Jerome Boateng vor Gericht (2022)
kommentar

Bayern München und Jerome Boateng Gewalt gegen Frauen ist keine Privatsache

Stand: 04.10.2023 15:13 Uhr

Im Fußball der Männer scheint es, um mal einen hochrangigen Fußballfunktionär zu zitieren, "mit Verlaub absolut okay" zu sein, Gewalt gegen Frauen auszuüben. Anders kann man sich das Verhalten der Verantwortlichen des FC Bayern München im Fall Boateng nicht erklären. Dabei zeigt sich hier - erneut - dass Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem ist. Die dem Problem zugrunde liegende Struktur: Männer schützen Männer.

Vor einem Monat verteidigte FC Bayern-Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Rummenigge seinen "Buddy" Luis Rubiales mit obigen Worten, nachdem der vor den Augen der Weltöffentlichkeit den Kopf von Weltmeisterin Jennifer Hermoso beidhändig gegriffen hatte, um ihr seine Lippen aufzudrücken.

Dass Rummenigge dem spanischen Verbandspräsidenten zur Seite sprang, verwundert nicht. Die beiden kennen sich seit Jahren. Nicht zuletzt auch durch ihre Zusammenarbeit in der UEFA, wo Rubiales bis Mitte September noch Vizepräsident war.

Schwere Vorwürfe gegen Boateng

Der Fall, der weltweit für Entrüstung gesorgt hat und gerade den spanischen Fußball komplett auf den Kopf stellt, ist an deutschen Funktionären und Verantwortlichen offenbar spurlos vorbeigerauscht. Anders kann man sich nicht erklären, warum der FC Bayern in Betracht zieht, ausgerechnet Jerome Boateng wieder zurück in die Mannschaft zu holen.

Zur Erinnerung: Boateng wurde in zwei Verfahren wegen Körperverletzung schuldig gesprochen. Das Landgericht München war beim jüngsten Verfahren "vollkommen überzeugt", dass Boateng Sherin S., die Mutter seiner beiden Kinder in einem Urlaub 2018 geboxt, geschlagen, bespuckt und beleidigt hat, wie die "Süddeutsche Zeitung" schreibt. Das Urteil wurde im September aufgehoben - wegen Verfahrensfehlern. Der Fall wird demnächst neu verhandelt.

Verteidigung der Bayern-Verantwortlichen ist bereits vorbereitet

Natürlich ist den Verantwortlichen bewusst, was sie da vorhaben. Denn ihre Verteidigung ist bereits vorbereitet. In allen Interviews wird die viel bemühte Unschuldsvermutung ins Feld geführt, um einen anstehenden Vertrag mit einem "verdienten Spieler" zu legitimieren. Trainer Thomas Tuchel schafft es sogar, im selben Satz explizit nochmal die Persönlichkeit des Spielers positiv hervorzuheben.

Eine Persönlichkeit, der zwei Ex-Freundinnen vorwerfen, körperliche Gewalt gegen sie angewendet zu haben. Eine Persönlichkeit, die kein Problem damit hat, eine dieser Ex-Partnerinnen Verschwiegenheitsverpflichtungen unterschreiben zu lassen und damit alle Beweise zu vernichten, die am Ende belegen könnten: Doch, es war Gewalt im Spiel. Aussagen kann diese Partnerin nicht mehr. Denn Katarzyna Lenhardt, genannt Kasia, hat sich am 9. Februar 2021 mutmaßlich das Leben genommen.

Aber so lange ein Spieler auf dem Platz seine Leistung bringt, zählen Frauenrechte anscheinend nicht. Und da zählt auch nicht, was aus den bisherigen Verfahren an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Im Prinzip stören die Aussagen der Frauen Klubs und Sportler beim Geld verdienen.

Gewalt gegen Frauen bleibt "Privatsache"

Dass das so ist, hat nicht zuletzt eine groß angelegte Recherche von "SZ" und "Correctiv" gezeigt. Die hatte 2022 aufgedeckt, was im Profi-Fußball Methode zu haben scheint. Nämlich Spielerfrauen mit Verträgen und der Androhung hoher Vertragsstrafen zum Schweigen zu bringen.

Da wundert sich auch niemand über die Unschuldsvermutungen, die ständig bemüht werden. Wer sollte die angesichts solcher Verträge auch widerlegen können? Und so bleiben die Partnerinnen und Ex-Partnerinnen am Ende stumm. Gewalt gegen Frauen bleibt "Privatsache". Und am Ende können sich alle auf die Unschuldsvermutung berufen.

Wichtiger ist auf dem Platz

Im Profi-Fußball selbst ist das alles kein Thema. Da konzentriert man sich auf das, was auf dem Platz geschieht. Und veröffentlicht stattdessen knallige Pressemitteilungen. Wie zum Beispiel am 28. August 2023. In einem Gemeinschaftsprojekt mit Fans und dem Fanprojekt München wird mit "Obacht" ein Awareness-Projekt öffentlichkeitswirksam angekündigt.

Darin lässt sich Vorstandsmitglied Andreas Jung wie folgt zitieren: "Mit unserem Awareness-Konzept wollen wir alle Mitglieder, Fans und Mitarbeitenden des FC Bayern dabei unterstützen, hinzusehen und hinzuhören, aufzustehen, zu helfen und füreinander einzustehen. Respekt und Toleranz sind wichtige Werte des Sports, die wir fördern und für die wir uns als FC Bayern immer und überall einsetzen."

Kimmich: Kein großes Thema in der Kabine

Außer vielleicht, wenn es um Frauen geht. Dann wird nicht hingesehen. Dabei sprechen die Zahlen, die unter dem verharmlosenden Begriff "Partnerschaftsgewalt" veröffentlicht werden, eine ganz eigene Sprache. Jeden Tag versucht ein Mann in Deutschland seine (Ex)-Partnerin zu ermorden. Fast jeden dritten Tag bedeutet das den Tod einer Frau durch die Hand ihres (Ex)-Partners. Diesen Taten gehen meist andere Gewalttaten voraus.

Und ja, darunter können auch berühmte Fußballspieler sein, Anwälte, Journalisten, Ärzte, Arbeiter. Gewalt gegen Frauen ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und es ist ein Problem der Männer. Männer, die sich gegenseitig schützen und unterstützen. Die - selbst wenn sexualisierte Übergriffe vor den Augen der Welt stattfinden - stets behaupten, das sei kein großes Ding oder nicht so gemeint.

Oder Privatsache. Eine Angelegenheit "zwischen den beiden". Männer, die sich nicht vorstellen können, dass ihr "best buddy" zu Hause die Frau schlägt oder die Kinder. Die sich nicht vorstellen können, dass jemand, der sich so sehr für den Verein engagiert, sexuell übergriffig sein könnte. Dazu passt, dass Bayerns Kapitän Joshua Kimmich irritiert reagierte, als er auf den Fall Boateng angesprochen wurde. In der Kabine sei das kein großes Thema, so Kimmich.

Es kostet viel Mut, an die Öffentlichkeit zu gehen

Frauen erzählen diese Geschichten wieder und wieder und wieder. Aber es wird sich so lange nichts daran ändern, wie sich Männer gegenseitig versichern, dass das alles nicht so schlimm sei. Oder dass das halt Privatsache sei. Als sei Gewalt gegen Frauen okay, so lange sie die Leistung im Job nicht gefährdet. Und dabei hilft ihnen auch die Unschuldsvermutung. Das aktive Weghören, wenn Frauen von Gewalt durch ihre Männer berichten. Oder der Mythos der lügenden Frau, die sich am Ende nur bereichern will.

Bei all den Fällen, die zuletzt in der Öffentlichkeit behandelt wurden, haben Frauen meist den Kürzeren gezogen. Sie wurden öffentlich an den Pranger gestellt, angegriffen, beleidigt, beschimpft, bedroht. Wer vor diesem Hintergrund immer noch behauptet, Frauen, die sexualisierte Gewalt gegen sie öffentlich machen, wollten nur Aufmerksamkeit oder Geld, muss aktiv ignorieren, wie viel Mut es kostet, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Und wie oft diese Frauen trotz allem den Kürzeren ziehen, weil auch das Gesetz in Deutschland Frauen nicht ausreichend vor Gewalt schützt. Die strukturellen Gründe dafür hat die Anwältin Asha Hedayati kürzlich in ihrem Buch "Die stille Gewalt" beschrieben.

Gewalt gegen Frauen ist keine private Lappalie

Das Verhalten des FC Bayern, von Trainer Thomas Tuchel und anderen Verantwortlichen erklärt aktuell Gewalt gegen Frauen zur privaten Lappalie. Das ist sie nicht. Gewalt gegen Frauen gehört aufgearbeitet. Dazu gehört auch, dass Vereine und Verbände das Thema endlich ernst nehmen. Und ihren Teil dazu beitragen, Gewalt gegen Frauen öffentlich zu ächten. Das heißt am Ende auch abzuwarten, bis ein finales Urteil gefällt ist.