Im Alter von 85 Jahren gestorben: Karl-Heinz Schnellinger, hier nach dem Jahrhundertspiel 1970.

Trauer um Fußball-Idol "Jahrhundertspiel"-Legende Schnellinger ist tot

Stand: 21.05.2024 10:59 Uhr

Der ehemalige Fußball-Nationalspieler Karl-Heinz Schnellinger ist im Alter von 85 Jahren gestorben.

Wie seine Tochter Birgit am Dienstag (21.05.2024) bestätigte, verstarb der ehemalige Fußball-Nationalspieler in der Nacht zu Dienstag im Krankenhaus San Raffaele in Mailand. Schnellinger, der von 1958 bis 1970 vier Weltmeisterschaften für Deutschland bestritt, wurde 85 Jahre alt. Seit über fünf Jahrzehnten lebte er in Italien.

Jakob Rüger, Sportschau, 21.05.2024 10:07 Uhr

Manche Sätze wird man sein Leben lang nicht mehr los. Bei Karl-Heinz Schnellinger waren es sogar nur zwei Wörter. "Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen", kommentierte ARD-Reporter Ernst Huberty im WM-Halbfinale 1970 gegen Italien die Grätsche zum 1:1, mit der der Linksverteidiger in der 91. Minute das DFB-Team in die Verlängerung rettete. Und Huberty schob fassungslos noch einmal hinterher: "Ausgerechnet Schnellinger."

Zum Ende des Jahrhundertspiels in Mexiko-Stadt stand es dann doch 4:3 für Italien, wo Schnellinger damals schon sein Geld verdiente. Dort ist der gebürtige Rheinländer - aus Düren, halbe Strecke zwischen Aachen und Köln - auch geblieben. Bis zuletzt lebte er in der Nähe von Mailand. Kurz nach seinem 85. Geburtstag ist er dort nun auch gestorben.

Er fühlte sich in beiden Ländern als Ausländer

Allein schon dieses Tores wegen gehörte Schnellinger zu den Legenden des deutschen Fußballs. Zudem war "Carlo il Biondo" ("Der blonde Karl") oder "Carlo Martello" ("Karl, der Hammer"), wie er in Italien hieß, bis heute einer der erfolgreichsten deutschen Auslandsprofis. Aber das Leben in der Ferne brachte es mit sich, dass man ihn zu Hause weniger zur Kenntnis nahm als andere.

"Mir kommt es immer so vor, als ob ich in Deutschland Ausländer bin - und in Italien auch", sagte er vor wenigen Wochen in seinem letzten Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. "Aber das ist in Ordnung so." Mit den Mitspielern von damals hatte er keinen Kontakt mehr. Auch bei der Beerdigung von Franz Beckenbauer war er nicht dabei. Von den 13 Männern, die damals auf dem Platz standen, leben jetzt noch sechs.

Ein Tor in 47 Länderspielen

Aber Schnellingers Tor im Aztekenstadion wird natürlich in Erinnerung bleiben: Einwurf Sigi Held, Flanke von Jürgen Grabowski, er am Fünf-Meter-Raum mit beiden Beinen voraus, Landung auf dem Hosenboden, aber Ball drin. In 47 Länderspielen war das sein einziges Tor. Am Ende wurde das DFB-Team in Mexiko Dritter.

"Der Name Karl-Heinz Schnellinger wird für immer mit dem Jahrhundertspiel bei der WM 1970 verbunden sein. Durch sein Tor kurz vor Ende der regulären Spielzeit ermöglichte er erst die an Dramatik kaum zu überbietende Verlängerung", sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf: "Seine Leistungen und Verdienste gehen jedoch weit über dieses Spiel hinaus. Nur Lothar Matthäus hat unter den deutschen Nationalspielern an mehr WM-Endrunden teilgenommen als er."

Mit dem 1. FC Köln noch 1962 deutscher Meister

Dass Schnellinger auch in einem anderen Klassiker auf dem Platz stand, bei der 2:4-Niederlage im WM-Finale gegen England 1966, und bei der WM 1958 in Schweden Vierter wurde, mit Fritz Walter damals noch, wissen die wenigsten. Sein letztes Länderspiel bestritt er 1971 gegen Albanien. Als die Bundesrepublik 1972 und 1974 Europa- und Weltmeister wurde, hieß der linke Verteidiger schon Paul Breitner.

Dafür heimste Schnellinger mit seinen Vereinsmannschaften kräftig Titel ein: Im letzten Jahr vor der Bundesliga, 1962, wurde er Meister mit dem 1. FC Köln, der sich jetzt gerade wieder einmal in die zweite Liga verabschieden musste. Anschließend, mit 24 Jahren erst, wechselte er nach Italien - zunächst zur AC Mantua, dann zur AS Rom und schließlich zur AC Mailand. "Wegen der Sonne, aber auch wegen der Lebensfreude", sagte er später einmal. Und wegen des Geldes wohl auch: Damals bezahlte man jenseits der Alpen deutlich besser als in der Bundesliga.

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Mit den Rot-Schwarzen wurde er dreimal italienischer Pokalsieger, einmal Meister, zweimal holte er den Europapokal der Pokalsieger und einmal die Trophäe der Landesmeister. Die "Gazzetta dello Sport", Italiens größte Sportzeitung, nannte Schnellinger in ihrem Nachruf den "italienischsten Deutschen in unserem Fußball". Denn: "Er hatte ein rubinrotes Gesicht, zwei riesige Oberschenkel, wie ein Gewichtheber. Aber er bewegte sich mit einer erstaunlichen Gewandtheit in den Beinen."

Sein Nebenmann war Giovanni Trapattoni

Wegen seiner Zuverlässigkeit hatte der "blonde Karl" in Mailand seinerzeit noch einen anderen Spitznamen: "Volkswagen". An seiner Seite spielte oft der spätere Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni. Und, von wegen "ausgerechnet Schnellinger" - nahmen ihm die Italiener das Tor damals wirklich übel? Die Antwort war ein typischer Schnellinger. "Nie. Da hat mir kein Einziger jemals Vorwürfe gemacht. Schließlich haben die auch gewonnen."

Zum Ende seiner Karriere, mit 35, war er dann doch noch in der Bundesliga dabei: Die Saison 1974/75 begann er bei Tennis Borussia Berlin, aber es lief nicht gut. Nach 19 Spielen machte er Schluss und ging zurück nach Italien.

Kaum noch in Deutschland in den vergangenen Jahren

Danach, erzählte Schnellinger, habe er nie wieder Fußball gespielt. "Ich hatte die Schnauze voll. Und Altherrenmannschaften waren auch nicht so mein Ding." Später verdiente er in der Catering-Branche sein Geld. Den letzten Geburtstag feierte er mit seiner Frau, den drei Töchtern, den italienischen Schwiegersöhnen und vier Enkeln.

Nach Deutschland kam er in den letzten Jahren nur noch selten. "Zuletzt war ich vor ein oder zwei Jahren da. Ich kenne da kaum noch jemand", berichtete er im letzten Gespräch. Auf den Deutschen Fußball-Bund war er schon lange nicht mehr gut zu sprechen, auch weil er für die WM 2006 keine Einladung bekam, nicht einmal, als Italien dann in Deutschland im Finale stand. "Die haben mich vergessen", klagte er.

Auch für die EM in diesem Sommer wollte er nicht nach Deutschland zurück. "Das werde ich mir am Fernseher anschauen", sagte Schnellinger. "Zu Hause." Also in Italien. Es kam anders.