltens wichtig. Zudem könne bei zuvor verletzten Spielern festgestellt werden, ob die Schnellkraft im angeschlagenen Bein noch beeinträchtigt sei, weil die Belastung auf dem Fuß länger anhalte.

Auch beim Thema Verletzungen helfen die Investoren

Auch wegen solcher Feinheiten gelingt es der Premier League, sich sportlich von der Bundesliga abzusetzen. Gerade die Teams in der Champions League haben dank des Geldes der Investoren die Möglichkeit, größere Kader mit mehr Qualität zusammenzustellen, für mehr Rotationsmöglichkeiten zu sorgen.

Schlumbergers Kollege von einem Ligakonkurrenten hält aber eine andere Sache für die wichtigste. "Es gibt eine einfache Formel: Je mehr die Spielminuten steigen, desto mehr müssen die Trainingsminuten sinken. Diese Balance muss man haben, sonst bekommt man große Probleme", sagt der "Head of Performance" eines englischen Topklubs.

"Grundsätzlich gilt: Man sieht selten Spieler, die überbelastet sind, sondern vielmehr Spieler, die unterregeneriert sind." - womit man wieder bei den finanziellen Vorteilen der Premier League landet.